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18:38 Uhr - 09.01.2015

«Die Eurokrise ist zurück»

im Interview mit «Finanz und Wirtschaft» erachtet Willem Buiter, Chefökonom von Citi, den Schuldenerlass für Griechenland als sicher, mit Folgen für die ganze Peripherie.

Medienberichten zufolge ist die  deutsche Regierung davon überzeugt, dass die Eurozone mittlerweile robust genug ist, um einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone ohne grösseren Schaden zu überstehen. Willem Buiter hat schon 2010 bis 2012 – in der akuten Phase der Schuldenkrise in Europa – vor den Effekten eines solchen «Grexit» gewarnt. Und auch jetzt ist der Citigroup-Chefökonom überzeugt, dass er schwerwiegende Konsequenzen hätte.

Herr Buiter, wäre ein «Grexit» heute – wie die deutsche Regierung gesagt haben soll – ein kleineres Problem als 2012?
Ich bin nicht überrascht, dass die deutsche Regierung diese Aussage nicht öffentlich gemacht hat.Sie wäre nur sehr oberflächlich betrachtet wahr. Es stimmt allerdings, dass der grösste Teil der griechischen Staatsschulden nicht mehr vom Privatsektor gehalten wird, sondern von öffentlichen Zur PersonWillem Buiter ist bekannt für ungeschminkte Äusserungen. Als Professor für politische Ökonomie an der London School of Economics sowie davor an den Universitäten Yale und Cambridge war er seit Beginn der Finanzkrise einer der weitsichtigsten Beobachter des Geschehens.
Anfang 2010 wechselte er überraschend als Chefökonom zu Citigroup. Die Befürchtung, er werde dadurch zahm, hat sich nicht bewahrheitet. Von 2005 bis 2010 fungierte Buiter zudem als Berater für Goldman Sachs, davor amtierte er als Chefökonom der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD).
Von 1997 bis 2000 war er externes Mitglied des geldpolitischen Komitees der Bank of England. Er beriet den Weltwährungsfonds IWF, die Weltbank und die Europäische Kommission.
Instituten wie der Europäischen Zentralbank und dem Rettungsfonds ESM. Banken und Private haben griechische Staatsanleihen abgestossen. Der direkte Effekt auf den Privatsektor wäre damit sehr viel geringer als 2012.

Gibt es denn indirekte Effekte?
Ja, selbst dann, wenn niemand mehr griechische Staatsschulden halten würde. Ein Euroaustritt ist etwas, was immer als Ding der Unmöglichkeit bezeichnet wurde. Kommt es nun doch dazu, werden sich die Märkte fragen: Welches Land kommt als Nächstes? Die Liste wird länger und länger. Neben den üblichen Verdächtigen Portugal, Spanien und Italien bereitet auch Frankreich Sorge. Die Anleger würden bei einem «Grexit» Positionen in diesen hoch verschuldeten Ländern ohne Wachstum abbauen. Die Risikoaufschläge ihrer Staatsanleihen würden steigen.

In Griechenland liegt die Linkspartei Syriza in den Wählerumfragen vorne. Wie gefährlich wäre ihr Sieg?
Wenn Syriza die Wahlen gewinnt, werden die Verhandlungen mit Athen natürlich schwieriger als mit der jetzigen Regierung. Aber anders als andere Protestparteien in Europa ist Syriza gegen die Austeritätspolitik, nicht gegen den Euro. Und ein Schuldenschnitt ist unausweichlich.

Wird sich die EZB als Gläubigerin wie schon 2012 nicht daran beteiligen?
Vielleicht, aber sie sollte es. Gläubiger sollten gleich behandelt werden. Wenn sie eine falsche Anlageentscheidung getroffen haben, sollten sie die Konsequenzen tragen, nicht die Steuerzahler.

Wären die Ansteckungsrisiken eines Schuldenschnitts geringer als damals?
Wie im Fall eines Euroaustritts wären die direkten Ansteckungsgefahren klein, denn die finanziellen Verbindungen sind geringer. Aber was nicht reduziert wurde, ist die Ansteckungsgefahr auf einer kognitiven und politischen Ebene: Wenn Griechenland eine vorteilhafte Einigung mit den Gläubigern aushandeln kann, dann werden andere Schuldner eine ähnliche Behandlung anstreben.

Was wäre denn ein guter Deal für Athen?
Ein Erlass von zwei Dritteln der Schulden wäre wohl notwendig, um die Staatsschuld im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung von gegenwärtig rund 170 auf 60% zu reduzieren. Letzteres kann als Grenze für eine nachhaltige Verschuldung gelten.

Ist der Finanzsektor wirklich robuster als vor einigen Jahren?
Die Bankenunion steht bald. Die darin vorgesehene Möglichkeit, dass sich Anleihengläubiger auch an den Verlusten der Banken beteiligen, wird zwar erst 2016 greifen. Und natürlich müsste der Rettungsfonds  ESM eine weit höhere Kapazität haben – allein schon deswegen, weil die meisten seiner Rettungsgelder bereits gebunden sind. Das Anleihenkaufprogramm der EZB von 2012, unter bestimmten Bedingungen Staatsanleihen kriselnder Staaten zu kaufen, wenn sie Reformbedingungen erfüllen, ist ebenso ungetestet wie umstritten. Trotzdem steht das Finanzsystem alles in allem besser da als 2012. Und das, obwohl eine grosse Gelegenheit vergeben wurde.

Welche?
Der Bankenstresstest der EZB war ein Witz. Sogar EZB-Offizielle wie Ignazio Angeloni geben zu, dass die sich daraus ergebende Kapitallücke nur die Spitze des Eisbergs sein könnte. Die EZB behauptete, dass die Banken vergleichbarer würden durch die Bemessungsregeln für die Bankbilanzen. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass es eine Vielzahl nationaler Ausnahmen gab. Aber trotz dieses Versäumnisses stehen die Banken nicht schlechter da als 2012. Viel schlechter ist dagegen die politische Stimmung gegenüber der EU.

Wo sehen Sie die Spannungen zunehmen?
Neben den traditionellen antieuropäischen Parteien wie dem Front National (NATN 80.9 0.31%) in Frankreich sind weitere in Spanien, Italien und sogar Deutschland dazugekommen. Italien hat mittlerweile drei Parteien, die den Austritt aus dem Euro anstreben: die Fünf-Sterne-Bewegung, die Lega Nord und die Linkspartei SEL. In Deutschland ist es die Alternative für Deutschland. Grossbritannien wählt im Mai ein neues Parlament. Die Gefahr eines «Brexit», eines Austritts Grossbritanniens aus der EU, ist ein Risiko für das Wachstum. Die Unternehmen würden mit ihren Kapitalinvestitionen zuwarten, bis das für 2017 erwartete Referendum Klarheit schafft, ob Grossbritannien in der EU bleiben will. Und treten die Briten aus der EU aus, werden die Schotten vielleicht wieder aus Grossbritannien austreten wollen.

Glauben Sie, dass die Eurozone dieses Jahr in den Krisenmodus zurückfällt?
Den Anfang der «Eurokrise 2015» haben wir bereits erlebt. Wir werden mehr wissen nach den Wahlen in Griechenland. Aber um eine Umschuldung des Landes wird so oder so niemand herumkommen.

Wird es dieses Jahr ähnlich wie 2012 eine Rettungsmassnahme der EZB für den Euro brauchen? Was erwarten Sie von der nächsten EZB-Ratssitzung am 22. Januar?
Die EZB hat womöglich Angst, den Eindruck zu erwecken, unter dem Einfluss der Griechenlandwahlen am 25. Januar zu agieren. Ich gehe davon aus, dass sie daher etwas eher Fades und Mutloses beschliessen wird. Was sie beschliessen sollte, ist ein gross angelegtes Wertschriftenkaufprogramm im Stil des Quantitative Easing bzw. QE des Fed, bei dem auch Staatsanleihenkäufe eingeschlossen sind. Letzteres könnte etwa im Verhältnis zu den Quoten umgesetzt werden, die die einzelnen Mitgliedländer an der EZB halten. Und es sollte mit 1 Bio. € anfangen. Was sie dagegen tunlichst vermeiden sollte, sind eine Beschränkung der Käufe auf Titel mit Höchstqualität oder ein Ausschluss der Anleihen von Krisenstaaten aus der Peripherie.

Die Bewertungen an den Börsen und bei vielen Anlageklassen sind bereits hoch. Ausserdem haben auch die drei Runden quantitativer Lockerung des Fed gezeigt, dass der Grenznutzen von QE abnimmt.
Ein QE wird die Probleme der Eurozone natürlich nicht lösen, und es wird für eine Erholung nicht reichen. Aber es wird die Risikoaufschläge noch etwas weiter komprimieren, wenn auch nur bei liquiden Wertschriften. Das wahre Glück der Eurozone ist derzeit eigentlich der fallende Rohölpreis.

Wie schätzen Sie seinen Effekt ein?
Wir rechnen mit einem durchschnittlichen Rohölpreis von 63 $ pro Fass im laufenden Jahr. Die erdölexportierenden Länder werden dabei verlieren, die einführenden Staaten gewinnen. Wir glauben, dass der Effekt auf die Weltwirtschaft insgesamt positiv sein wird. Die Eurozone gehört hier zu denen, die am meisten profitieren werden, da sie ein grosser Nettoimporteur von Rohöl ist. Der Preiszerfall wird sowohl auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite helfen: Die Produzenten können günstiger produzieren, und die Konsumenten werden mehr für andere Güter in der Tasche haben. Wir gehen davon aus, dass der niedrigere Ölpreis das Wachstum in der Eurozone um 0,3 Prozentpunkte anschieben wird. Der schwache Euro wird zusätzlich helfen, da viele Mitgliedländer Exporteure sind. Aber um sich wirklich zu erholen, braucht die Eurozone eine Kapitalerhöhung der Banken, ein QE, fiskalische Konjunkturmassnahmen und Strukturreformen.

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Wenn die EZB sich dazu durchringt, Staatsanleihen zu kaufen, wird sie ein Tabu brechen, für dessen Schutz Jens Weidmann, der Präsident der Bundesbank, lange kämpfte. Sollte er bei einem Beschluss zugunsten eines QE zurücktreten?
Nein, warum auch? Ich glaube, diese Vorstellung, dass die EZB möglichst einstimmig hinter einer Massnahme stehen sollte, ist falsch. Alle grösseren Notenbanken entscheiden durch Mehrheitsbeschluss. Es gibt Regeln, die bei der Gründung der EZB beschlossen wurden, und daran muss man sich halten. Wenn Deutschland damit nicht glücklich ist, muss es versuchen, die entsprechenden Verträge zu ändern. Ein Vetorecht wäre gefährlich – und ausserdem ein Zeichen eines sehr schlechtes Verständnisses davon, wie Ökonomie funktioniert.

Deflation setzt EZB unter ZugzwangEin QE wird wahrscheinlicher. Lesen Sie hier mehr.

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