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07:10 Uhr - 02.12.2015

Was man über die EZB wissen muss

Diese Woche fällt die Europäische Zentralbank ihren lange erwarteten Entscheid. Eine Anleitung für Anleger.

Donnerstag wird die Europäische Zentralbank (EZB) bekanntgeben, ob resp. wie sie den geldpolitischen Kurs lockern wird. Es ist der wichtigste Anlass der Frankfurter Währungshüter in diesem Halbjahr. Dem Entscheid wird deshalb so grosse Beachtung geschenkt, weil zehn Tage später die US-Zentralbank wahrscheinlich die Nullzinspolitik beendet und erstmals seit über neun Jahren die Leitzinsen erhöht. Was sollte man über den anstehenden Entscheid der Europäer wissen? Die nachfolgenden zehn Antworten schaffen Klarheit.

Warum will die EZB die Geldpolitik noch expansiver ausrichten?

Offiziell gibt es nur einen Grund: Die EZB fürchtet, dass sie mit dem gegenwärtigen Kurs ihren gesetzlichen Auftrag nicht zu erfüllen vermag. Der lautet, mittelfristig für eine Inflationsrate im Euroraum von «nahe aber knapp unter 2%» zu sorgen. Die Teuerung beträgt heute nur 0,1%. Selbst wenn der Rückgang der Ölpreise ausgeklammert wird, liegt sie weit von 2% entfernt. Die EZB will die Erwartungen schaffen, dass sie noch sehr lange und grosszügig Geld schöpfen wird, um Inflation zu schaffen. Denn nur wenn eine normale, d. h. nicht zu geringe (aber auch nicht zu hohe) Teuerung vorherrscht, können Unternehmen rentable Preise durchsetzen und Gewinne erwirtschaften, so dass sie investieren. Und Sparer kassieren endlich wieder Zinseinkünfte.

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Bis dahin ist der Weg aber noch lange: Faktisch beabsichtigt die EZB mit ihrem Entscheid diese Woche, dass die Zinsen niedrig bleiben, um die Finanzierungskosten verschuldeter Staaten, Unternehmen und Privathaushalte niedrig zu halten. Ausserdem hält sie den Euro schwach, was der Exportwirtschaft hilft.

Wie expansiv ist die Geldpolitik heute?

Sie ist sehr expansiv, aber doch nicht mehr so wie 2012. Die monetären Rahmenbedingungen sind in den vergangenen Monaten etwas «straffer» geworden. Vor allem weil sich der Euro gefestigt hat. Das zeigt sich am so genannten Monetary Conditions Index, der in der nebenstehenden Grafik aufgeführt ist. Er bildet die Rahmenbedingungen anhand der Realzinsen und des realen (also um Inflationsdifferenzen zwischen Ländern bereinigten) Euroaussenwert ab.

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Was sind Leitzinsen überhaupt?

Es sind jene kurzfristigen Zinsen, die Zentralbanken direkt beeinflussen können. In der Regel sind es ein oder zwei Sätze, die den Preis festlegen, zu dem Banken bei der Zentralbank Geld aufnehmen können, sowie ein Satz, der bestimmt, wie viel die Zentralbank für bei ihr hinterlegte Liquiditätsreserven den Banken bezahlt. Von diesen Leitzinsniveaus hängt dann ab, zu welchem Preis sich Banken untereinander Mittel ausleihen, was wiederum den Preis von Geld, Kredit und Kapital in der Wirtschaft beeinflusst.

Wie steht die EZB zu Minuszinsen?

Die EZB hat als erste Notenbank in Europa einen ihrer Leitzinsen unter null gesetzt. Das geschah im Juni 2014, noch vor der SNB (SNBN 1095 -0.45%). Es handelt sich um den Zins für Bankeinlagen bei der EZB. Er befindet sich auf –0,2%. Angesichts der riesigen Überschussreserven, die bei der EZB hinterlegt wurden, ist dieser Einlagensatz der bedeutendste der drei Leitzinsen. Mit ihm steuert die EZB de facto den ebenfalls wichtigen Interbankenzins Eonia.

Was ist Quantitative Lockerung (QE)?

Mit ihr verlagert eine Notenbank ihre  Vorgehensweise: Anstatt die Leitzinsen zu steuern, steuert sie das Liquiditätsvolumen. Sie kauft Wertschriften auf, die sie mit neu geschaffenem Geld bezahlt. Die Wertschriften landen in der Notenbankbilanz, die immer länger wird. Sie «druckt» also in diesem Umfang Geld. Die EZB kauft mit ihrem QE für 60 Mrd. € Staatsanleihen, Pfandbriefe und Kreditverbriefungen auf. Bis September soll so die EZB-Bilanz um 1140 Mrd. € verlängert werden.

Was plant die EZB nun?

An den Märkten gilt es als sicher, dass sie am Donnerstag die Mindestdauer des QE von bisher September 2016 auf März 2017 verlängert, und den Einlagensatz von –0,2 auf –0,3% herabsetzt.  Gehofft wird, dass die EZB den Kreis zulässiger Wertschriften erweitert, auf Unternehmensobligationen oder auf Anleihen regionaler Schuldner, und dass sie das monatliche Kaufvolumen um 10 Mrd. auf 70 Mrd. € erhöht.

Wodurch unterscheidet sich die Politik der EZB von der des US-Fed oder der SNB?

Das Fed, die SNB und die Bank of Japan haben ihre Bilanzen stärker ausgeweitet. Aber die EZB hat mehr als andere Notenbanken darauf geachtet, Instrumente zu entwickeln, die garantieren sollen, dass die zur Verfügung gestellte Liquidität auch wirklich als Bankkredite an Unternehmen weiter verkauft wird. Sie will so verhindern, dass die Mittel an der Börse landen oder als Überschussreserven an die EZB zurückfliessen. Ob ihr das gelungen ist, steht noch offen.

Was bedeutet eine Lockerung der EZB für die Schweiz?

Während unser Land an einem konjunkturellen Aufschwung Eurolands aus wirtschaftlichen Gründen interessiert ist, droht zunächst einmal ein schwächerer Euro als Folge der EZB-Politik. Das Risiko besteht, dass sich der Franken signifikant aufwertet. Die SNB dürfte mit Devisenkäufen gegensteuern und eventuell den Leitzins, der gegenwärtig –0,83% beträgt, im gleichen Umfang wie die EZB herabsetzen. So hält sie die Zinsdifferenz zwischen beiden Währung aufrecht und voraussichtlich den Wechselkurs stabil.

Wie werden die Märkte reagieren?

Es ist schon viel in den Kursen eskomptiert. EZB-Präsident Mario Draghi muss am Donnerstag vor allem die Erwartungen erfüllen. Eine Volumenaufstockung des QE-Programms um mindestens 10 Mrd. € würde allerdings für Impulse sorgen. Der Euro dürfte nachgeben, wobei die Aufmerksamkeit am Devisenmarkt dann voll auf den Fed-Entscheid und den Dollar schwenken wird. Je steiler der künftige US-Zinspfad erwartet wird, umso mehr wird der Euro zum Dollar nachgeben. Aber genau an dieser Bereitschaft, konsequent die Zügel zu straffen, scheint es im Fed zu fehlen. Das könnte den Euro vor zu heftigen Kursverlusten bewahren.

Übertreibt es die EZB?

Die deutsche Bundesbank ist dieser Meinung. Ihr Chef, Jens Weidmann, warnt vor Übertreibungen an den Finanzmärkten und zunehmenden Problemen für Lebensversicherer, falls die EZB auf ihr bestehendes QE am Donnerstag noch ein QE2 draufsetzt. Darüber hinaus «sollten wir auch nicht das Risiko ignorieren, dass sich die Fiskalpolitik an die sehr niedrigen Zinsen gewöhnt», warnt er. Weidmann ist im 25-köpfigen Zentralbankrat der EZB allerdings der einsame Rufer in der Wüste.

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