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11:10 Uhr - 24.12.2014

Nordkorea am kritischen Punkt

Das Regime von Kim Jong-un steht vor wichtigen Umwälzungen. Doch ist das politische Umfeld gleichzeitig komplizierter geworden. Das macht die weitere Entwicklung Nordkoreas noch schwerer berechenbar.

Vor einer Woche ist in Nordkorea die dreijährige Trauerzeit für den verstorbenen Führer Kim Jong-il zu Ende gegangen. Damit dämmert der Morgen für die Herrschaft seines Nachfolgers und jüngsten Sohns. Der bald 31-Jährige Kim Jong-un hat den Übergang dafür genutzt, um die Mächtigen aus der Ära seines Vaters aus dem Weg zu räumen. Bei dessen Beerdigung lief der junge Machthaber zusammen mit drei Generälen und vier Politikern neben dem Leichenwagen, darunter sein Onkel Jang Song-thaek, der den Thronfolger beschützen sollte.

Doch Jang wurde vor einem Jahr hingerichtet. Alle übrigen sechs damals mächtigen Begleiter sind in der Versenkung verschwunden. Stattdessen rückten Männer wie Hwang Pyong-so aus der Organisations- und Anleitungsabteilung (OGD) der Arbeiterpartei nach vorn. Die OGD gilt als das geheime Machtzentrum von Nordkorea. Als neuen Mitstreiter aus der Familie hat Kim seine Schwester Yo-jong in seine Nähe geholt.

Planwirtschaft steht vor Liberalisierungen

Die Säuberungen waren aus Sicht der neuen Führung aufgrund vieler Kurswechsel notwendig. So steht die Planwirtschaft ab Januar vor wichtigen Liberalisierungen, wenn die «Massnahmen vom 30. Mai» umgesetzt werden. Die Bauern dürfen dann 60% der Ernte behalten. Seit Ende 2012 betrug der Anteil schon 30%. Ausserdem dürfen sie «Küchenfelder» von bis zu 3300 Quadratmeter privat bewirtschaften. Sollten entsprechende Berichte stimmen, dann gäbe es bessere Ernten und damit einen höheren Lebensstandard.

Auch die Industrie steht vor einer Umwälzung: Die Manager der Fabriken können künftig Ersatzteile und Rohmaterialien frei einkaufen und die Waren selbst vertreiben. Auch dürfen die Geschäftsführer Mitarbeiter einstellen und entlassen. Das gleicht den Reformen von Deng Xiaoping 1980 in China. Auch wenn Nordkorea viel weniger Investitionskapital hat und die internationalen Sanktionen bremsen, sollte dies einen Aufschwung bringen.

Nordkorea setzt auf Repressionen

Anders als bei den Reformen in China und Vietnam setzt Nordkorea aber auf mehr Repression als Gegengewicht zu wirtschaftlichen Freiheiten. Die Grenze nach China wird stärker bewacht, so dass sich die Zahl der Flüchtlinge halbiert hat. Wer geschmuggelte Seifenopern aus Südkorea besitzt, muss mit harter Bestrafung rechnen. Nach Durchsuchungen von Wohnungen soll es Hinrichtungen gegeben haben.

Der Terror soll den jungen Führer absichern. Geriete der verlockend reiche Nachbar Südkorea zu sehr in Reichweite, wäre die Autorität der Kim-Dynastie dahin. «Die Regierung füllt die Bäuche mit Essen, aber die Herzen mit Furcht», meinte Nordkorea-Experte Andrej Lankov von der Kookmin-Universität in Seoul.

Aus der gleichen Räson heraus muss die Führung in Pjöngjang das Feindbild von der aggressiven USA und ihrem «Marionettenregime» in Seoul aufrechterhalten. Kim will noch mehr und kleinere Atomwaffen sowie weiter reichende Raketen bauen, um die USA glaubwürdiger abschrecken zu können. Seine Ziele bleiben ein Friedensvertrag, diplomatische Beziehungen und der Abzug der US-Truppen aus Südkorea. Dabei wird er weiter auf die bewährte Mischung aus diplomatischen Lockangeboten und absichtlich erhöhten Spannungen setzen. Dass der Hackerangriff auf Sony (SNE 20.86 0.39%) samt Terrordrohungen gegen Kinos in den USA zu dieser Taktik gehörten, halten viele Nordkorea-Beobachter allerdings für zweifelhaft.

Russland als neuer Partner

Das Umschwenken in der Aussenpolitik geschieht vis-a-vis China. So «eng wie Lippen und Zähne» waren beide Länder seit dem Korea-Krieg miteinander verbunden. Doch durch die enorme Abhängigkeit von Kapital und Waren aus China ist Nordkoreas Elite erpressbar geworden. Die engste Verbindung hielt ausgerechnet der hingerichtete Kim-Onkel Jang. Nun versucht der junge Diktator sich aus der festen Umarmung des chinesischen Drachen zu winden. Ein Symbol dafür ist seine Weigerung, eine bereits fertiggestellte Brücke von Dandong in China über den Grenzfluss Yalu an die Stadt Sinuiju auf nordkoreanischer Seite anzuschliessen.

Stattdessen soll Russland die neue Melkkuh von Nordkorea werden. Die Wirtschaftszone mit dem eisfreien Hafen Rajin an der Grenze zum russischen Sibirien wird schon ausgebaut. Die geplante Gaspipeline von Gazprom (OGZD 4.845 -1.32%) nach Südkorea brächte Kim zig Millionen Dollar an Transitgebühren ein.

Im Fokus der UN

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Chance ergriffen. Mit der Einladung von Kim nach Moskau ist er China zuvorgekommen und hat den beleibten Nordkoreaner international aufgewertet. Pech für Kim, dass Russland selbst angeschlagen und zunehmend isoliert ist. Ohnehin lässt sich die Abnabelung von China allein aus geografischen Gründen nur begrenzt erreichen.

Mit mehr Marktwirtschaft, mehr Tyrannei und mehr Flexibilität in der Aussenpolitik steht das Nordkorea von Kim Jong-un an einem kritischen Punkt. Auf Tauwetter kann leicht eine Eiszeit folgen. Die Welt von Nordkorea ist komplizierter geworden: Erstmals hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Verbrechen der Kim-Familie beraten. Zuvor hatte die UN-Vollversammlung verlangt, Kim in Den Haag vor Gericht zu stellen. Und womöglich haben die USA das Internet von Nordkorea stundenlang lahmgelegt. In diesem Umfeld lässt sich die Politik des dritten Kim noch schwerer ausrechnen.

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