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15:54 Uhr - 24.09.2015

«Kein schlechter Zeitpunkt zum Kaufen»

Christoph Schenk, Anlagechef der ZKB, spricht im Interview mit der FuW über die aktuellen Börsenturbulenzen und Einstiegschancen. Er bevorzugt nach wie vor europäische Titel.

Herr Schenk, die Aktienmärkte haben sich vom China-Crash im August nicht mehr erholt, und die Stimmungsindikatoren zeigen extremen Pessimismus an. Woher kommt diese hartnäckige Unsicherheit?
Es kommen derzeit viele Faktoren auf einmal zusammen. Da sind etwa der Skandal um Volkswagen (VOW 129.2 -0.23%), der den ganzen Automobilsektor aufwirbelt, und Vorwürfe der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton an die Gesundheitsbranche, die den Pharmaaktien zusetzen. Das zieht die Börsen hinunter. Für Unsicherheit hat auch der Entscheid der US-Notenbank Fed letzte Woche gesorgt.

Christoph Schenk Bild: ZVGWie ist diese negative Reaktion der Finanzmärkte auf die Vertagung der US-Zinserhöhung zu deuten? Zweifelt der Markt an der Formel «je expansiver die Geldpolitik, desto besser für die Aktienmärkte»?
Nein, das Fed ist ja nicht vom Pfad abgerückt und wird die Leitzinsen früher oder später erhöhen. Es war die unglückliche Kommunikation von Fed-Chefin Janet Yellen, die die Finanzmärkte aufschrecken liess. Sie hatten sich daran gewöhnt, dass das Fed mit der Forward Guidance die Markterwartungen steuert und keine Überraschungen zulässt. Jetzt bringt die Notenbank bei ihrer Lagebeurteilung auf einmal die Entwicklung in China und die globale Konjunktur mit ins Spiel, und die Leute wissen nicht mehr genau, auf welche Parameter sie achtet.

Sollte man in diesem Umfeld Aktien kaufen oder Risiken abbauen?
Es ist eher die Zeit, zu kaufen. Im Kern hat sich seit dem Frühling nicht viel verändert. Es ist wichtig, nicht vor lauter kleineren Risiken die Gesamtübersicht zu verlieren. Die Zentralbanken setzen alles dran, die Wirtschaft zum Laufen zu bringen. Die Finanzmärkte sind jetzt aber verunsichert, und wir müssen etwas warten, bis der Gegenbeweis kommt, dass es nicht so schlimm ist. Denn eigentlich läuft die US-Wirtschaft gut, und in Europa zeichnet sich eine Erholung ab. Schauen Sie Spanien an, die wirtschaftliche Erholung ist beeindruckend, wird von den Märkten aber nicht honoriert.

Europäische Aktien standen im ersten Halbjahr wegen der expansiven EZB-Politik und der wirtschaftlichen Erholung in der Anlegergunst. Der Anstieg der Unternehmensgewinne ist aber noch nicht eingetroffen. Wie lange kann das noch gutgehen?
Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Aktien von europäischen Unternehmen anderen Märkten vorzuziehen sind. Die Frühindikatoren ziehen an, und es ist eine Frage der Zeit, bis die Erholung auch über die Löhne beim Konsum ankommt. Noch aber steht Europa in einer Übergangsphase. Sie haben recht, man sieht die wirtschaftliche Erholung noch nicht in der Gewinnentwicklung. Doch um als Investor erfolgreich zu sein, muss man kaufen, bevor die Erholung in allen Daten sichtbar ist und alle es wissen. Es ist jetzt kein schlechter Zeitpunkt, in diesen Markt einzusteigen, aber es braucht Nerven.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Abkühlung in China die Hausse in Europa abwürgt?
Die Exportzahlen sehen in der Tat nicht mehr so gut aus, doch die Impulse kommen von der Binnenwirtschaft. Chinas Probleme sind nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine Chance. Denn sie halten die Zentralbanken davon ab, die Geldpolitik zu früh zu straffen.

Das heisst, Sie rechnen mit einer Jahresendrally?
So schnell wird die Stimmung nicht drehen. Es liegen noch zwei bis drei schwierige Monate vor uns, bis wir alles aussortiert haben. China befindet sich in einer Phase des Übergangs von einer exportorientierten Volkswirtschaft zu einem konsumbasierten Wachstumsmodell. Das wird die Finanzmärkte von Zeit zu Zeit durchschütteln. Aber in dem Augenblick, in dem die Marktteilnehmer erkennen, dass die Lage weniger düster ist und die Regierung die Mittel hat, Schlimmeres zu verhindern, kann es sehr schnell aufwärtsgehen.

Sie mögen europäische Aktien. Wie sieht es mit anderen Börsen aus?
Der US-Markt ist ebenfalls interessant. Sobald die erste Zinserhöhung Tatsache ist und diese Unsicherheit weg ist, wird die Schwächephase vorbei sein. An dritter Stelle sehe ich japanische Titel. Sie hängen aber stärker am Schicksal der Schwellenländer. Bei Aktien der Emerging Markets wäre ich nach wie vor sehr vorsichtig, nicht nur wegen China, sondern auch wegen Ländern wie Brasilien, die erhebliche Probleme haben.

Die Aufwertung des Dollars zum Euro ist ins Stocken geraten. Zeichnet sich da eine Trendwende ab zu einem stärkeren Euro?
Nein. Der US-Zinsschritt wurde nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Der Dollar wird sich zum Euro tendenziell wieder aufwerten. EZB-Chef Mario Draghi wird die geldpolitischen Zügel so locker wie möglich halten, um die Erholung in Europa am Leben zu erhalten. Der schwächere Euro ist auch ein Treiber der europäischen Aktienkurse.

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