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11:33 Uhr - 02.10.2015

«Der Konjunkturaufschwung geht zu Ende»

Thomas Mayer, Währungsexperte, befürchtet eine Rezession in den USA. Europa werde angesteckt, und die Schwellenländer seien in einer Anpassungskrise.

Die Finanzmärkte trauen dem Wirtschaftsaufschwung nicht mehr. Ursachen dafür sind die US-Geldpolitik, die Konjunkturschwäche in China und die fallenden Rohstoffpreise. Thomas Mayer, Direktor des Flossbach von Storch Research Institute in Köln, sieht das Ende des Aufschwungs nahen und befürchtet eine globale Rezession. Die Welt befinde sich in einem Abwertungswettlauf, in einer Währungskrise werde der Euro als Erster straucheln.

Zur PersonSpätestens seit seinem Ruf (zusammen mit Daniel Gros) nach einem europäischen Währungsfonds ist Thomas Mayer einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Vorschlag wurde Monate vor dem Ausbruch der Griechenlandkrise im Frühling 2010 gemacht und nahm viel von dem vorweg, was später auf Umwegen tatsächlich notwendig wurde, etwa mit dem Rettungsschirm ESM. Mayer, Jahrgang 1954, ist Direktor des Flossbach von Storch Research Institute in Köln. Er promovierte 1982 an der Universität Kiel und war danach bis 1990 beim Internationalen Währungsfonds tätig. Als Makroanalyst arbeitete er unter anderem zehn Jahre bei Goldman Sachs und ab 2002 bei der Deutschen Bank, zuletzt bis Mitte 2012 als ihr Chefökonom. Er ist Senior Fellow am Center for Financial Studies der Goethe-Universität Frankfurt. FuWHerr Mayer, Sie sorgen sich um die amerikanische Wirtschaft und schliessen auch eine Rezession nicht aus – mit Auswirkungen auf die Weltwirtschaft?
Ich spreche nicht nur – aber auch – die amerikanische Wirtschaft an. Der gegenwärtige konjunkturelle Aufschwung in den USA läuft bereits seit 74 Monaten. Damit befinden wir uns, historisch betrachtet, in einem bereits relativ alten Aufschwung, an dessen Ende die Geldpolitik stets verengt wird. In der Tat hat die amerikanische Notenbank Fed  2014 ihre üppigen Geldspritzen eingestellt. Und jetzt möchte sie die Leitzinsen erhöhen. Das signalisiert in der Regel das Ende des Aufschwungs.

Das sind historische Betrachtungen. Aber sind auch weitere Bedingungen für einen Abschwung gegeben?
Durchaus, denn in den USA steigen die Lohnstückkosten bereits schneller als die Erzeugerpreise ohne Nahrungsmittel und Energie. Wenn die Arbeitskosten der Unternehmen steigen und ihr Gewinn schrumpft, dann dauert es nicht mehr lange, bis sie die Investitionen kürzen und die Zahl der Mitarbeiter verringern. Seit den Sechzigerjahren wurden die Aufschwünge in den USA immer auf diese Weise beendet.

In der Spätphase eines Aufschwungs stieg früher immer auch die Inflation. Davon ist heute nichts zu spüren.
Richtig. Doch die Preisinflation ist selbst kein Grund für das Ende eines Aufschwungs. Ausschlaggebend sind die Gewinne der Unternehmen. Diese leiden, wenn die Lohn- oder die Kapitalkosten schneller steigen als die Preise. Insofern ist eine Rezession bei steigenden, gleichbleibenden oder fallen Preisen möglich.

Wann rechnen Sie in den USA mit einer Rezession? 2016 ist Wahljahr, da dürfte die Regierung ihren ganzen Einfluss geltend machen, um die Konjunktur zu stützen.
Die Frage ist, ob die Regierung etwas bewirken kann. Wird die Politik in der Lage sein, wichtige, die Konjunktur tragende  Entscheidungen zu treffen? Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kongress ist eher zu befürchten, dass sich Kongress und Präsident gegenseitig blockieren.

Schätzt auch das Fed die US-Konjunktur als nicht mehr so rosig ein, da es sich jüngst wiederum nicht dazu durchringen konnte, den Leitzins zu erhöhen?
Die jüngeren amerikanischen Konjunkturdaten vermitteln in der Tat nicht mehr das Bild einheitlich aufwärts gerichteter Indikatoren. Aber ich glaube, dass bei der jüngsten Entscheidung des Fed, den Leitzins unverändert zu lassen, nicht so sehr die heimische Lage entscheidend war, sondern die globale wirtschaftliche Situation. Bemerkenswert ist, dass  die Fed-Präsidentin Janet Yellen auch die weltwirtschaftliche Situation beleuchtet hat.

Aber die US-Notenbank hat kein Mandat, ihre Politik nach weltwirtschaftlichen Erfordernissen auszurichten.
Dennoch, die globale wirtschaftliche Entwicklung hat einen grossen Einfluss auf die US-Finanzmärkte, die wiederum erheblich auf die US-Wirtschaft einwirken. Dieser Transmissionsmechanismus veranlasst das Fed mittlerweile, auch über die Landesgrenze hinaus zu blicken.

Einerseits müsste die US-Notenbank die Zinsen erhöhen, will sie nicht erneut Fehlinvestitionen und Blasenbildung riskieren. Aber kann sie dies ohne wirtschaftliche Risiken für die USA tun?
Die Notenbanker sitzen jetzt in der Tat in der Klemme. Die Geldpolitik wird künftig nicht mehr mithelfen können, eine schwierige wirtschaftliche Situation zu überwinden. Das Pulver ist verschossen. Nach der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise war es politisch nicht durchsetzbar, die Ungleichgewichte, die sich gebildet hatten, konsequent zu bereinigen. Zwar gelang es, eine Depression zu verhindern, aber die notwendige schöpferische Zerstörung, die einen kraftvollen konjunkturellen Neuanfang ermöglicht hätte, wurde  nicht gewagt. So ist unter enormem Mittelaufwand, mit dem der Aufschwung in Gang gesetzt worden ist, der Erfolg für das Wachstum eher bescheiden.

Wie würde sich eine amerikanische Rezession auf die Weltwirtschaft auswirken?
Das Problem ist ja: Wir befinden uns bereits in einer Schwächephase der Weltwirtschaft. Würde nun die grösste Volkswirtschaft der Welt in eine Rezession abgleiten, dann  wäre eine globale Rezession kaum zu vermeiden.

Welches sind die Ursachen für das bereits schwache Wachstum der Weltwirtschaft?
Das Hauptproblem sind die Schwellenländer. Sie haben zwar in der Finanz- und Wirtschaftskrise verhindert, dass die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession fiel. Aber die einstigen Hoffnungsträger leiden heute unter erheblichen Problemen. Sie spüren die kräftig gefallenen Rohstoffpreise, hinzu kommen gravierende Probleme in der Wirtschaftspolitik.

Wie sieht es in den wichtigsten Schwellenländern aus?
Russland steckt  in einer tiefen Rezession, wobei der Absturz des Ölpreises eine erhebliche Rolle spielt. Aber die Politik unternimmt nichts, um die Situation zu verbessern. Wir müssen uns auf eine längere wirtschaftlich schwierige Situation in Russland einstellen; es sei denn, der Syrienkonflikt führt zu einer gewissen Annäherung zwischen Russland und den USA und eröffnet auch auf wirtschaftlichem Gebiet neue Perspektiven der Zusammenarbeit.

Wie ist die Lage in Brasilien und Indien?
Brasilien leidet ebenfalls unter einer Rezession. Der Rohstoffpreisschock sitzt tief, unter dem Zuckerhut herrscht wirtschaftspolitische Untätigkeit, dazu kommt die ausgeprägte und schädliche Korruption. Indien setzte grosse Hoffnungen in seinen neuen Präsidenten. Aber wie sich zeigt, ist auch er nicht in der Lage, sich gegen die grossen wirtschaftlichen Interessengruppen im Land durchzusetzen: Notwendige Strukturreformen kommen auch in Indien nicht voran. Ebenfalls in einer Wachstumsflaute stecken sowohl die Türkei, die eine wenig vertrauensvolle und damit eine investitionshemmende Politik betreibt, wie auch Südafrika.

Auch China hat Probleme. Bleibt es bei einem schrumpfenden Wirtschaftswachstum, oder droht eine Rezession?
Die Chinesen sind dabei, ihre Wirtschaft von Exporten und Investitionen weg auf mehr Konsum auszurichten. Das bereitet grössere Schwierigkeiten, als die neue Regierung zunächst angenommen hatte. Und statt des prognostizierten 7%igen Wachstums dürfte das Land 2015 wohl nur 4% erreichen.

Also haben wir es in den Schwellenländern kaum mit einer kurzen Phase konjunktureller Schwäche zu tun?
Nein, vielmehr befinden sich alle Schwellenländer in einer wirtschaftlichen Anpassungskrise, die längere Zeit dauern wird. Wenn in diesem weltwirtschaftlich schwierigen Umfeld dann auch die amerikanische Wirtschaft beginnen würde, zu schwächeln, dann könnte es rasch zu einer Weltrezession kommen. Europa fehlt es an wirtschaftlicher Kraft, dem etwas entgegenzusetzen.

In Euroland scheint sich die Stimmung leicht aufzuhellen. Neben Deutschland erreichen Spanien, Irland oder Portugal gute Wachstumsraten. Gilt dennoch die alte Regel: Ein Schnupfen in  den USA hat eine Lungenentzündung in Europa zur Folge?
Diese Regel gilt heute sogar mehr als in früheren Zeiten: Die Euroländer, denen es konjunkturell ein wenig besser geht, haben sich über ihre Ausfuhren erholt. Dabei hat sich eine Hierarchie der Exportnationen herausgebildet: Deutschland fährt riesige Exportüberschüsse ein, und die anderen konjunkturell florierenden Euroländer beliefern mehr oder weniger intensiv die deutsche Exportindustrie. Allerdings: Trotz der guten Konjunktur bleibt in Spanien und Portugal die Arbeitslosigkeit ein Problem.

Gibt es Hoffnung, dass Spanien und Portugal es mithilfe des Aufschwungs schaffen, ihre Schulden abzubauen?
Das halte ich für eher unwahrscheinlich. Die Gesamtschuldenquote – im Vergleich zum Bruttoinlandprodukt – hat  sich in beiden Euroländern zwar stabilisiert, aber nicht wesentlich verringert. In den Euroschwergewichten Italien und Frankreich weitet sich die Gesamtschuldenquote sogar aus. In Deutschland  hingegen verringert sie sich.

Die deutschen Exporte sind bisher kräftig gestiegen – trotz des schwachen Wachstums der Weltwirtschaft.
Die deutschen Exporteure waren produktmässig gut aufgestellt: Investitionsgüter und höherwertige Konsumgüter waren gefragt. Deutsche  Investitionsgüter genossen aufgrund ihrer Qualität international hohe Wertschätzung – auch in Schwellenländern, die ihre Investitionstätigkeit in Krisenzeiten ja nicht völlig einstellen. Und die Nachfrage nach höherwertigen Konsumgütern stieg, weil – vor allem in Ländern wie China – gerade weil ein immer grösserer Anteil der Bevölkerung ein höheres Einkommen hat. Gestärkt wurde die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte auch durch den spürbar abgewerteten Euro sowie den Verfall der Rohstoffpreise. Und die deutschen Ausfuhren haben vom Aufschwung in den USA profitiert.

Die Vorgänge bei VW sorgen hierzulande für erhebliche Verunsicherung.
Wegen des Skandals bei Volkswagen (VOW 112.6 -1.66%) ist der Lack der deutschen Industrie schwer angekratzt. Wenn sie sich nun nicht gewaltig anstrengt, wird «Made in Germany» Rost ansetzen.

Droht dem Wolfsburger Autoproduzenten im schlimmsten Fall ein Nokia-Effekt?
Nokia (NOKIA 6.102 1.97%) hat den technischen Wandel zu Smartphones verschlafen, VW hat die Technik kreativ genutzt, um zu betrügen. Die Managementfehler sind sehr unterschiedlich, die Wirkungen können aber ähnlich gravierend sein. Wenn VW jetzt nicht die anachronistische Führungsstruktur ändert, die durch familiäre und politische Seilschaften gekennzeichnet ist, droht langfristig der Niedergang.

Welchen Schaden befürchten Sie – über die Automobilindustrie hinaus – für die deutsche Volkswirtschaft?
Der Exportweltmeister hat ein spektakuläres Eigentor geschossen. Das setzt dem Selbstvertrauen hart zu, während die Wettbewerber vor Schadenfreude beinahe platzen. Wenn wir jetzt nicht die Ärmel hochkrempeln und härter arbeiten, werden wir bald wieder als der «kranke Mann Europas» dastehen. Man kann nur hoffen, dass die Berliner «grosse Wohlfühlkoalition» die Zeichen der Zeit endlich erkennt und nicht mit ihren Wahlgeschenken weiter die Belastbarkeit der Wirtschaft testet.

Deutschlands grösser Exportmarkt sind die USA. Könnte eine US-Rezession von der robusten deutschen Binnenkonjunktur kompensiert werden?
Abfedern ja, aber kompensieren wird sie das mit Sicherheit nicht; Letzteres ist bisher noch nie gelungen.

Der private Verbrauch hat Tritt gefasst, die Deutschen konsumieren wieder. Bleibt die Konsumlust ungetrübt?
Sollten sich die Aussichten im Exportbereich tatsächlich eintrüben, bin ich nicht sehr zuversichtlich.

Wie wird sich der Euro im Falle einer Wirtschaftsschwäche in Europa entwickeln?
Wir befinden uns in einem kalten Währungskrieg. Zuerst werteten die Amerikaner ab, es folgten die Briten und die Japaner. Und schliesslich konnte auch die EZB mit ihrem Programm der quantitativen Lockerung den Euro schwächen. Auch die Schwellenländer machen den Abwertungswettlauf seit einiger Zeit schon mit. Sollte sich das globale Wachstum weiter abschwächen, wird sich das Abwertungskarussell künftig noch schneller drehen.

Das bedeutet für den Euro?
Kommt es zu einer Krise des Vertrauens in die Währungen – weil die Zentralbanken um die Wette Geld drucken –, dann sehe ich gerade die europäische Gemeinschaftswährung  besonders gefährdet: Der Euro ist eine künstliche, von der Politik herbeigeführte Währung, die in der Bevölkerung des Eurolandes weniger Rückhalt hat, als dies bei anderen Währungen mit tiefen Wurzeln in der Gesellschaft der Fall ist. Der Euro dürfte daher in einer Währungskrise als Erster straucheln.

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