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17:41 Uhr - 09.03.2016

«Der Aktienmarkt erholt sich nur langsam»

Jörg Krämer, Chefvolkswirt und Bereichsvorstand Research der Commerzbank, sagt, die EZB werde ihre Geldpolitik nochmals deutlich lockern.

«Wenn die Aktienmärkte stark fallen, sollte man einsteigen.» Bild: Commerzbank AG/dpa imagesHerr Krämer, was die Aktienmärkte seit Anfang Jahr geboten haben, stimmt Anleger nicht gerade euphorisch. Der Dax (DAX 9723.83 0.32%) hat den schlechtesten Jahresstart seit 50 Jahren hingelegt. Wie geht es weiter?
Das Auf und Ab bleibt uns erhalten. Die Kurse sind zwischenzeitlich auch wieder 10% gestiegen. Die Märkte dürften sich weiter erholen. Schliesslich wird der US-Wirtschaft eine Rezession erspart bleiben. Ausserdem dürfte die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik weiter lockern, was etwa deutsche Aktien mit einer Dividendenrendite von rund 3% attraktiv erscheinen lässt.

Lässt sich demnach eine Bodenbildung erkennen, sollten Anleger jetzt zukaufen?
Die Märkte werden sich wohl langsamer erholen als im Herbst vergangenen Jahres. Nach dem vermasselten Jahresauftakt 2016 an den Börsen benötigen die Anleger mehr als einen guten US-Arbeitsmarktbericht, um Vertrauen zu fassen. Ausserdem hatten viele Fondsmanager den Aktienanteil in ihren Portfolios im Januar nicht stark gesenkt, sodass sie jetzt nicht zukaufen müssen.

Ist für die Konjunktur mit einer Wende zum Besseren zu rechnen, oder war dies bereits das Ende des zaghaften globalen Aufschwungs?
Wir brauchen mehrere Monate gute Fundamentaldaten, sodass die Anleger tatsächlich an die Stabilisierung der Konjunktur auch in Amerika glauben. Die Industrie in Europa leidet unter der nachlassenden Nachfrage aus den Schwellenländern, vor allem aus China. Daher werden die Gewinnschätzungen beispielsweise für die deutschen Dax-Unternehmen tendenziell nach unten revidiert werden müssen, zumal auch der Rückenwind für den Export aus der Abwertung des Euro nachgelassen hat.

Was beschliesst die Europäische Zentralbank an der Ratssitzung am Donnerstag?
Die EZB dürfte ihre Geldpolitik nochmals deutlich lockern. Schliesslich können sich die Tauben im Zentralbankrat darauf berufen, dass die EZB ihre Erwartungen für das Wirtschaftswachstum nach dem jüngsten Rückgang von Stimmungsindikatoren wie dem Ifo-Geschäftsklima deutlich senken muss. Ausserdem ist die Kerninflation in der Eurozone, also die Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel, im Februar überraschend auf nur 0,7% gefallen, während die EZB für 2016 bisher von 1,3% ausgegangen war. Nicht zuletzt sind die marktbasierten Inflationserwartungen auf ein neues Allzeittief gesunken.

Das Anleihenkaufprogramm der EZB scheint aber nicht mehr so recht zu greifen.
Man könnte die Daten so verstehen, dass die Politik des lockeren Geldes nicht wirkt. Und in der Tat hätte die EZB allen Grund, das Unvermeidliche anzuerkennen, nämlich dass nach dem Platzen einer Schuldenblase die Inflation mehrere Jahre sehr niedrig bleibt. Aber die Mehrheit im EZB-Rat wird nicht müde zu betonen, dass sie ihr selbst gewähltes Inflationsziel von nahe 2% möglichst rasch erreichen will und dazu die Geldversorgung noch weiter lockern könnte.

Also (ALSN 65.8 -0.3%) auch mit tieferen Leitzinsen, namentlich den Einlagenzinsen, die Banken bezahlen, wenn sie bei der EZB Geld parken?
Ich erwarte, dass die EZB ihren Einlagensatz merklich senken wird, und zwar von –0,3% auf –0,5%. Ausserdem könnte sie Freibeträge einführen, damit Banken nicht für ihre gesamten Überschussreserven Strafzinsen entrichten müssen, die ihre Profitabilität belasten. Schliesslich ist es gut möglich, dass die EZB das Volumen der monatlichen Anleihekäufe vorübergehend erhöht.

Und was steht auf der Agenda der US-Notenbank in der kommenden Woche?
Sie dürfte ihre Leitzinsen an der nächsten Sitzung vermutlich noch nicht weiter anheben. Das Fed wird mehr Konjunkturdaten abwarten wollen, um sicherer zu sein, dass der verpatzte Jahresauftakt an den Märkten nicht der Vorbote für einen Konjunkturabschwung ist. Mittelfristig rechne ich aber, anders als die Märkte, mit höheren Leitzinsen. Erstens zeichnet sich keine US-Rezession ab. Zweitens haben die Lohn- und Inflationsdaten zuletzt nach oben überrascht. Die USA nähern sich der Vollbeschäftigung und brauchen nicht mehr so niedrige Leitzinsen.

Müssen Anleger ihre Erwartungen neu formulieren und für Jahre von chronisch niedrigen Zinsen bei hoher Marktvolatilität und schwachen Rohstoffpreisen ausgehen?
Leider müssen Anleger zumindest im Euroraum davon ausgehen, dass die Zinsen noch viele Jahre sehr niedrig bleiben. Ausserdem hat der Glaube an die Allmacht der Zentralbanken gelitten. Anleger müssen sich tendenziell auf Seitwärtsbewegungen an den Märkten einstellen und bereit sein, gegenläufig zu handeln, um Gewinne zu erzielen. Sind die Aktienmärkte – wie zuletzt – stark gefallen, sollte man einsteigen, um von einer Erholung zu profitieren. Chancen bieten auch Unternehmensanleihen niedriger Bonität. Ihre Renditeaufschläge haben sich deutlich ausgeweitet, sodass sie mit Blick auf die niedrigen Ausfallraten zumindest im Euroraum günstig bewertet sind.

Sind Immobilien noch eine Alternative zu Anlageklassen, die von anhaltender Vermögenspreisinflation geprägt sind?
Bei Immobilien etwa in attraktiven deutschen Städten sollten Anleger beachten, dass die Zeit des Aufholens vorbei ist und der Markt in eine Phase der Übertreibung eingetreten ist. Schliesslich steigen die Häuserpreise seit sieben Jahren deutlich stärker als die Mieten, auch wenn das noch eine Weile so weitergehen dürfte.

Das grösste globale Marktrisiko stellt im Jahr 2015 wohl China dar. Bleibt das so?
China steht vor wirtschaftlich schweren Jahren. Das sieht nach einer harten Landung aus, auch wenn ich keinen Crash erwarte. In den letzten Jahren ist es zu massiven Fehlentwicklungen gekommen.

Was genau läuft schief im Reich der Mitte?
Erstens ist der Bausektor wegen des Booms der Häuserpreise überdimensioniert, ohne dass eine Korrektur eingesetzt hätte. 20% der Neubauten bleiben leer. Zweitens leiden viele Unternehmen unter Überkapazitäten, die auf den Absatzpreisen und Gewinnmargen lasten. Drittens sind viele Unternehmen zu hoch verschuldet. Die Schulden aller Unternehmen sind auf 160% des Bruttoinlandprodukts gestiegen. Hoch verschuldet sind vor allem die staatlichen Unternehmen.

Staatsunternehmen werden wohl weiterhin subventioniert?
Zwar dürften die Staatsbanken die meisten von ihnen über Wasser halten, was einen wirtschaftlichen Crash verhindert. Aber viele Unternehmen sind nicht überlebenswürdig und entziehen den gesunden, meist privaten Unternehmen Ressourcen. Diese Zombifizierung belastet die Volkswirtschaft auf viele Jahre und verhindert eine rasche Erholung.

Wie stark sollte China jährlich wachsen, um nicht ins Schlingern zu geraten?
China braucht weiter hohe Wachstumsraten, um die Arbeiter, die vom Land in die Städte drängen, zu beschäftigen. 6% BIP-Wachstum im Jahr klingt für uns hoch, für China ist das aber schon fast ein Alarmsignal. Dass viele Chinesen das auch so sehen, zeigt die Kapitalflucht. Die abschmelzenden Devisenreserven sind aber nicht der Kern des Problems, sondern eher ein Symptom für das sinkende Vertrauen in die Fähigkeiten des Staates, Wirtschaft und Währung im Griff zu behalten.

Von China zu den Problemen vor unserer Haustür. Wie sieht es in der Eurozone aus?
Die Ursachen der Euro-Staatsschuldenkrise sind in der Breite noch nicht gelöst. Ganz im Gegenteil. Portugal, das mit Hilfe von Reformen seine Wettbewerbsfähigkeit deutlich erhöht hatte, rollt die Reformen unter einer linken Regierung wieder zurück. Ähnliches droht Spanien, dessen Wirtschaft wegen der Reformen im vergangenen Jahr um stolze 3,2% gewachsen war. Düster sieht es noch in Italien aus. Zwar hat Ministerpräsident Renzi eine wichtige Wahlreform durchgesetzt, die zu stabileren Regierungen führen dürfte. Aber auf wirtschaftlichem Gebiet hat er wenig gewagt. Stattdessen liebäugelt er mit mehr Staatsausgaben, obwohl Italien doch ein Paradebeispiel dafür ist, wie hohe Staatsdefizite einem Land schaden.

Als letzte Hilfsinstanz wird’s die EZB dann schon richten.
Weil die Ursachen der Staatsschuldenkrise noch nicht gelöst sind, hängt die EZB leider am Haken der Politik und kann es sich nicht leisten, wie die US-Notenbank ihre Leitzinsen anzuheben. Aber mit ihrer lockeren Geldpolitik nimmt sie den Politikern den Anreiz für Reformen, was die Wirtschaft im Euroraum schwächt. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der Euroraum über die Jahre gewisse Ähnlichkeiten mit dem Italien der 70er- und 80er-Jahre entwickeln wird: geringe Wachstumsraten, steigende Löhne, sinkende internationale Wettbewerbsfähigkeit und zum Ausgleich dafür eine schwache Währung. Das spricht eher für eine Abwertung des Euro auch gegenüber dem Franken.

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