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11:34 Uhr - 25.09.2015

«Als Nächstes kommt Helikoptergeld»

James Grant, Herausgeber des «Grant’s Interest Rate Observer», warnt im Interview mit der FuW vor immer extremeren Massnahmen der Zentralbanken und rät zum Kauf von Gold.

Die Finanzmärkte sind in Aufruhr. Die aufgeschobene Zinserhöhung  in den USA, die rasche Konjunkturabkühlung in China und der Crash im Rohstoffsektor verunsichern Investoren rund um den Globus. Die Angst wächst, dass die Welt in eine Rezession abgleiten könnte. «Seit der Finanzkrise wurde mit der ultralockeren Geldpolitik versucht, die Risse im System zu überdecken. Wir zahlen dafür mit mangelndem Wachstum», sagt James Grant. Der zuweilen etwas kauzig wirkende, aber stets scharf denkende Wallstreet-Augur zieht kritische Parallelen zwischen der kommandobasierten Wirtschaftspolitik Chinas und den konjunkturellen Stimulusmassnahmen im Westen. Auch stellt er die Entschlusskraft von US-Notenbankchefin Janet Yellen in Frage. Chancen sieht er in Gold und in Aktien von Goldminenkonzernen.

Zur PersonJames Grant kommt sich manchmal wie der Rufer in der Wüste vor. Der Querdenker zählt seit Jahren zu den schärfsten Kritikern der expansiven Notenbankpolitik. Vor den Folgen warnt er regelmässig im unabhängigen Investmentbulletin «Grant’s Interest Rate Observer», das die Büros an der Wall Street hat und für viele US-Investoren Pflichtlektüre ist. Es zeichnet sich durch die Vielfalt origineller Anlageideen und durch ein reichhaltiges Hintergrundwissen zur Finanzgeschichte aus.

Grant, der in Brooklyn wohnt, begann seine Karriere als Finanzmarktspezialist Mitte der Siebzigerjahre als Redaktor des Anlegermagazins «Barron’s». Inzwischen hat er sieben Bücher publiziert. Das neuste ist Ende 2014 unter dem Titel «The Forgotten Depression» erschienen und beschäftigt sich mit der Wirtschaftskrise zu Beginn der Zwanzigerjahre.
Herr Grant, seit dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers sind sieben Jahre vergangen. In was für einer Welt leben Investoren heute?
Es fühlt sich an, als sei es schon länger her. Gewisse Dinge haben sich nicht verändert und werden immer gleich bleiben, weil sie in der Natur des Menschen liegen. Dazu zählt die Tendenz, bei hohen Preisen zu kaufen und bei tiefen zu verkaufen. Neu ist jedoch die übergrosse Präsenz des Staates in den Märkten; sowohl was Regulierungen wie auch die Produktion und die Manipulation von Geld betrifft.

Meinen Sie damit die tiefen Zinsen?
Die sind gar nicht so neu. Vom Ende der Napoleonischen Kriege bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts etwa sahen Investoren während vier Generationen sinkende Zinsen. Historisch beispiellos ist jedoch die Hyperaktivität der Zentralbanken.

Ohne ihre Eingriffe könnte es heute aber noch schlimmer um die Welt stehen.
Wir leben im Zeitalter magischen Denkens. Die Zentralbanken haben die Zinsen nicht nur auf null oder sogar noch tiefer gedrückt. Sie haben es sich auch zur Aufgabe gemacht, die Aktienkurse anzuheizen. Das in der Hoffnung, die Menschen würden sich reicher fühlen, mehr Geld ausgeben und so die wirtschaftliche Nachfrage beleben. An diese Theorie glaubten jedenfalls der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke und das kommunistische Regime Chinas, als es die Börsenkurse in Schanghai in luftige Höhen beflügelte. Die Folgen dieser Massnahmen wurden jedoch nicht zu Ende gedacht.

China hält die Finanzmärkte derzeit in Atem. Wie heikel ist die Lage dort?
Wäre ich ein Mitglied des chinesischen Parteikaders, würde ich mir sagen: «Moment mal, wir verhalten uns doch gleich wie der kapitalistische Westen: Zum Wohl der Wirtschaft manipulierten wir Vermögenspreise und haben Investoren zu mehr Risiko ermuntert. Als die Dinge im Westen 2008 ausser Kontrolle gerieten, haben sie dort zwar keine Leerverkäufer verhaftet. Gedroht wurde damit aber ebenso.» Sind das nicht augenfällige Ähnlichkeiten zwischen einer klassisch marxistischen Zentralplanung und der Finanzpolitik, wie der Westen sie heute betreibt?

Droht China nun eine harte Landung?
Die Lage ist besorgniserregend. Die chinesischen Konjunkturdaten sind grösstenteils frei erfunden, und die Methoden der Regierung sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn so endet es in der Regel immer, wenn man versucht, die Märkte zu kontrollieren, und damit den Preismechanismus drangsaliert. Ebenso erschreckend ist aber die Reaktion des Westens. Statt die Wurzel des Problems zu erkennen, sorgen wir uns darüber, dass China beim Management der Wirtschaft einfach ungeschickter vorgeht als wir.

Wegen der Unsicherheit um China wartet die US-Notenbank mit einem Zinsschritt. Ist das der richtige Entscheid?
Ich hatte gehofft, das Federal Reserve würde an seiner letzten Sitzung die Zinsen erhöhen, nur damit wir endlich über etwas anderes reden können. Natürlich ging es bei diesem Entscheid nicht nur um eine leichte Straffung der Geldpolitik, sondern darum, dass wir zu so etwas wie einer normalen Zinsstruktur zurückkehren. Obwohl seit dem Kollaps von Lehman Brothers sieben Jahre vergangen sind, ist die grösste und angeblich dynamischste Wirtschaft der Welt offensichtlich noch immer nicht bereit dafür. Das ist die zentrale Botschaft aus dem Fed. Kein Wunder sind die Märkte da verunsichert.

Bislang haben die Börsen stets applaudiert, wenn das Federal Reserve locker blieb. Dieses Mal ist es jedoch anders. Droht US-Notenbankpräsidentin Yellen die Kontrolle zu verlieren?
Hier ist ein bezeichnendes Detail: Wenn Janet Yellen auf eine Reise geht, dann trifft sie bereits mehrere Stunden vorher am Abfluggate ein. Eine Person mit einem so ängstlichen Naturell ist kaum am richtigen Platz, wenn es um die Verantwortung für die globale Leitwährung geht. Wer jede Situation bis ins letzte Detail kontrollieren und alle Risiken minimieren will, wagt nie einen Sprung ins Dunkle. Genau das ist an den Finanzmärkten aber manchmal gefragt, denn die Zukunft ist stets ungewiss. Bedenkenswert ist zudem, dass es Yellen trotz aller Vorsicht offenbar nicht in den Sinn kommt, dass sie zu viele Dollar produzieren könnte.

Inflation ist aber kaum ein Thema, eher das Gegenteil scheint das Problem zu sein.
Beim Einkaufen im Supermarkt sehen wir zwar noch kaum Inflation. Umso deutlicher zeigt sie sich aber an Wallstreet. Überhaupt: Was ist eigentlich das Problem mit tiefer Inflation? Die Zentralbanken und renommierte Ökonomen wollen uns glauben machen, dass eine ökonomische Katastrophe droht, wenn sich Geld nicht schneller als 2% pro Jahr entwertet.

Wie geht es an den Märkten nun weiter?
Wenn sich die Preise von Biotech-Aktien oder Agrargütern wie Mais oder Sojabohnen verzerren, hat das für die Finanzmärkte kaum grössere Konsequenzen. Anders ist das hingegen bei den Zinsen. Es handelt sich dabei um universelle Preise, nach denen künftige Cashflows abdiskontiert und Hemmschwellen für Investitionen definiert werden. Zinsen sind also eine Art Ampel im Strassenverkehr der Marktwirtschaft. Normalerweise stehen einige auf Grün, andere auf Gelb und manche auf Rot. Die meisten haben seit 2008 jedoch nur noch Grün angezeigt.

Steuern wir jetzt also auf eine Massenkarambolage zu?
Ziel der ultralockeren Geldpolitik war es, die Nachfrage zu steigern. Vergessen ging  aber, dass auch das Angebot wachsen würde. In den USA etwa konnten sich Ölförderer dank der niedrigen Zinsen günstig finanzieren. Dadurch kam es zur Überproduktion, was nun den Ölpreis belastet. Als Reaktion darauf drucken die Zentralbanken aber nur noch mehr Geld, um uns vor dem zu retten, was sie als die Gefahr von Deflation bezeichnen. Es ist eine Art Teufelskreis: Ein Stimulusprogramm führt zum nächsten und unkonventionelle zu immer extremeren Massnahmen. Die radikalsten geldpolitischen Interventionen stehen uns erst noch bevor.

Wie könnten sie denn aussehen?
Das ist kein Geheimnis. Als Nächstes kommt wohl das, was  der Ökonom Milton Friedman Helikoptergeld nannte. Mittlerweile wird bereits recht offen darüber gesprochen. Wie aus der Luft abgeworfen, werden den Bürgern direkt Checks zugestellt, womit das Bankensystem vollständig übergangen wird.

Würde das überhaupt funktionieren?
Die wechselseitigen Effekte der expansiven Geldpolitik werden immer deutlicher sichtbar. Sie verlagert künftigen Konsum in die Gegenwart und verschiebt Konkurse in die Zukunft. Schwache Unternehmen erhalten so weiterhin Kredit und überleben, obwohl sie nicht mehr nützlich sind. Kapitalismus ist jedoch ein dynamisches System, das auf Offenheit, Unternehmergeist und neuen Ideen basiert. Wie in einem Wald braucht es dafür Leben, aber auch Tod, denn sonst können neue Generationen nicht nachwachsen, und es resultiert eine Situation wie in Japan. Stimulusprogramme wie Quantitative Easing und ultratiefe Zinsen hemmen die Dynamik, das Wachstum und das Pulsieren wirtschaftlichen Lebens.

Die Angst vor Konkursen nimmt jetzt aber spürbar zu. Das signalisieren die steigenden Risikoprämien auf Junk Bonds.
Am Markt für Junk Bonds wurden die Schutzvorschriften für Gläubiger immer weiter gelockert. Dieses Mal wird es deshalb grössere Verluste geben als in vergangenen Zyklen. Damit droht aber nicht die Apokalypse. So funktioniert Finanzwirtschaft nun mal: Die Stimmung im Markt steigt immer weiter bis zu Euphorie, worauf sie in Besorgnis dreht und schliesslich in Angst und Schrecken wechselt – und das ist der Zeitpunkt zu kaufen!

Wo eröffnen sich Chancen? Stark unter Druck stehen zum Beispiel Aktien aus den aufstrebenden Märkten.
Generell ist die Zeit für Engagements dort wohl noch nicht reif. Manche Aktien haben aber so hart korrigiert, dass sie einen Blick wert sind. Die Titel des Finanzhauses Sberbank beispielsweise leiden schwer, weil es in Russland domiziliert ist. Es hat sich jedoch bravourös durch die Finanzkrise manövriert, ist bestens geführt und geografisch vielversprechend aufgestellt. Ein gutes Unternehmen zu einem günstigen Preis ist ebenso die Börse Moskau. Interessant sind ausserdem die Titel der Airline Avianca aus Kolumbien. Das Gleiche gilt für die Valoren des Lebensmittelkonzerns Grupo Nutresa, der als Nestlé Kolumbiens bezeichnet wird.

Wo sehen Sie sonst noch attraktive Aussichten für Investoren?
Wir erleben einen monetären Schlüsselmoment: Investoren beginnen, geldpolitische Interventionen kritischer zu bewerten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie  das ganze Chaos erkennen. Es ist bereits deutlich in den ungesund tiefen Zinsen, in den Verzerrungen im Kreditsektor und in den eskalierenden Eingriffen der Zentralbanken zu sehen: von Stimulusprogrammen über negative Zinsen bis hin zu Ideen wie Helikoptergeld. Anleger brauchen daher einen Schutz, wenn die Dinge nicht   nach Plan laufen. Das macht Gold und Goldminenwerte enorm spannend.

Was für Titel können Sie empfehlen?
Interessant sind Unternehmen, in denen der kanadische Entrepreneur Pierre Lassonde involviert ist. Er ist ein aussergewöhnlicher Exponent der Bergbaubranche, weil er vorrangig Geschäftsmann ist und erst an zweiter Stelle Geologe. Engagiert ist Lassonde zum Beispiel in Euro-Nevada und in New Gold. Spannend sind auch die Aktien von Barrick Gold. Der Konzern hat sich schwer verschuldet und sieht sich mit einer Restrukturierung konfrontiert. Der Aktienkurs reflektiert das aber bereits, womit das Potenzial umso grösser ist, wenn Gold anzieht.

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