Zurück zur Übersicht
12:27 Uhr - 26.08.2014

«Die Eurokrise wird nochmals aufflammen»

Franz Wenzel, Chefstratege von Axa Investment Managers, erläutert im Interview mit der FuW, wieso er auf die USA setzt und Euroland misstraut.

Herr Wenzel, mit den geopolitischen Krisen, speziell Ukraine und Russland, haben die Börsen ein neues Thema. Bleibt das so?
Die Geopolitik wird auch im Herbst ein dominantes Thema sein, besonders der Konflikt zwischen Russland und dem Westen, der bisher wirtschaftlich ja noch gar nicht so tief greift. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass das Katz-und-Maus-Spiel – Sanktionen, Gegensanktionen und neue Massnahmen – andauert und sich sogar noch beschleunigt.

Was ist davon an den Märkten eskomptiert?
Noch nicht sehr viel. Zurzeit sorgt wieder das Zinsthema für Schwung. Die Notenbanken halten die Zinsen weiterhin niedrig, das ist positiv für die Wirtschaft und, gerade was Deutschland angeht, notwendig. Franz Wenzel, Chefstratege von Axa Investment Managers«Die geldpolitische Wirkung bleibt aus, weil das Damoklesschwert der hohen Schulden noch immer über Europa hängt.» Bild: ZVGDie ernüchternden Zahlen, nicht nur das negative Wachstum im zweiten Quartal, auch der Auftragseingang, die verhaltene Investitions- und Konsumneigung, die drohenden Sanktionen von Russland für die Autoindustrie, mögliche Flugverkehrssperren – all das ist noch nicht gegessen und kann jederzeit eine neue Korrektur auslösen. Denn wir haben es mit Bewertungen zu tun, die Wachstum mit einschliessen, und daran fehlt es weniger in den USA, sondern besonders im Euroland. Es bräuchte alle Wachstumszylinder, um Europa aus dem Wellental herauszuführen. Denn vergessen wir nicht: Wir haben noch das Problem mit dem Euro, mit dem immensen Schuldenberg. Welche Begriffe man auch immer verwendet, sie beschreiben alle das Gleiche: die strukturellen Probleme, mit denen die Länder der Eurozone noch immer kämpfen.

Der deutsche Aktienmarkt verzeichnet die grössten Werteinbussen, nur wegen Russland? Immerhin ist Deutschland das stärkste Glied im Euroland.
Das stimmt, aber Deutschland ist in der Eurozone auch der wichtigste Handelspartner von Russland. Wir sprechen von 3 bis 4% Exportanteil, verglichen mit 2 bis 3% oder weniger in den anderen Ländern des Kontinents.

Gemessen am Gesamtexport ist das wenig.
In Bezug auf die Gesamtwirtschaft, ja. Für einzelne Sektoren ist Russland ein wichtiger Wachstumsmarkt, besonders für die Automobilindustrie. Und derAutosektor hat im Dax einen hohen Anteil.

Was nützen weitere geldpolitische Schritte der Europäischen Zentralbank, nachdem die bisherigen Massnahmen die Wirtschaft nur wenig vorangebracht haben?
Die geldpolitische Wirkung aufs Wachstum bleibt aus, weil das Damoklesschwert des hohen Schuldenstands noch immer über der europäischen Wirtschaft hängt. Die Verschuldung im Euroland ist nicht ausgestanden.

Dazu wären Strukturreformen nötig. Lenkt die ultralockere Geldpolitik nicht sogar davon ab?
Da ist etwas Wahres dran. Es werden zu viele politische Zugeständnisse gemacht, was dem Reformwillen schadet. Das ist der eine Punkt. Der andere ist der schwächer gewordene finanzielle Druck. Die expansive Politik der EZB hat den Märkten ein Stück weit die disziplinierende Funktion genommen. EZB-Präsident Mario Draghi und alle anderen europäischen Notenbankpräsidenten weisen zu Recht darauf hin, dass mit Worten allein das Problem nicht gelöst ist. Nicht nur in der Peripherie, sondern auch in den wirtschaftlichen Zugpferden, in Deutschland und in Frankreich, sind Strukturreformen nötig. Sonst könnte die nächste Krise nur eine Frage der Zeit sein.

Ist bei Zinsen um null der Druck der Märkte nicht sogar inexistent?
Inexistent würde ich nicht sagen, aber stark gemildert. In dieser Situation hilft nur der politische Wille. Dieser ist zurzeit eher auf die Sicherung des Euros ausgerichtet, der im allgemeinen Empfinden gelitten hat.

Am Devisenmarkt war der Euro lange Zeit stark. Jetzt neigt er gegenüber dem Dollar zur Schwäche. Inwiefern hilft ein schwächerer Wechselkurs Europas Wirtschaft?
Es ist eine Hilfe, aber keine grosse Triebfeder, um Europa wettbewerbsfähiger zu machen. Wenn schon, dann müsste er sich zum Dollar um 15 bis 20% abwerten. Das ist unrealistisch, zumal in den USA wie in Europa und in Japan die Geldpolitik aufs gleiche Ziel hinsteuert, nämlich 2% Inflation. Wir rechnen kurzfristig mit einem Wechselkurs von 1.30 $ pro Euro und längerfristig mit 1.25. Das sind keine grossen Sprünge, der Euro bewegt sich auf einem ziemlich fairen Niveau.

Wie spiegeln sich Ihre Vorbehalte gegenüber Europa im Aktienportfolio? Welche Aktienstrategie empfehlen Sie?
Aus europäischen Aktien haben wir Tempo weggenommen und investieren lieber in den USA. Niemand, ausser vielleicht Präsident Putin, weiss, wie sich der Konflikt zwischen Russland und den westlichen Staaten weiter entwickelt. In europäischen Aktien sind wir seit geraumer Zeit  unter- und in den USA neutral bis übergewichtet.

Korrigiert nicht auch Wallstreet, falls sich der Konflikt mit Russland verschärft?
Das schon, aber weniger. Und möglich ist auch das Gegenteil. Wenn sich das Konfliktpotenzial abschwächt und die USA haussieren sollten, ist keineswegs sicher, dass Europa mitzieht. Die Schere wird in jedem Fall auseinandergehen. Bis Ende Jahr erwarten wir für Wallstreet ein Plus von 5% und fürs nächste Jahr von 5 bis 10%. Das ist keine Triebfeder für eine starke Beta-Rally, sprich einen stärkeren Aufschwung in Europa, solange da die strukturellen Probleme nicht ernsthafter angegangen werden. Denn Inflation zur Milderung der Schuldenlast fehlt. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die EZB, um die Zinsen niedrig zu halten, eines Tages auch Staatsanleihen kaufen wird.

Bleiben Aktien nur gefragt, weil Alternativen fehlen?
Die Alternativen sind tatsächlich selten. Staatsanleihen rentieren kaum oder zehren real sogar am Vermögen. Ich würde einzig US-Treasuries kaufen, aber nicht europäische Staatspapiere. Bei Zinsen unter 1% freut sich in Deutschland nur der Staat. Italien oder Spanien weisen minimale Zinsdifferenzen von 140 bis 150 Basispunkten zum Bund auf. Oder französische Staatspapiere, die rund 1,40% rentieren, rund 40 Bp über den deutschen Bunds. Da ist kein Staatsrisiko mehr richtig eingepreist.

Wie stellen Sie sich eine neue Eurokrise vor?
Nicht mehr in der Härte von früher, aber die Fragestellung wird die gleiche sein: Wie robust ist der Euro, wie steht es um die Bonität der Peripherieländer, sind neue Umschuldungen nötig? Dass man sich damit an den Märkten nochmals beschäftigen wird, ist nicht ausgeschlossen, wir halten es sogar für eher wahrscheinlich. Wann das sein wird, weiss niemand. Kurzfristig könnte es sich sogar noch auszahlen, auf Anleihen der Peripherie zu setzen, auch wenn man damit einen ziemlich wilden Tiger reitet.

Die für nächstes Jahr bevorstehende Zinserhöhung in den USA fürchten Sie nicht?
Nein. Fed-Chefin Janet Yellen wird den Markt gut vorbereiten. Auch zwei Zinserhöhungen um 50 Basispunkte wären kein Beinbruch, und vielleicht gibt es auch nur einen Zinsschritt, weil die Konjunktur noch nicht so solide ist. Die Volatilität wird vorübergehend zunehmen, aber weder den Bond- noch den Aktienmarkt ins Stolpern bringen. Wenn ich mir die US-Wirtschaft anschaue, ohne die Lagerbestände und ohne den Export, also die reine Binnenwirtschaft, dann sprechen wir immerhin von einem Wachstum von 2,5 bis 3%. Das ist nicht exorbitant, aber auch nicht schlecht. Eine Zinsverteuerung ist vor diesem Hintergrund nichts anderes als ein Schritt in Richtung Normalität.

Welche Sektoren gehören ins Depot?
In den USA favorisieren wir den Konsum, er ist eine robuste Komponente. Die bessere Beschäftigung und einzelne Lohnerhöhungen im nächsten Jahr bevorteilen den Konsum, ohne dass es den Aktienmarkt stärker belasten würde. Die Produktivität der US-Unternehmen ist stark genug, um Lohnsteigerungen in der Grössenordnung von rund 3% zu verkraften. Dann favorisieren wir den Industriegütersektor. Hingegen würden wir vom Wohnungsbau die Finger lassen, die Bewertung ist inzwischen etwas gar hoch geworden.

Gilt das nicht generell für US-Aktien? Europa ist günstiger.
In den USA weist immerhin die Konjunktur ernsthaft nach oben, und in Asien sowieso. Das Einzige, was Kopfzerbrechen bereitet, ist effektiv die Bewertung. Sie ist auch der Grund, dass wir weltweit Aktien neutral gewichten. Wir leben in einer neuen Welt, in der die Risiken deutlich gewachsen sind und Investoren einen höheren Risikoaufschlag haben wollen, sprich: die Bewertung niedriger sein sollte.

Wie sichert sich Axa (CS 18.82 0.29%) ab?
Mit Puts, die wir immer wieder rollen. Die Volatilitäten sind niedrig, die Zinsstrukturen flach: So kann man sich relativ einfach und gut nach unten absichern.

Fällt der Schweizer Markt auch unter Europa?
Die Schweiz beobachten wir gesondert. Das Land hat eine sehr gute Konjunktur, und die guten alten Klassiker unter den Schweizer Titeln mit ihrer hohen Dividende gefallen. Aber in der Breite ist der Markt einfach zu teuer.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.