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16:42 Uhr - 07.07.2015

«Auswirkungen der Frankenstärke werden völlig unterschätzt»

Das Währungsproblem wird gern kleingeredet. Vor der Halbjahresberichtssaison fragt sich, inwieweit die Analysten diesen Effekt berücksichtigt haben.

«Die Schweizer Öffentlichkeit und die Medien unterschätzen völlig, wie dramatisch die Auswirkungen des starken Frankens auf die hiesige Wirtschaft sind», sagte der Verwaltungsratspräsident eines kotierten Industrieunternehmens Anfang Woche zu «Finanz und Wirtschaft». Der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank (SNB (SNBN 1173 -2.66%)), per 15. Januar den Euromindestkurs aufzuheben, werde «noch deutliche Bremsspuren hinterlassen».

Auch die meisten Unternehmen würden erst jetzt realisieren, wie hart es sie treffe. Viele hätten es gerade noch geschafft, sich auf den Kursrückgang des Euros von 1.60 auf 1.20 Fr. einzustellen, meint der Industriemanager: «Aber weitere 20% verkraften sie nicht mehr.»

In einem Roundtable der «Neuen Zürcher Zeitung» unter Finanzexperten war jüngst die Meinung zu lesen, der Franken sei doch gar nicht so dramatisch überbewertet und die Exporteure klagten auf hohem Niveau. Das spiegle sich auch in den Gewinnschätzungen der Analysten und den Ausblicken der Unternehmen.

«Eher vorsichtig» geschätzt

Mit Blick auf die Halbjahresberichtssaison ist aber zu fragen, ob die Analystenschätzungen nicht zu hoch sind und der Frankeneffekt genügend berücksichtigt ist.

Panagiotis Spiliopoulos, Leiter Research bei Vontobel (VONN 43.1 -1.49%), weist darauf hin, dass Analystenschätzungen für das erste Halbjahr mehrheitlich noch gar  nicht bekannt sind. Vor der Quiet Period, der Zeitspanne vor Ergebnispublikationen, während der Unternehmen nur eingeschränkt mit dem Markt kommunizieren dürfen, hätten die Analysten aber viele Gespräche mit den Unternehmenslenkern geführt. Aufgrund der dort erhaltenen Hinweise glaubt Spiliopoulos nicht, dass wegen des starken Frankens grössere Revisionen der Gewinnschätzungen nach unten vorzunehmen sind. Wie er weiss, waren die meisten Analysten bezüglich des Frankenkurses, den sie ihren Berechnungen zugrunde legten, «eher vorsichtig». Meist sei mit einem Eurokurs um 1.05 Fr. gerechnet worden oder gar mit der Parität.

Etwas anderer Meinung ist Remo Rosenau, Chefanalyst der Neuen Helvetischen Bank: Nach der Aufhebung des Euromindestkurses habe im Markt «erst Panik geherrscht, kurze Zeit später wurde dann so getan, als wäre das kein grosses Problem». Vor diesem Hintergrund glaubt er, dass die Frankenstärke «nicht in voller Tragweite in den Schätzungen der Analysten berücksichtigt ist».

Manche Auswirkungen würden sich auch erst mit Verzögerung zeigen. So haben Importeure Zeit gebraucht, um ihre Preise in der Schweiz zu senken. Rosenau warnt, dass es inlandorientierte Unternehmen gibt, die unter Preisdruck leiden.  Das heisst, es trifft nicht nur Exporteure.

Eine Häufung von revidierten Gewinnprognosen könnte ein Hinweis sein, dass generell mit enttäuschenden Zahlen zu rechnen ist. Doch der Bauzulieferer Zehnder (ZEHN 32.7 -4.39%), der zum zweiten Mal mit Verweis auf die Währungen die Erwartungen dämpfte, ist ein Einzelfall geblieben.

Getrost abwarten

Rosenau weist aber darauf hin, dass viele Unternehmen nach dem 15. Januar auf einen Ausblick verzichtet haben oder ihn sehr vage hielten – und so nicht zu einer Gewinnwarnung verpflichtet sind.

Vorsicht angebracht ist für Rosenau bei «allen Industrieunternehmen, je kleiner und europalastiger, desto mehr». Da stimmt Spiliopoulos ein: Er erwartet gerade von Bauzulieferern wie AFG Arbonia-Forster (AFGN 16.6 -0.3%) oder Geberit (GEBN 305.3 -1.74%) und, im Chemiesektor, von Clariant (CLN 18.79 -1.78%) oder Ems-Chemie (EMSN 396.25 -1.49%) weniger Gewinn, «was aber nicht überraschend ist». Angesichts der Unsicherheit kann der Anleger Rosenaus Rat beherzigen: «Abwarten, bis die Halbjahreszahlen vorliegen.»

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