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11:08 Uhr - 06.11.2015

«Das Fed wird ein neues Programm starten»

Charles Biderman, Chef des Researchdiensts TrimTabs, fürchtet eine globale Rezession und erwartet deshalb eine weitere Lockerungsrunde der US-Notenbank wie er im Interview mit «Finanz und Wirtschaft» erläutert.

Die Anspannung an den Aktienmärkten hat sich spürbar gelegt. In den Vereinigten Staaten hat der Leitindex S&P 500 seit der Korrektur über 12% gutgemacht und bewegt sich bereits wieder in Sichtweite des Rekordhochs. In starkem Kontrast dazu steht die Konjunkturentwicklung, die auch in den USA immer mehr auf eine gravierendere Abschwächung hindeutet. «Das ist doch verrückt», sagt Charles Biderman zu dieser bizarren Situation. «Die Auswirkungen der globalen Abkühlung auf die US-Wirtschaft sind klar erkennbar, und der negative Trend wird anhalten», fügt der Gründer des Researchhauses TrimTabs hinzu. Anders als der Mainstream an Wallstreet glaubt er nicht, dass die US-Notenbank die Zinsen erhöhen wird. Im Gegenteil: Der gradlinige Amerikaner erwartet sogar, dass die Währungshüter bald eine Lockerungsrunde lancieren und den Aktienkursen damit erneut Schub geben werden.

Zur PersonCharles Biderman hat sich eine simple Logik zur Anlagestrategie gemacht: Angebot und Nachfrage bestimmen in jedem Markt den Preis. Sein 1996 gegründetes Unternehmen TrimTabs verfolgt deshalb genau, wie sich diese zwei Faktoren an der Börse entwickeln, und leitet daraus Kursprognosen ab. Basierend auf demselben Prinzip hat er zudem zwei ETF lanciert, die in Unternehmen mit sinkender Aktienzahl und wachsendem Cashflow investieren. Seine Karriere startete er beim Anlegermagazin «Barron’s». Später engagierte er sich in der Immobilienbranche, wobei ihm die Sparkassenkrise einen Strich durch die Rechnung machte. Biderman (Jahrgang 1946) lebt im idyllischen Küstenort Sausalito unweit von San Francisco und in Hawaii. Ausser mit den Finanzmärkten setzt er sich intensiv mit der Philosophie des Seins auseinander und gibt dazu unter dem Leitsatz «Love, Money and Success» Kurse.Herr Biderman, aus Amerika kommen zusehends unerfreuliche Konjunktursignale. Wie steht es um die US-Wirtschaft?
Die globale Abkühlung beeinträchtigt die Konjunktur in den USA stärker, als es die meisten Ökonomen erkennen. Unser TrimTabs-Makroindex, der auf Echtzeitdaten basiert, tendierte seit 2011 bislang jedes Jahr fester. Nachdem er diesen Januar aber einen Höhepunkt markierte, hat er sich zuletzt deutlich abgeschwächt und notiert jetzt im Minus.

Droht sogar eine Rezession?
Offiziell wird eine Rezession als mindestens zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem Wachstum definiert. Gut möglich, dass es dazu kommt. Und wenn nicht: Was macht es letztlich für einen Unterschied, ob die Wirtschaft nun 0,1% expandiert oder 0,1% schrumpft? Klar ist, dass sie sich rasch abkühlt.

Was bedeutet das für die Zinspläne der US-Notenbank?
Anders als vom Konsens erwartet wird das Federal Reserve als nächsten Schritt die Zinsen nicht erhöhen, sondern ein neues Programm starten. Die Währungshüter werden die Stimulusmassnahme dieses Mal zwar nicht mehr Quantitative Easing oder QE nennen. Das, weil diese Bezeichnung mittlerweile in Verruf geraten ist. Wenn die Weltwirtschaft aber in eine Rezession abgleitet und Amerika ihr folgt, wird das Federal Reserve nicht tatenlos zusehen.

Opportunities 2016 «Finanz und Wirtschaft» lädt am kommenden Donnerstag zahlreiche renommierte Anlageexperten aus aller Welt ins Renaissance Tower Hotel in Zürich ein, um mit ihnen den Ausblick auf und Anlageideen für das neue Börsenjahr zu ergründen. Als Sprecher mit dabei sind u. a. Marc Faber, Charles Biderman (TrimTabs Investment Research), Christopher Wood (CLSA), Dr. Oliver Adler (Credit Suisse), Anastassios Frangulidis (Zürcher Kantonalbank) und Dr. Daniel Kalt (UBS).
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Das Fed versucht die Märkte aber schon seit einem Jahr auf eine Zinserhöhung vorzubereiten. Was heisst das für die Glaubwürdigkeit der Währungshüter, wenn sie nun plötzlich eine Kehrtwende machen?
Wer sagt, dass sie überhaupt noch glaubwürdig sind? Das wahre Problem mit den Zentralbanken ist, dass die Verantwortlichen an der Spitze entweder Banker oder Ökonomen sind. Letztere haben seit der Finanzkrise mit ihren Prognosen konstant danebengegriffen und jeweils zu Jahresbeginn stets behauptet, dass die Zinsen steigen werden. Trotzdem wird ihnen immer noch zugehört.

Warum hat das Fed so grosse Mühe, von der Nullzinspolitik wegzukommen?
Nächstes Jahr sind in den USA die Präsidentschaftswahlen. Wenn sich das Wachstum weiter verlangsamt, wird das Fed enorm unter Druck kommen, etwas dagegen zu unternehmen. Es wird die Wirtschaft und die Aktienmärkte deshalb nicht im Stich lassen.

Weshalb sind die Börsen denn so stark auf die ultralockere Geldpolitik fixiert?
Vereinfacht gesagt hängt der Wert einer Aktie vom Verhältnis zwischen dem Cashflow eines Unternehmens und den Zinsen ab. Selbst bei einer Zinserhöhung von nur einem Viertelprozentpunkt nimmt damit die Attraktivität von Aktien im Vergleich zu anderen Anlagen ab. Zudem wird es nicht bei nur einem Schritt bleiben, wenn das Fed einmal mit der Straffung der Geldpolitik beginnt. Bargeld hat dann wieder einen Wert, was Aktienrückkäufe und bar finanzierte Übernahmen für Unternehmen weniger interessant macht. Beide Faktoren haben in den vergangenen Jahren entscheidend zur Hausse beigetragen.

Der Realwirtschaft hingegen scheint die ultralockere Geldpolitik wenig zu helfen.
Kurzfristig können tiefe Zinsen und Wertschriftenkaufprogramme wie QE die Konjunktur vielleicht etwas beleben. Inzwischen haben sie jedoch zu enormen Überkapazitäten geführt. Dank Geld zum Nulltarif kostet es praktisch nichts, eine neue Fabrik zu bauen oder ein neues Bohrloch zu graben. Jetzt wo die Nachfrage zusammengebrochen ist, helfen die Stimulusmassnahmen aber nichts mehr. Wenn man mit einem neuen Projekt Geld verliert, spielt es keine Rolle, wie tief die Zinsen sind. Es kommen nur noch weitere Schulden hinzu: Willkommen in der ersten globalen Rezession, die von den Zentralbanken kreiert wurde!

Wie sollen sich Anleger in einem solchen Umfeld verhalten?
Im Prinzip besteht jeder Markt nur aus Transaktionen. An der Börse werden dabei Aktien gegen Geld gehandelt. Entscheidend sind also Angebot und Nachfrage. Verfolgt man, wie viele Titel im Umlauf sind und wie viel Geld für Aktienkäufe zur Verfügung steht, dann erhält man ein gutes Gefühl für den Markt. Wie im Kasino ist das Haus zudem stets im Vorteil – sonst würde der Markt gar nicht existieren.

Was meinen Sie damit?
Es ist immer das Haus, das den Markt kreiert. An der Börse sind das die Unternehmen. Sie haben den Aktienmarkt geschaffen, um so Geld aufzunehmen. Per Definition haben sie damit stets einen Informationsvorsprung auf die Investoren. Deshalb will ich ebenfalls kaufen, wenn sie die Anzahl ihrer Aktien mit Rückkaufprogrammen oder mit Cash-Übernahmen reduzieren. Emittieren sie hingegen zusätzliche Titel und erhöhen die Anzahl Aktien, dann will auch ich meine Positionen an der Börse abbauen.

Was beobachten Sie denn gegenwärtig in diesem Zusammenhang?
Das Tempo der Rückkäufe hat zwar leicht abgenommen. Gemäss unseren Daten übersteigen sie die Neuemissionen von Aktien aber weiterhin deutlich.

Und wie steht es mit Übernahmen? Hier sieht es für 2015 ja nach einem Rekord aus.
Zu einem Akquisitionsboom kommt es typischerweise, wenn Unternehmen nicht organisch wachsen können. Sie übernehmen deshalb Konkurrenten und steigern durch Kostenkürzungen den Gewinn. Die tiefen Zinsen helfen dabei. Echtes Wachstum ist das aber nicht. Ausserdem häufen sich Übernahmen meistens dann, wenn der Konjunkturzyklus den Höhepunkt erreicht hat und die Wirtschaft anfängt, sich abzuschwächen.

Weshalb sind Sie denn so pessimistisch für die globalen Konjunkturaussichten?
Einem robusten Wirtschaftswachstum stehen diverse Hürden im Weg. Von den USA über Europa bis nach Japan werden die Unternehmen durch Steuerpolitik, Regulierungen und hohe Einstiegsbarrieren eingeschränkt. Wachstum kann es nur geben, wenn etwas Neues entsteht. In den USA jedoch machen seit der Finanzkrise erstmals mehr Unternehmen ihren Betrieb zu, als neue entstehen.

Was heisst das alles für die Börse?
Wer behauptet, dass der amerikanische Aktienmarkt überbewertet ist und die Kurse der Realität weit vorauseilen, hat recht. Letztlich wird es deshalb zu einer massiven Korrektur kommen. Doch bis dahin kann es noch Jahre dauern. Die Gesamtzahl der Aktien im Umlauf nimmt weiterhin ab, weshalb ich vorerst mit leicht steigenden Kursen rechne. Vergleichbar mit einem Drogensüchtigen sind die Börsen abhängig von der Liquidität der Zentralbanken. Wenn das Federal Reserve also nächstes Jahr mit einer neuen Form von monetärem Heroin dealt, wird die Euphorie an Wallstreet erneut steigen.

Was für Titel sind unter diesen Voraussetzungen attraktiv?
Auf das richtige Timing zu spekulieren, ist wenig ratsam. Auf lange Sicht werden sich jedoch die Aktien derjenigen Unternehmen am besten entwickeln, die den freien Cashflow auch in einem schwierigen Umfeld steigern können. Unabhängig von kurzfristigen Marktschwankungen lohnt es sich daher, auf solche Valoren zu setzen.

Welche Aktien halten Sie also in Ihrem persönlichen Portfolio?
Facebook (FB 108.76 4.64%), Salesforce.com, Apple (AAPL 120.92 -0.89%), Google und Amazon (AMZN 655.65 2.29%). Die ersten vier Gesellschaften verdienen trotz der schwierigen Konjunkturlage haufenweise Geld. Amazon weist zwar noch keinen freien Cashflow aus. Der Konzern investiert aber massiv in neue Wachstumsfelder, in denen er später eine kritische Masse erreichen und so viel Geld erwirtschaften wird. Diese Strategie funktioniert zwar nicht immer, wie etwa der Flop mit dem eigenen Mobilfunktelefon klargemacht hat. Grossen Erfolg hat Amazon jedoch mit der Cloud-Technologie. Das Unternehmen hat in diesen Bereich enorm viel investiert und beginnt nun, daraus Profit zu schlagen.

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