Die Stimmung am Ölmarkt hat sich verschlechtert. Das weltweite Überangebot sinkt nur langsam.
Der Optimismus am Ölmarkt bröckelt. Der Preis für Rohöl notiert deutlich tiefer als noch vor wenigen Wochen. Am Freitagnachmittag kostete ein Fass der Nordseesorte Brent (Brent 45.33 -1.86%) noch 45.50 $ – so wenig wie seit Anfang Mai nicht mehr. Nach der Erholung im ersten Quartal schien es, als würde sich der Fasspreis bei 50 $ einpendeln. Doch immer mehr Investoren bezweifeln, dass sich bald ein Gleichgewicht am Markt einstellt.
Die Skepsis zeigt sich am Terminmarkt. Die Zahl der Netto-Long-Positionen auf die US-Leichtölsorte WTI (WTI 43.88 -1.79%) ist vergangene Woche erneut gesunken: An der Rohstoffbörse Nymex in New York übertrafen die Positionen, die auf einen steigenden Preis setzen (Long-Positionen), die Wetten auf einen fallenden Preis (Short-Positionen) noch um 145 400 Kontrakte. Die Grafik zeigt die standardisierte Abweichung vom historischen Mittel (Z-Score). Demnach liegt die heutige Positionierung auf dem Durchschnitt über die vergangenen drei Jahre.
Unsichere Nachfrage
Der jüngste Preisrückgang ist gemäss Analysten von Commerzbank (CBK 5.832 -1.59%) vor allem der unsicheren Nachfrageentwicklung geschuldet. Die chinesischen Rohölimporte sind nach Regierungsangaben seit Januar rückläufig. Grund dafür ist die schwächelnde Nachfrage aus der Industrie. Noch im Mai war die internationale Energieagentur (IEA) davon ausgegangen, dass der Ölbedarf der Volksrepublik im zweiten Halbjahr anziehen wird.
Die politische und wirtschaftliche Situation in Europa schürt die Nachfrageunsicherheit zusätzlich. Zwar scheint der Austritt der Briten aus der Europäischen Union bisher spurlos an der kontinentaleuropäischen Industrie vorbeigegangen zu sein, wie eine erste Umfrage unter Chefeinkäufern nach dem Brexit zeigt. Aber die britische Wirtschaft hat in den vergangenen Wochen stark gelitten (vgl. Seite 19). Und die Auswirkungen auf den europäischen Ölbedarf sind noch nicht genau absehbar.
Preisabschläge möglich
Das Angebot dürfte derweil hoch bleiben. Das US-Energiestatistikamt EIA schätzt, dass die Opec-Produktion im zweiten Halbjahr auf dem Rekordniveau von gut 33 Mio. Fass pro Tag verharren wird. Alle bisherigen Versuche des Kartells, die Produktion zu deckeln, sind am Widerstand des Iran gescheitert. Dadurch bleibt die US-Förderung im Fokus. Der Markt reagiert derzeit besonders sensibel auf US-Produktionsdaten. Obwohl in den USA mit 8,5 Mio. Fass pro Tag so wenig gefördert wird wie zuletzt vor zwei Jahren. Im Juli 2015 produzierten die US-Förderer noch 9,2 Mio. Fass.
Die Analysten von Commerzbank gehen daher nicht davon aus, dass sich die Situation am Ölmarkt fundamental verändert hat. Doch die Anleger meiden wegen der Nachfrageunsicherheit vermehrt das Risiko. Eine ähnliche Einschätzung macht Unicredit. Der Abbau des immensen Überangebots sei im Gang, aber er dauere länger als von vielen Spekulanten erhofft. Daher ist ein Fasspreis von 50 $ derzeit ausser Reichweite. Preisbelastende Nachrichten aus den USA können gar zu weiteren Abschlägen führen.
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