Zurück zur Übersicht
07:00 Uhr - 31.08.2015

Nur wenige Parallelen zur Asienkrise

Die Schwellenländer stehen nicht vor einem Kollaps wie in den Neunzigerjahren. Sie müssen aber lernen, mit weniger Wirtschaftswachstum auszukommen.

Die aktuellen Ereignisse in den Schwellenländern wecken Erinnerungen an die Krisen in Asien und Russland Ende der Neunzigerjahre. Auch damals fielen die Erdölpreise, auch damals floss in Erwartung einer strafferen Geldpolitik in den Industrieländern Kapital aus der Wachstumsregion ab und setzte die Währungen von Staaten mit Leistungsbilanzdefizit unter Druck.

In den Neunzigerjahren waren die asiatischen Währungen an den Dollar gekoppelt, so wie heute noch die chinesische Währung Renminbi. Anders als heute in China waren die Grenzen für das Kapital jedoch offen. Das führte in den aufstrebenden Märkten zunächst zu einem von ausländischen Investoren finanzierten Boom. Die Wachstumsraten und Zinsen waren höher als im Westen, das Währungsrisiko schien gering. Als die ersten Anzeichen einer Wachstumsverlangsamung sichtbar wurden und gleichzeitig die Zentralbanken in Europa und den USA höhere Zinsen in Aussicht stellten, versiegte der Kapitalzufluss. Die Währungen kamen unter Abwertungsdruck, die Zentralbanken versuchten, mit Interventionen auf dem Devisenmarkt die festen Wechselkurse zum Dollar aufrechtzuerhalten. Das war eine Einladung für spekulative Attacken. Denn die ohnehin nicht gerade üppigen Fremdwährungsreserven schmolzen dahin, bis sich die Zentralbanken gezwungen sahen, die Anbindung aufzugeben. Die Währungen stürzten ab (vgl. Grafik 1 unten) und mit ihnen ganze Volkswirtschaften, da das hohe Wachstum zuvor auf Pump war und viele Banken und Unternehmen unter der Last der Fremdwährungsschulden pleitegingen. Die aktuelle Abwertungsphase in den Schwellenländern verläuft gemächlicher (vgl. Grafik 2 unten) und ist in erster Linie die Folge der steten wirtschaftlichen Abkühlung.zoomzoomDer fremdfinanzierte Wachstumsboom endete abrupt. Das Resultat war verheerend, daran änderten auch die Hilfsprogramme des Internationalen Währungsfonds wenig. Ganz Südostasien fiel in eine scharfe Rezession und brauchte Jahre, um sich vom Schock zu erholen. In Südkorea machten 1998 zehn Banken dicht. Die Krise in Asien schärfte das Bewusstsein für die Risiken in den Schwellenländern. Das mündete später im Zahlungsausfall Russlands.

Flexible Wechselkurse

Auch wenn es Parallelen gibt, unterscheidet sich die derzeitige Abwertungsphase von den Krisen der Neunzigerjahre in vielen Punkten. «Allein schon vom Ausmass her lassen sich die heutigen Wechselkursveränderungen nicht mit denen während der Asienkrise vergleichen», meint Koon Chow, Schwellenländerstratege bei UBP.

Zwischen Mitte 1997 und Anfang 1998 fiel der Wert des thailändischen Bahts und des koreanischen Wons um mehr als 50%. Die indonesische Rupiah war Ende 1998 im Vergleich zu vor der Krise weniger als ein Fünftel wert. In der derzeitigen Schwellenländerschwäche hat selbst der brasilianische Real seit 2013 zum Dollar «nur» 40% verloren. Die Abwertung des Ringgits beläuft sich trotz der jüngsten Beschleunigung insgesamt «erst» auf 25%.

Pessimisten würden angesichts dieser Zahlen entgegenhalten, dass eine weitere Abwertung wahrscheinlich sei und nicht mehr so viel fehle, bis das Ausmass der Asienkrise erreicht sei. Sergei Strigo, Leiter Festverzinsliche Emerging Markets von Amundi Asset Management, betont deshalb lieber die allgemeinen fundamentalen und strukturellen Unterschiede. «Die Volkswirtschaften sind heute viel anpassungsfähiger», sagt er.  Grund dafür sei das System flexibler Wechselkurse. In einem solchen System erfüllen die Währungen eine Art Ventilfunktion. Verschlechtern sich die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, werten sie sich ab. Die Abwertung belebt die Exporte und verteuert die Importe. «So werden externe Ungleichgewichte korrigiert», sagt Strigo.

In den Neunzigern dagegen waren die asiatischen Währungen an den Dollar gekoppelt. Es konnten sich Spannungen aufbauen, die sich dann mit voller Kraft entluden. Die derzeitige Abwertung in den Schwellenländern zieht sich jedoch bereits mehrere Jahre hin. Sie ist laut Strigo Ausdruck der Wachstumsverlangsamung in den Schwellenländern, was in erster Linie mit der Abkühlung in China und der Rohstoffbaisse zu tun habe.

Kein «Boom and Bust»

Die Analysten von Capital Economics sehen besonders darin einen grossen Unterschied zur Krise 1997. Vor der Asienkrise lief die dortige Konjunktur auf Hochtouren, es drohte eine Überhitzung. Diesmal sind die Schwellenländer schon seit 2011 mit einer nachlassenden Dynamik konfrontiert. Vor der abwertungsbedingten Teuerung war Inflation in den vergangenen Jahren praktisch nirgends ein Thema. In Ländern wie Thailand, Südkorea und Taiwan schien eher das Gegenteil – eine zu geringe Teuerung – das Problem.

zoom

zoom

«In den Ländern mit wenig Wachstum und kaum Inflation ist die Abwertung der eigenen Währung willkommen», sagt Chow. Die Vorteile seien grösser als die Nachteile. Die Abwertung der Währung verbessert die Profitabilität der exportorientierten Unternehmen. Sie belebt die Exporte und verteuert Importe. Es ist die Art von «Reflation», die auch Japan unter Premier Shinzo Abe anstrebt.

Neben der höheren Inflation zählt Chow den Anstieg der Fremdwährungsschulden zu den Kosten der Abwertung. Wenn sich der Wert einer Währung halbiert, verdoppelt sich die Schuldenlast.

Weniger Auslandschulden

Das hat die Länder Südostasiens 1997/98 ins Verderben gestürzt. Wie Mexiko zu Beginn jenes Jahrzehnts hatten sie die Ursünde der Schwellenländer begangen und sich in einer Währung verschuldet, die sie nicht selbst kontrollieren konnten.

«Der Anteil der Fremdwährungsschulden ist heute kleiner als damals», sagt Strigo. Deshalb seien keine grösseren Solvenzprobleme zu erwarten. «Natürlich gibt es Ausnahmen wie etwa Venezuela, aber sie sind bekannt.» Die Dollarkredite an die Schwellenländer haben zwar in den vergangenen Jahren rasant zugenommen – die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich spricht von einer Verdoppelung auf über 3 Bio. $ seit 2006. Gemessen an den Auslandschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) stehen jedoch gerade die ehemaligen asiatischen Krisenländer heute besser da als 1997.

Fundamentaldaten der Schwellenländer vor der Asienkrise 1997/98 und heutezoom

Malaysia ist die Ausnahme, was laut Experten mit dem Energiekonzern Petronas zu tun hat. Auffällig hohe Auslandschulden weist Osteuropa auf. Dort lauten die Fremdwährungskredite jedoch vorwiegend auf Euro, und gegenüber ihm haben sich die Währungen stabil entwickelt. Der Dollar spielt vor allem für Länder wie Chile, die Türkei, Malaysia und Russland eine wichtige Rolle als Finanzierungsquelle. Dort ist der Anteil Dollarschulden am BIP mit Werten zwischen 25 und 38% am grössten. Die Hauptschuldner sind nicht Staaten, sondern Unternehmen. «Sie haben aber oft auch Einnahmen in Dollar. Man denke etwa an die Erdölgesellschaften», sagt Strigo.

Höhere Devisenreserven

Eine Abwertung ist tendenziell schädlicher, wenn sie sich in hohem Tempo vollzieht. Dann häufen sich panikartige Dollarkäufe, und der Wertzerfall beschleunigt sich. Die Zentralbank kann die Währung stützen, indem sie auf dem Devisenmarkt Dollar gegen Heimwährung verkauft. Umfangreiche Dollarreserven erhöhen die Wirksamkeit einer solchen Intervention. Allgemein sind die Devisenreserven seit den Neunzigern deutlich gestiegen. China verfügt über mehr als 3 Bio. $, Russland 430 Mrd. $, Südkorea und Brasilien etwas weniger als 400 Mrd. $. Selbst gemessen am BIP sind die Reserven mit Ausnahme von Argentinien und Venezuela überall gestiegen.

Während eine Neuauflage der Asienkrise nicht zu erwarten ist, sind schmerzhafte Anpassungsprozesse in einzelnen Ländern wahrscheinlich. Denn die Türkei, Südafrika, Brasilien und Indonesien bleiben wegen des hohen Leistungsbilanzdefizits auf ausländisches Kapital angewiesen. Ihnen droht eine länger anhaltende Stagflation mit wenig Wachstum und hoher Inflation.

 

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.