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11:32 Uhr - 18.11.2015

«Ich traue den jüngsten Kursavancen nicht»

Michael Browne, Fondsmanager für europäische Aktien bei der Legg-Mason-Tochtergesellschaft Martin Currie, erläutert im Interview mit «Finanz und Wirtschaft», dass er auf Unternehmen mit gesunder Bilanz setzt.

zoomHerr Browne, Sie haben in Ihren Long-Short-Strategien per Saldo ein Aktien-Exposure von lediglich 30%. Was sind Ihre Bedenken?
Die negativen Auswirkungen der Halbierung der Ölpreise kommen allmählich zur Geltung. Der Rückgang der Investitionen war derart heftig, dass die Vorteile für die Konsumenten mehr als wettgemacht wurden. Im dritten Quartal wurden die Gewinnschätzungen vermehrt nach unten revidiert und am Markt für Unternehmensanleihen hat sich die Lage empfindlich angespannt. Die Renditeaufschläge sind gestiegen und Neuemissionen wurden vertagt. Auf einmal waren die Leute nicht mehr bereit, Kapital zur Verfügung zu stellen. Solche Signale muss man ernst nehmen, denn sie waren in der Vergangenheit Vorboten einer Krise.

Und wie beurteilen Sie die Konjunktur?
Das gesamtwirtschaftliche Umfeld ist rauer geworden. Der Abschwung in der Industrie ist im vollen Gange. Man muss schon sehr optimistisch sein, um zu prognostizieren, dass es bald wieder dreht. Ich würde die Situation so beschreiben: Wir lehnen uns an einen Zaun, der am Abgrund steht. Er könnte dem Druck standhalten, aber vielleicht auch nicht.

An den Märkten dominieren derzeit die Optimisten, und die Börsen steigen.
Den jüngsten Kursavancen traue ich nicht. Fundamental sind sie nicht begründet. Ausschlaggebend für die Erholung war die Eindeckung von Short-Positionen.

Sie setzen auch auf fallende Kurse. Wie finden Sie Aktien, die Sie leer verkaufen?
Wir suchen Unternehmen, die den Cashflow, den der Marktkonsens erwartet, unserer Meinung nach nicht erzielen werden. Das ist dann am wahrscheinlichsten, wenn sie strukturelle Probleme haben oder mit hohem Fremdkapitaleinsatz und falschem Management in einen zyklischen Abschwung geraten. Ein Unternehmen, das das falsche Produkt zur falschen Zeit verkauft, ist nicht mehr zu retten – es hat ein strukturelles Problem. Es gibt aber auch Unternehmen mit gutem Geschäftsmodell, aber einer schwachen Bilanz und dem falschen Management. Geraten solche Unternehmen in einen Abschwung, eröffnen sich Chancen für Leerverkäufer.

Gibt es aktuelle Beispiele?
Der Erdölsektor ist ein Paradebeispiel. Der Ölpreis begann im Sommer 2014 zu fallen. In der Branche wurde in den Jahren zuvor aggressiv akquiriert, und für die Investitionen wurde viel Fremdkapital aufgenommen. So schlitterten viele Gesellschaften hochverschuldet in den Abschwung. Schon bald konnten sie die Klauseln in den Kreditverträgen nicht mehr erfüllen, und eine Kapitalisierung oder Reorganisation wurde unvermeidbar. Oft kommt das Management mit einer solchen Aufgabe nicht zurecht. Die Leute, die erfolgreich darin sind, eine Expansion voranzutreiben, sind meist keine guten Sanierer und schon gar keine Kostensenker.

Wann schliessen Sie eine Short-Position?
Wir berechnen auf Basis der Cashflow-Schätzung, wo der faire Preis sein sollte. Sobald dieses Preisziel erreicht ist, schliessen wir die Position. Eine Frage, die wir uns stellen, ist, wie würden wir das Geschäftsmodell und die Marke bewerten, wenn wir ein Private-Equity-Investor wären. Denn eine Übernahme kann für den Leerverkäufer schmerzhaft sein.

Gibt es in Europa überhaupt noch Unternehmen mit gehebelter Bilanz?
Davon gibt es tatsächlich immer weniger. Die Banken haben im Zuge der schärferen Kapitalanforderungen ihre Bilanzen gestärkt und die Kreditvergabe gedrosselt. Wir müssen deshalb zunehmend auf Aktien von Unternehmen ausweichen, die zwar über einigermassen gesunde Bilanzen verfügen, sich aber in einem Abschwung befinden, der hartnäckiger ist, als der Marktkonsens annimmt. Ich erlebe immer wieder, dass Leute einen Abwärtstrend wegen des statistischen Basiseffekts unterschätzen. Sie können sich kaum vorstellen, dass Umsatzzahlen, die dieses Jahr 10% gefallen sind, nächstes Jahr nochmals 10% schrumpfen.

Welche europäischen Aktien oder Branchen befinden sich denn aktuell auf dem absteigenden Ast?
Der Baustoffsektor in Deutschland und in der Schweiz zum Beispiel ist in einer schlechten Ausgangslage. In der Schweiz zeichnet sich ein Ende des Immobilienbooms ab, aber auch in Deutschland ist die Neubautätigkeit viel schwächer, als die tiefen Zinsen erwarten liessen. Damit bleibt auch die Nachfrage nach Baustoffen hinter den Erwartungen zurück. Zudem ist der Preiswettbewerb sehr gross, und für Schweizer Produzenten kommt der starke Franken als Nachteil dazu.

Grosskonzerne wie LafargeHolcim (LHN 54.5 -2.24%) oder HeidelbergCement verdienen ihr Geld aber hauptsächlich ausserhalb Europas.
Das macht es ja noch schlimmer. Angesichts der dortigen Wachstumsverlangsamung – Brasilien steckt gar in einer scharfen Rezession – ist eine starke Präsenz in den Schwellenländern derzeit kein Vorteil.

Eine der grössten Positionen in Ihrem Fonds ist die französische Klépierre. Welche Überlegung steckt dahinter?
Klépierre ist eine der grössten Besitzerinnen von Geschäftsimmobilien in Europa, spezialisiert auf Einkaufszentren. Im Frühling hat sie sich mit der niederländischen Corio zusammengeschlossen. Der Markt war gegenüber der Fusion sehr skeptisch. Trotzdem zahlt Klépierre weiterhin eine Dividendenrendite von 4%. Wir rechnen mit einem Gewinnwachstum von 3 bis 4%. Die Umsatzzahlen zeigen nach oben. Es gibt nichts, was wir an diesem Unternehmen auszusetzen hätten.

Haben Sie auch Banken im Portfolio?
Ja, zum Beispiel Aareal Bank. Der deutsche Immobilienfinanzierer ist eines der wenigen Institute, die es schaffen, laufend genug Geld zu verdienen, um die Kapitaldecke zu stärken und die Kreditvergabe auszuweiten. Aareal Bank profitiert davon, dass die anderen Banken als Folge der Finanzkrise mit der Kreditvergabe immer noch zurückhaltend sind. Die Margen im Hypothekargeschäft sind deswegen deutlich höher als vor 2008.

zoomDie Aktien der Kreuzfahrtgesellschaft Carnival (CUK 51.89 -0.65%) sind in einem Jahr 50% gestiegen. Ist es Zeit, Gewinne zu realisieren?
Nein. Die Aktien sind zwar nicht mehr billig, aber ich sehe Carnival auch 2016 auf der Erfolgsschiene. Die Kreuzfahrtindustrie hat sich von der Krise nach den Zwischenfällen vor Giglio und Florida erholt und beginnt nun, gutes Geld zu verdienen. Die Treibstoffpreise fallen und wegen der starken Nachfrage können die Anbieter die Ticketpreise erhöhen. Mit der Öffnung Kubas erschliesst sich eine neue Destination. Die Aussichten für die Branche sind sehr gut: Der demografische Wandel spielt ihr in die Hände. Die Generation der Baby-Boomer, die jetzt in Pension geht, hat Zeit und Geld für solche Reisen, gleichzeitig ist das Angebot begrenzt.

Was reizt Sie am britischen Papier- und Verpackungsunternehmen DS Smith (SMDS 402.7 -1.15%)?
Im Zeitalter des Rückgangs der Printmedien erscheint unser Engagement auf den ersten Blick kontraintuitiv. Doch DS Smith ist führend im Geschäft mit Kartonschachteln und vom Strukturwandel im Verlagswesen nicht betroffen. Die ganze Branche ist an Kapazitätsgrenzen gestossen, es liegen daher Preiserhöhungen drin. DS Smith ist ausserdem spezialisiert und bietet innovative Lösungen an, beispielsweise Kartonbehälter für Detailhändler, die sich auch zum Präsentieren der Ware eignen.

Was ist mit Volkswagen (VOW 128.5 1.02%)? Ist der Abgas-Skandal ein Anlass, um die Aktien leer zu verkaufen, oder bietet der Kurssturz eine Kaufgelegenheit?
Von solchen Aktien lasse ich die Finger. Es könnte eine riesige Klagewelle auf den Konzern zukommen. In Grossbritannien zum Beispiel werden Wagen mit niedrigen Abgaswerten weniger stark besteuert. Durch die gefälschten Werte wurde der Staat so um Steuergelder betrogen. Und stellen Sie sich vor, was das für das Leasing-Geschäft bedeutet, wenn die Autos wegen der höheren Abgaswerte auf einmal viel weniger wert sind. Man kann den Schaden nicht einmal annäherungsweise berechnen. Bei den Banken war das anders. Irgendwann war in etwa klar, wie hoch die Bussen ausfallen würden, und der Fall war erledigt.

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