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16:43 Uhr - 18.07.2014

Chinas Wirtschaft ist auf Regierungskurs

Das Bruttoinlandprodukt wächst wunschgemäss. Die Feinsteuerung der Wirtschaft zeigt kurzfristigen Erfolg, doch die Umsetzung der Reformen muss folgen.

Nach einem schwachen ersten Quartal hat die chinesische Wirtschaft bis zur Jahresmitte deutlich an Fahrt gewonnen. Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) wuchs im zweiten Quartal um 7,5% (Jahresvergleich), was dem Ziel Pekings für das ganze Jahr entspricht. Im ersten Quartal lag das Wirtschaftswachstum mit 7,4% leicht darunter und notierte ein Achtzehnmonatstief. Chinas Wirtschaft ist also auf Kurs – zumindest auf Regierungskurs.

Erreicht wurde das ansprechende Wachstum durch einen Mix von gezielten Stimulierungsmassnahmen und eine selektive Lockerung der Geldpolitik der People’s Bank of China (PBoC). Denn obschon die chinesische Regierung immer wieder bekräftigt hat, tiefere Wachstumsraten zu tolerieren, um die strukturellen Reformen voranzutreiben, scheint sie angesichts der Wirtschaftsschwäche zu Beginn des Jahres kalte Füsse gekriegt zu haben. Die höheren Infrastrukturinvestitionen und die Massnahmen der PBoC – wie reduzierte Mindestreservesätze für bestimmte Banken – haben Wirkung gezeigt. Das Wachstum von 7,5% übertrifft die Erwartungen der meisten Chinaanalysten.

Das spiegelt sich in den Produktionsdaten. Der offizielle Einkaufsmanagerindex PMI für den Industrieausstoss stieg vier Monate in Folge, von 50,2 im Februar auf 51 im Juni. Der unabhängige PMI der Grossbank HSBC (HSBA 619.8 2.04%), der mehr kleine und mittelgrosse Betriebe berücksichtigt als der staatliche Index, bestätigt diese Werte. Positiv zu Buche schlagen zudem die höheren Exporte. Im Inland sind die anziehende Nachfrage und die Infrastrukturinvestitionen die treibende Kraft.

Kreditvergabe stabilisiert

Die Anfang Woche publizierten Daten zur Kreditvergabe im Juni zeigen mit 17% die höchste Wachstumsrate seit drei Monaten.

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Das stabilisiert die Wirtschaft, könnte jedoch die Bemühungen, die exzessive Verschuldung einzudämmen, behindern.

Das Wachstum der Anlageinvestitionen, einer der Haupttreiber des chinesischen Wirtschaftswachstums, stieg im ersten Quartal auf 22% (Jahresvergleich), nachdem es im vierten Quartal 2013 noch 13,6% betragen hatte. Der Anstieg beschleunigte sich im zweiten Quartal abermals. Peking hat die Ausgaben für Infrastrukturinvestitionen, vor allem in Eisenbahnen, seit Anfang Jahr drei Mal angehoben.

Ein Blick auf die Finanzierung der Infrastrukturinvestitionen lohnt sich. Es scheint, als sei es Peking gelungen, diese Investitionen anzuschieben, ohne einen breiten Kreditboom auszulösen. Die PBoC kann gezielt Geld dorthin führen, wo sie es haben will – dies ermöglicht eine schnelle Transmission in die Realwirtschaft. Ebenfalls fällt auf, dass die Zentralbank innovativer geworden ist und neue, eher marktorientierte Mittel für ihre Zwecke nutzt, z. B. Zinskorridore statt fix vorgegebene Sätze. Sie führt auch neue Instrumente ein: Bald dürfen Banken gegen die Hinterlegung von Sicherheiten neue Kreditfazilitäten nutzen, um bestimmten Sektoren der Realwirtschaft mehr Geld zuzuführen.

Risiko in Immobilien

Trotz dieser vermeintlichen Wirtschaftsstärke nehmen die Risiken nicht ab. Der für China so wichtige Immobiliensektor krankt, und das verfügbare Kreditvolumen für den Immobilienbau nimmt ab. Nicht zuletzt das Schattenbankensystem hat vielen kleineren Immobilienentwicklern Geld zugeführt – eine strengere Regulierung dämmt diese Finanzierungsquelle ein. Die Regierung ist bislang nicht willens, die Einschränkungen des überhitzten Sektors zu lockern. Zudem kann sie viel weniger Einfluss auf den privaten Immobiliensektor nehmen als auf andere Bereiche, da die Kaufentscheide auf Haushaltsebene gefällt werden.

Der Immobiliensektor ist per se ein sehr wichtiger Treiber des chinesischen Wachstums und weist zudem extensive Verbindungen zum Rest der Wirtschaft auf. Tao Wang, Chinaökonomin von UBS (UBSN 16.64 0.85%), ist deshalb recht pessimistisch. Sie erwartet bereits für das vierte Quartal ein erneutes Nachgeben der Dynamik und für 2015 eine Wachstumsrate von noch 6,8%. Die gezielten Stimuli der Regierung und die Massnahmen der PBoC würden zwar den Grossteil des Einflusses des schwächeren Immobiliensektors wettmachen, aber eben nicht ganz. Sie sieht sogar eine Wahrscheinlichkeit von 15%, dass das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr gegen 5% sinkt. Als positiv wertet sie zumindest, dass es keine grossen Zahlungsausfälle im Schattenbankensystem gegeben habe – wie erwähnt eine wichtige Finanzierungsquelle für Immobilienentwickler.

Deregulierung hilft

Doch wenn staatliche Infrastrukturinvestitionen ineffizienter werden und der Immobiliensektor die Wirtschaft belastet – woher soll neues Wachstum stammen? Einige der begonnenen Wirtschaftsreformen sind vielversprechend, auch wenn sie keine schnellen Erfolge zeigen werden.

Neben der Liberalisierung des Finanzsektors und der Zinsen zielt die Regierung vor allem auch auf eine Vereinfachung der bürokratischen Prozesse. Für Privatunternehmen und den Dienstleistungssektor sollen die Eintrittsbarrieren gesenkt und die Bewilligungsverfahren erleichtert werden. Erhofft werden dadurch mehr private und mehr geschäftliche Investitionen.

Gavekal Dragonomics hat untersucht, welche der mehr als 400 angekündigten regulatorischen Änderungen von der neuen Regierung umgesetzt worden sind. Auch wenn die hochfliegenden Versprechen nicht erfüllt worden seien, habe sich die Deregulierung deutlich beschleunigt. Der Sektor, der den grössten Fortschritt aufweise, sei der richtige: Dienstleistungen.

Von 2002 bis 2004 ist die Zahl der administrativen Prozesse, die eine Bewilligung der Zentralregierung benötigen, um 17% pro Jahr zurückgegangen. Viel davon war auf den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO zurückzuführen. Von 2007 bis 2012 sank diese Zahl um jährlich lediglich 6%, was die These bestätigt, dass sich die Deregulierung in der zweiten Amtszeit von Hu Jintao und Wen Jiabao verlangsamt hatte. Für 2013 und 2014 ist die Streichung von 534 Prozessen geplant, was einem eindrücklichen Rückgang von 16% pro Jahr entspricht.

Doch Gavekal relativiert: Die Aufhebung vieler Massnahmen habe keinen direkten Einfluss auf Geschäftsaktivitäten. Zudem würden sie zum Teil auf die Provinz- oder Gemeindeebene abgeschoben, was die Gefahr von Korruption erhöhe. Doch insgesamt würdigen die Ökonomen von Gavekal die Deregulierungsbemühungen der Regierung als positiv.

Und der Konsum?

Die Förderung des Konsums ist ein weiteres zentrales Reformziel. Will die Regierung in Peking von dem investitionslastigen Wirtschaftsmodell abrücken und den inländischen Konsum stärken, müssen entsprechende Anreize gesetzt werden. Doch das ist nicht einfach. Der Hauttreiber für Konsum ist das Haushaltseinkommen, und das ist direkt abhängig vom Wirtschaftswachstum. Das BIP seinerseits hängt in der kurzen Frist hauptsächlich von den Investitionen ab. Stützt die Regierung das BIP-Wachstum durch zusätzliche Investitionen – was mit Blick auf die Reformen kontraproduktiv erscheint –, profitiert also auch der Konsum.

Steuererleichterungen für kleine Unternehmen, die Sozialreformen sowie die Wohnsitzerleichterungen für Hunderte von Millionen Chinesen, die bereits in städtischen Zentren leben, sollen den Konsum auch nachhaltig fördern. Tao Wang sieht dort, wo es im Angebot von  Konsumgütern und Dienstleistungen zurzeit noch Engpässe gibt, viel Potenzial zur Konsumförderung. Im Gesundheitssektor sei das Angebot viel zu knapp, und Freizeit und Tourismus seien wegen fehlender Kapazitäten und zu weniger bezahlter Ferientage noch eingeschränkt.

Es genügt nicht, dass die Wachstumsrate des chinesischen Bruttoinlandprodukts auf Regierungskurs ist. Auch der Inhalt muss stimmen.

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