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08:11 Uhr - 02.12.2015

«Die Korrekturgefahr am Aktienmarkt nimmt zu»

Peter Bänziger, CIO und Partner von Belvalor, erläutert im Interview mit FuW, warum er mit volatilen Börsen und einem höheren Negativzins in der Schweiz rechnet.

Herr Bänziger, was erwarten Sie noch von den Börsen in diesem Jahr?
Das grundsätzlich freundliche Umfeld an den Aktienmärkten dürfte auch über die Jahreswende hinaus noch anhalten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass auf der geopolitischen Bühne nichts Dramatisches passiert.

Rückblickend auf das zu Ende gehende Börsenjahr, was hat Sie am meisten positiv überrascht?
Die robuste Verfassung des Schweizer Aktienmarktes, der sich trotz des starken Frankens  gut gefangen hat. Das hätte ich so nicht erwartet. Per saldo notiert der Swiss Performance Index seit Jahresbeginn mit gut +4% sogar leicht besser als der amerikanische Aktienindex S&P 500 (SP500 2102.63 1.07%).

Und worauf hätten Sie, worauf die Anleger 2015 lieber verzichtet?
Ich hätte gerne auf die abrupte Aufhebung des Mindestkurses und den Börseneinbruch im September verzichtet, der durch den VW-Skandal noch verstärkt worden ist. Die Anleger hätten wohl gerne auf ihre Goldbestände verzichtet.

Was ist die Lehre, die wichtige Erkenntnis, die aus dem ablaufenden Jahr für das zukünftige Vorgehen an den Finanzmärkten zu ziehen ist?
Es gab im Grunde nichts Neues. Hingegen haben sich auch in diesem Jahr viele Börsenweisheiten bestätigt: Diversifikation ist das oberste Gebot, bei Schwächen kaufen und nicht gegen die Zentralbanken handeln.

Erwarten Sie im neuen Jahr Ähnliches wie 2015, oder zeichnen sich neue Trends ab?
Es sieht so aus, dass die jahrelange Stärke des Frankens mindestens für einige Zeit unterbrochen wird. Die wichtigsten Fremdwährungen könnten sich gegenüber dem Franken etwas aufwerten. Das wäre eine positive Überraschung auch für die Schweizer Börse. Allgemein würde ich sagen, dass die homogenen Aufwärtstrends an den Aktienmärkten vorbei sind. Die Titelselektion war schon im zu Ende gehenden Jahr überaus wichtig. Das wird so bleiben.

Stichwort Divergenz, spielen Sie damit auf die unterschiedliche Geldpolitik, den Lockerungskurs der EZB und die zu erwartende Zinserhöhung des Fed, an?
Wir stehen natürlich vor der entscheidenden Frage der Zinswende. Weniger wichtig ist dabei, wann die erste Erhöhung – bezogen auf die USA, in Europa wird es noch lange nicht der Fall sein  – kommen wird. Entscheidend ist, wie viele weitere Schritte folgen werden. Ich gehe davon aus, dass der Zinserhöhungszyklus langsamer sein wird und weniger weit führt als derjenige zwischen 2003 und 2007.

Was kommt als festverzinsliche Anlage bei diesen bruchteiligen bis negativen Renditen in Frage?
Die Portfoliokonstruktion im festverzinslichen Bereich ist tatsächlich eine Herausforderung. Wir halten generell die Zinsrisiken niedrig und akzeptieren Kreditrisiken bei Unternehmensobligationen, einschliesslich High Yields. Die festverzinsliche Komponente im Investment-Grade-Bereich umfasst Unternehmensanleihen in der Referenzwährung des Kunden, Dollarobligationen mit einer Laufzeit von maximal fünf Jahren sowie Schwellenländeranleihen in Hartwährung. Zudem halten wir einen erhöhten Anteil in alternativen Anlagen mit niedrigen Zinsrisiken.

Wie viele Leben hat die Aktienhausse noch? Fakten wie Zinswende, hektische Übernahme‐ und Fusionstätigkeit, nur mässiges Wirtschaftswachstum und hohe Bewertung treten in der Regel in der Endphase eines Börsenzyklus auf.
Die breit angelegte, homogene Hausse der wichtigsten Aktienmärkte ist wahrscheinlich vorbei. In Europa dürften der schwache Euro, die lockere Geldpolitik und das damit verbundene Gewinnwachstum  weiterhin für Unterstützung sorgen. Ein Weltwirtschaftswachstum von etwa 3% zusammen mit dem technologischen Fortschritt wird es den Unternehmen ermöglichen, ihren Gewinn weiter zu steigern. Ein grosses Fragezeichen bleibt die Entwicklung der Rohstoffe, vor allem des Erdöls.

Mit welcher Konsequenz für die Anlagestrategie?
Für rohstoffabhängige Volkswirtschaften sind die tiefen Preise nach wie vor ein Vorteil, wobei die Impulse im neuen Jahr, nachdem der Basiseffekt verpufft ist, geringer sein werden. Für die USA ist der niedrige Ölpreis zweischneidig. Er lähmt den Schwung, den die massiven Investitionen in die Eigenversorgung des Landes mit Energie – Stichwort Ölschiefer – ausgelöst haben.

Mit der Präferenz von Europa liegen Sie im Konsens. Keine Vorliebe für die USA?
Die USA will ich keineswegs in ein schlechtes Licht stellen. Doch man muss sehen, dass der anhaltend feste Dollar das Aufwärtspotenzial der US-Börse beschränkt und die Frage nach der weiteren Zinsentwicklung Unsicherheit schürt. Dem steht die hohe Innovationskraft der USA gegenüber. Deswegen behält der amerikanische Aktienmarkt absolut seinen Reiz.

Wie halten Sie es mit antizyklischen Ideen? Diese sind oft das Salz in der Suppe.
Manchmal muss man mit den Wölfen heulen. Ich teile den Konsens, würde aber die Schweiz auf Augenhöhe mit Europa stellen. Die Schwellenländermärkte sind teilweise tief bewertet – wahrscheinlich ergibt sich da im neuen Jahr eine Einstiegschance.

Mit welcher Performance rechnen Sie an den Aktienmärkten 2016?
Die Aktienmärkte sind in etwa fair bewertet. Für die nächsten drei bis fünf Jahre rechne ich deshalb damit, dass der Investor die Risikoprämie verdient, sprich im Durchschnitt etwa 5%. Die Entwicklung wird selbstverständlich nicht linear verlaufen, sondern von Korrekturen und Volatilität begleitet sein. Die nach wie vor lockere Geldpolitik und die damit verbundenen Negativzinsen in Europa könnten die Anleger zu höheren Risiken verleiten, ja fast zwingen. Damit könnte auch ein Überschiessen der Aktienmärkte nach oben verbunden sein.

Die Schweiz mit ihrem hohen Gewicht von Pharma/Gesundheit und Konsum hat defensiven Charakter. Die richtige Wahl?
Der Pharmasektor hatte eine gute Phase, die aber ausläuft. Ich würde jedoch nicht die Gewichtung der Zykliker erhöhen, sondern die sehr günstigen Versicherungsaktien bevorzugen.

Ihre Titelfavoriten, Schweiz und Ausland?
In der Schweiz sind das Cembra Money Bank (CMBN 61 0%), Swiss Life (SLHN 263.6 1.58%), Baloise (BALN 126.3 1.04%), Nestlé (NESN 76.3 -0.07%), Swatch Group (UHRN 68.6 1.18%) (UHR 364.4 0.72%) und SGS (SGSN 1979 0.56%). In den USA gefallen uns Alphabet (GOOGL 783.79 2.75%) – die frühere Google –, Microsoft (MSFT 55.22 1.6%) und der Biotech-Wert Baxalta. In Europa favorisieren wir Titel wie Allianz (ALV 167.55 -0.06%), Munich Re, Axa (CS 25.63 0.08%), Carl Zeiss Meditec, den Medizinaltechniker Grifols aus Spanien und den Lachsfischer Salmar (SALM 147 0.68%) aus Norwegen. Aus Grossbritannien stehen Intertek (ITRK 39.3 -2.48%) Group und AstraZeneca weit oben auf der Liste.

Wie beurteilen Sie die Banken?
Bei den europäischen Banken bin ich generell vorsichtig und differenziert. Die meisten haben in den letzten Jahren ihre Kapitalkosten nicht verdient und es verpasst, die notwendigen Anpassungen in der Strategie rechtzeitig vorzunehmen. Meiden würde ich zum Beispiel immer noch CS und Deutsche Bank (DBK 24.46 0.64%). Weiter in der Strategie und daher eher positiv stimmend sind UBS (UBSG 19.87 0.61%) sowie spezialisierte Banken und Finanzdienstleister wie Cembra Money Bank, Partners Group (PGHN 378 1.75%) und Wüstenrot & Württembergische.

Wird sich in der Schweiz der Trend zu Negativzinsen verstärken, und sehen Sie deshalb die Frankenstärke als unterbrochen an?
Die Schritte der Schweizerischen Nationalbank haben sich bewährt und entfalten jetzt allmählich Wirkung, leider zum Teil auch unerwünschte. Der Swapmarkt sagt uns, dass Negativzinsen von 1% – verglichen mit dem jetzigen Satz von 0,75% –  eingepreist sind. Ich halte einen solchen Satz für möglich. In diesem Fall würden wahrscheinlich gleichzeitig die Freigrenzen für die Negativzinsen gesenkt. Damit würden die Banken gezwungen sein, die Kosten weiterzugeben. Wenn ich die Nationalbank wäre, würde ich mit dieser Massnahme zuwarten. Sollten die Negativzinsen auf alle Kunden überwälzt werden, wird das die Nachfrage nach Aktien nochmals beleben.

Wann ist es Zeit, Gewinne mitzunehmen, wann leuchten die Warnsignale?
Gewinnmitnahmen werden 2016 im Rahmen der Diskussion über mögliche weitere Zinsschritte der US-Notenbank ein Thema sein. Den Zeitpunkt dafür zu bestimmen, halte ich für unmöglich. Es gilt, die Bewertung und das Momentum an den Aktienmärkten im Auge zu behalten. Übertreibungen nach oben sollten konsequent für Gewinnmitnahmen genützt werden, sodass man bei starken Korrekturen – und diese wird es geben – wieder zukaufen kann.

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