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09:39 Uhr - 29.12.2014

Takata braucht selbst einen Airbag

Die millionenfachen Rückrufe von Airbags bedrohen die Existenz des japanischen Automobilzulieferers Takata. In Japan wird bereits über eine Rettung spekuliert.

Beim Airbag- und Sitzgurthersteller Takata (7312 9.552 6.87%) sitzen die Japaner wieder ganz allein am Steuer. Der Präsident und COO, der Schweizer Stefan Stocker, hat über Weihnachten seine beiden Posten an Chairman und CEO Shigehisa Takada abgegeben. Damit will der 48-jährige Enkel des Firmengründers, der Takata seit 2007 führt, laut offizieller Darstellung den Entscheidungsprozess beschleunigen.

In Wirklichkeit ist die Lage für das Unternehmen wohl so kritisch geworden, dass die Familie Takada mit einem Aktienanteil von 57% den Automobilzulieferer lieber komplett selbst führen will.

Wie eine abgeschossene Schrotladung

Stocker hatte bis 2009 die Japansparte des deutschen Automobilzulieferers Bosch geleitet und Takata seit 2012 beim Turnaround ihres Europageschäfts beraten. Nach den ersten Millionenrückrufen für fehlerhafte Takata-Airbags im Frühjahr 2013 wurde der 60-jährige als erster Ausländer und erstes Nichtmitglied der Takata-Familie zum Präsidenten berufen. Er sollte die Globalisierung beschleunigen.

Aber seitdem hat sich die Airbag-Krise immer mehr ausgeweitet: Inzwischen werden fünf Todesfälle und mindestens 139 Verletzte mit den mangelhaften Lebensrettern des Herstellers in Verbindung gebracht. Die Gasgeneratoren einiger Airbags können mit zu grosser Kraft zünden, sodass ihre stählerne Hülle wie eine abgeschossene Schrotladung in den Innenraum fliegt und bei den Fahrern schwere und teilweise tödliche Verletzungen verursacht.

Bereits über 24 Mio. Fahrzeuge zurückgerufen

Zwölf Autobauer mit Honda an der Spitze haben deswegen inzwischen über 24 Mio. Fahrzeuge in die Werkstätten zurückgerufen. Das geschieht teilweise präventiv: Aus Sorge um ihr Markenimage wollen die Autobauer nicht darauf warten, bis Takata alle Vorfälle aufgeklärt und die fehlerhaften Luftsäcke eindeutig identifiziert hat.

Bisher hat der japanische Zulieferer den falschen Umgang mit Explosivstoffen in mehreren Fabriken als Ursache identifiziert. Die Explosionsgefahr existiert nach Ansicht von Takata nur bei einigen älteren Modellen, da die Explosivmischung und die Verarbeitung inzwischen geändert worden sind.

Existenzgefährdende Dimensionen

Dennoch nimmt die Krise für Takata langsam existenzgefährdende Dimensionen an. Der Zulieferer von Luftsäcken, Sicherheitsgurten und anderer Autoausrüstung hat zwar 47,6 Mrd. Yen (390 Mio. Fr.) für die Reparaturen zurückgestellt und erwartet im laufenden Geschäftsjahr (bis 31. März) einen Verlust von 25 Mrd. Yen. Ausserdem ist noch nicht klar, in welchem Umfang man regresspflichtig gemacht wird und wie teuer die Entschädigungsklagen in den USA werden.

In seinem einzigen Interview versicherte Chairman Takada, die Kapitaldecke sei ausreichend und könne notfalls verstärkt werden. Das Airbag-Geschäft macht etwa zwei Fünftel des Umsatzes von zuletzt 560 Mrd. Yen (4,6 Mrd. Fr.) aus. Verbindlichkeiten von 317 Mrd. Yen standen Ende September Barmittel von 86,5 Mrd. Yen gegenüber. Aber das Brokerhaus Nomura schätzt die Kosten für den von Takata bisher verweigerten landesweiten Rückruf in den USA auf bis zu 109 Mrd. Yen. Dadurch würde das Nettovermögen auf magere 35,3 Mrd. Yen schrumpfen.

Investoren ziehen sich zurück

Der Aktienkurs spiegelt die miesen Aussichten mit einem Minus von knapp 60% in elf Monaten. Institutionelle Investoren ziehen sich zurück. Die Valoren sind zum Spielball von Privatanlegern an der Börse in Tokio geworden. Teilweise spekulieren sie auf eine Rettung des Zulieferers durch seine japanischen Grosskunden nach dem Vorbild von Renesas.

Der Chiphersteller für die Automobilindustrie war wegen der Tsunami-Katastrophe im März 2011 in finanzielle Turbulenzen geraten und drohte zu zerfallen. Ende 2012 wurde er vom staatlichen Sanierungsfonds INCJ aufgefangen. Die Schlüsselkunden Hitachi, Mitsubishi Electric, Nissan und Toyota kauften Anteile.

Too big to fail

Mit einem Weltmarktanteil von 20% bei Airbags und dem Schwerpunkt auf japanischen Autobauern gilt das Unternehmen Takata in der Heimat ebenfalls als too big to fail – als zu bedeutend, um es untergehen zu lassen. Ein Zulieferwechsel bei Airbags ist zwar wegen der tiefen Verankerung des Produkts in der Modellentwicklung schwierig und zeitaufwendig. Aber Takata gehört keinem Firmennetzwerk in Japan an und steht auch dort in scharfem Wettbewerb.

Daher erwarten Analysten Auftragsverluste von Takata bei Airbags an Branchenführer Autoliv aus Schweden, die japanische Daicel und die neue US-Tochter der deutschen ZF Friedrichshafen, TRW Automotive. Der wichtigste Grosskunde, Honda, hat Takata zwar Unterstützung während der Krise versprochen, aber eine Übernahme ausgeschlossen. So braucht Takata nun selbst einen Airbag. Die Gründerfamilie Takada steht vor schweren Entscheidungen, wie sich das Überleben ihres Erbes sichern lässt.

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