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11:28 Uhr - 26.01.2016

«Wir stehen nicht vor einer anhaltenden Korrektur»

Sandro Merino, Chief Investment Officer der Basler KB und der Tochter Bank Coop, rechnet damit, dass sich die Aktienmärkte beruhigen werden und verrät im Interview mit FuW, welche Aktien er jetzt kauft.

Herr Merino, die Börsen rund um den Globus beginnen, volatil zu werden. Stehen wir vor einer lang anhaltenden Korrektur?
Es wird zunehmend schwierig, zu attraktiven Risiken eine gute Rendite zu erwirtschaften. Klar nimmt in einem solchen Umfeld die Nervosität zu. Hinzu kommt, dass die US-Notenbank Fed den Aktienmärkten keinen Stimulus mehr liefern wird. Ich glaube jedoch nicht, dass wir vor einer lang anhaltenden Korrektur stehen. Dafür fehlen die fundamentalen Faktoren.

Ökonomen sehen aber Risiken auf die Weltwirtschaft zukommen. Wertet sich die chinesische Währung weiter ab, könnte eine globale Deflation folgen.
Ich sehe derzeit nicht, warum sich die chinesische Währung auf längere Sicht stark abwerten sollte. Gemäss Statistiken ist der Exportüberschuss für das vierte Quartal auf Rekordhoch. Wenn sich diese Zahlen wiederholen, dann kann China den Abfluss der Gelder von Investoren, die vom Wirtschaftsabschwung im Land verunsichert sind, ohne weiteres kompensieren.

Dann liegen Investoren also falsch, wenn sie aus Angst vor einer Abkühlung der Wirtschaft Geld aus China abziehen?
Dass sich Chinas Wirtschaft verlangsamt, ist seit Jahren klar. Ich sehe jedoch keinen Einbruch, wie das gewisse Ökonomen fürchten. Wäre dem so, müsste man das in den Gewinnen der in China aktiven westlichen Unternehmen sehen. Deutsche Autohersteller und Schweizer Uhrenproduzenten beispielsweise müssten längst warnen. Ausserdem haben IWF-Chefin Christine Lagarde wie auch der Präsident der japanischen Notenbank, Haruhiko Kuroda, am World Economic Forum in Davos bestätigt, dass die offiziellen Wachstumszahlen von China stimmen.

Deflationsdruck droht auch vom tiefen Rohölpreis – eine weitere Kernsorge der Investoren.
Die Finanzmärkte würdigen den Rückgang des Ölpreises gegenwärtig sehr einseitig. Ein fallender Ölpreis belastet natürlich Länder, die stark von Ölexporten abhängig sind, und auch die US-Fracking-Industrie leidet unter dem tiefen Preis. Andererseits haben Milliarden von privaten Konsumenten mehr verfügbares Einkommen. Dies stützt die Binnenwirtschaft in den USA und in Europa. Ausserdem darf man Verschiebungen in den relativen Preisen zwischen Gütern nicht mit Deflation verwechseln. Wir denken übrigens, dass der Ölpreis sich im Laufe des Jahres etwas erholen wird.

Dennoch, die Anleger sind verunsichert. Beruhigen könnte sie möglicherweise ein Stimulus der Notenbanken. Die EZB hat bereits eine weitere Lockerung der Zinspolitik in den Raum gestellt. Wird auch die US-Notenbank Fed folgen und die angekündigte Straffung ihrer Geldpolitik zumindest vertagen?
Die US-Notenbank hat viel Spielraum. Der Rohölpreis ist tief, und die Löhne in Amerika sind noch nicht stark am Steigen. Damit ist die Gefahr einer Inflation gering. Das Fed steht nicht unter Druck und kann auf negative Situationen abwartend reagieren.

Alles in allem stehen die Zeichen also auf Grün, dass sich die Aufwärtstendenzen der letzten Tage fortsetzen?
Die fundamentalen Faktoren sprechen dafür. Insgesamt befindet sich die Weltwirtschaft nach wie vor in einer Phase der Erholung von der Finanzkrise. Vor allem Europa kommt langsam wieder auf die Beine. Zu sehen ist das an der Stimmung der Einkaufsmanager und an den Konjunkturprognosen der Ökonomen von +1,5 bis 2%, die ich teile. Doch auch aus den USA erhalte ich keine Hiobsbotschaften. Der Arbeitsmarkt erholt sich, und das Konsumentenvertrauen ist hoch.

Was müsste passieren, damit Sie Ihre Prognosen nach unten revidieren?
Wären bei der europäischen oder der amerikanischen Wirtschaft deutliche Schwächezeichen auszumachen oder stünde gar eine globale Rezession vor der Tür, dann müsste ich meine Prognose für die Aktienmärkte revidieren. Globale Rezessionen gibt es zum Glück jedoch nur sehr selten, und viele Risikofaktoren für eine Finanzkrise, wie wir sie gesehen haben, wurden mit höheren Kapitalanforderungen und strengerer Regulierung deutlich abgeschwächt.

Eine nachhaltige Deflation ist aber ein Problem mit Potenzial für eine globale Rezession.
Schon. Aber wie gesagt: Ich rechne eher mit einer Erhöhung der Ölpreise als mit einem Rückgang. Zudem ist sich die chinesische Regierung der anstehenden Herausforderungen in der Wirtschaft ja bewusst. Sie hat beispielsweise die Zinsen gesenkt, die Währung flexibler gemacht und die Kreditvergabefähigkeit der Banken erhöht.

Gerade den Finanzinstituten wird jedoch nachgesagt, sie hätten viele Immobilienkredite auf ihren Büchern, die nicht werthaltig seien.
Von aussen betrachtet ist das schwierig zu beurteilen. Solange Chinas Wirtschaftswachstum um die 6% beträgt, dürfte diese Angst jedoch unbegründet sein. Wie bereits erwähnt: Eine Rezession ist in den Gewinnen der chinaorientierten westlichen Unternehmen nicht auszumachen.

Auch in der Schweiz ist der Markt für Immobilien ziemlich aufgeheizt. Wirft die Anlageklasse risikoadjustiert noch eine lukrative Rendite ab?
Betrachtet man den Blasenindex der UBS (UBSG 16.35 -1.09%) für Schweizer Immobilien, ist die Anlageklasse nicht risikofrei. Gerade bei den Geschäftsliegenschaften sehe ich eine Überhitzung. Ich warne deshalb davor, Immobilien als Ausweg aus dem Anlagenotstand zu betrachten.

Was raten Sie Anlegern, die sich genau in diesem Dilemma befinden?
Auch wenn die Renditen auf Aktien in Zukunft etwas niedriger ausfallen könnten als in den letzten sechs Jahren, bleiben sie attraktiv. Ich würde nicht von einer Überbewertung sprechen, wie das oft zu hören ist. Das Niedrigzinsumfeld in den westlichen Ländern rechtfertigt höhere Kurse.

In welchen Regionen locken die höchsten Kursgewinne?
Dort, wo die Innovationskraft am höchsten ist. Von uns vorgenommene Auswertungen haben gezeigt, dass in diesen Regionen die Aktienperformance über die letzten fünfzehn Jahre am höchsten war. Wir setzen deshalb auf Titel aus der Schweiz, Europa und Japan. In diesen Ländern ist nicht nur die Innovation hoch, auch das Zinsniveau dürfte tief bleiben. Vorsichtig sind wir bei Valoren von Unternehmen aus den Schwellenländern. Dort kommt das erwirtschaftete Geld nicht immer vollumfänglich den Aktionären zugute.

Und welche Unternehmen bevorzugen Sie konkret?
Generell halte ich kleine und mittelgrosse Unternehmen für attraktiv. Sie sind sehr innovativ. Ihre Titel sind zwar volatiler, haben also ein höheres Risiko. In guten Zeiten manifestiert sich das aber in einer Prämie gegenüber den Aktien von etablierten Unternehmen. Investoren, die auf der sicheren Seite bleiben wollen, rate ich zu Nestlé (NESN 71.95 -0.62%) und zu den drei Pharmakonzernen Roche (ROG 263.3 -0.87%) (RO 260 -0.48%), Novartis (NOVN 82.8 -0.12%) und Actelion (ATLN 134.4 -0.37%). Auch die Valoren des Bankensoftwareentwicklers Temenos (TEMN 47.2 -0.63%), der Privatbank Julius Bär (BAER 41.44 -1.5%) sowie des Liftherstellers Schindler (SCHN 151 0.2%) halte ich für eine attraktive Anlage.

Müssen sich Investoren, die im Ausland anlegen, verstärkt auf Währungsrisiken einstellen?
Wechselkursturbulenzen könnten zunehmen, ja. Die chinesische Währung gewinnt immer mehr an Gewicht. Das führt zu einem weiteren Unsicherheitsfaktor im Wechselkursgefüge der wichtigsten Währungen.

Und in der Schweiz? Der starke Franken macht den hiesigen Unternehmen arg zu schaffen.
Ich glaube nicht, dass sich der Franken nochmals stark aufwerten wird. Klar, ein Rückgang des Euro-Franken-Kurses auf 1.20 Fr. ist nicht realistisch. Ich denke jedoch, er sollte sich bei 1.10 Fr. einpendeln.

Doch auch dieses Niveau kann an die Substanz gehen.
Man muss den Schweizer Unternehmen und auch den Arbeitnehmern zugutehalten, dass sie die nicht zu unterschätzenden Herausforderungen bis anhin sehr gut gemeistert haben. Massenentlassungen sind bisher ausgeblieben. Die Arbeitslosenquote in der Schweiz hat im letzten Jahr fast nicht zugenommen. Ich denke, die Schweizer Wirtschaft wird in der Lage sein, den negativen Währungseffekt zu absorbieren. Dennoch: Mit einem weiteren Stellenabbau ist zu rechnen, und gewisse Auswirkungen auf die Konjunktur werden schon zu spüren sein, klar.

Zum Schluss: Wo stehen die wichtigsten Aktienmärkte Ende Jahr?
Ich denke, dass sich der SMI (SMI 8201.13 -0.63%) Ende Jahr um 9200 Punkte bewegen wird. Der Euro Stoxx 50 (Euro Stoxx 50 2982.91 -0.63%) könnte bei 3400 und der amerikanische Index S&P 500 (SP500 1877.08 -1.56%) bei 2100 Zählern notieren.

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