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11:49 Uhr - 31.12.2014

«Ich hoffe bloss, das Fed überlegt sich sorgfältig, was es macht»

Jeffrey Gundlach, CEO von DoubleLine, befürchtet im Interview mit FuW, dass die sich abzeichnende Zinserhöhung in den USA einen Konjunkturabschwung auslöst. Ausserdem rechnet er mit einem noch stärkeren Dollar.

Herr Gundlach, in der Finanzbranche kennt man Sie als Bondspezialisten. Doch vor Ihrer Karriere an Wallstreet versuchten Sie sich zunächst als Schlagzeuger in einer Rockband. Welcher Song kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie das Geschehen an den Finanzmärkten verfolgen?
Ehrlich gesagt habe ich die Übersicht in der Musikszene etwas verloren. Hier in unseren Büros hören alle Radiohead, doch ich kenne kaum ein Stück, das vor 1997 geschrieben wurde. Es gibt aber einen alten Titel von Led Zeppelin, er heisst «The Song Remains the Same». Das passt zu dem, was sich gegenwärtig an den Märkten abspielt: Fast überall auf der Welt geht die stimulative Geldpolitik weiter – gelinde gesagt.

Zur PersonJeffrey Gundlach ist der «Rockstar» der US-Investmentszene. Seine primär auf Obligationen spezialisierte Anlagegesellschaft mit Sitz in Los Angeles betreut mehr als 60 Mrd. $ an Kundengeldern und vertreibt ihre Anlageprodukte in Europa über Nordea Asset Management. Aushängeschild ist der DoubleLine Total Return Bond Fund, der gemäss Morningstar über die letzten drei Jahre zu den besten 8% seiner Anlageklasse zählte und für 2014 mit einer überdurchschnittlichen Performance von 6,7% abschneidet. Gundlach, der in einfachen Verhältnissen in Buffalo aufgewachsen ist und als passionierter Kunstsammler gilt, startete seine Karriere in der Finanzbranche beim Vermögensverwalter TCW, wo er zuletzt als Investmentchef ein Portfolio von 70 Mrd. $ betreute. Im Herbst 2009 kam es jedoch zum grossen Zerwürfnis, worauf er seine eigene Firma gründete. Seit dem Abgang von Bill Gross beim Konkurrenten Pimco gilt Gundlach an Wallstreet als der unangefochtene «Bondkönig». Das klingt ja recht monoton.
Was sich verändert hat, ist der festere  Dollar. Sobald er zu erstarken begann,  kamen zum Beispiel die Börsen in Japan und China in Bewegung. Zugleich gerieten in den USA Anleihen von Unternehmen mit minderer Kreditqualität unter Druck. Solche Junk Bonds notieren derzeit auf dem tiefsten Stand des Jahres, während sich Qualitätsanleihen wie US-Schatzpapiere nahe dem Hoch bewegen. Ein ähnlicher Trend zeigt sich in US-Aktien, wo solide finanzierte Unternehmen besser abschneiden als die mit  schwacher Bilanz. Das war in den zwei Jahren davor genau umgekehrt.

Und was bedeutet das?
Wenn der Preis für Junk Bonds sinkt und der Wert von Schatzpapieren steigt, ist das in der Regel kein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass sich Investoren Sorgen um die Wirtschaft und das Finanzsystem machen.

Weshalb?
Im Zentrum all dieser Trends steht wohl die Erwartung, dass es in den USA nächstes Jahr zu einer Zinserhöhung kommt. Es scheint fast so, als ob der Bondmarkt signalisieren würde, dass das Federal Reserve damit einen Fehler begehen wird und sogar eine Rezession auslösen könnte. Ich mache damit keine Konjunkturprognose, sondern sage nur, was mir der Markt signalisiert: dass selbst eine moderate Zinserhöhung bereits zu einem Problem für die amerikanische Wirtschaft wird. Ich hoffe deshalb bloss, dass sich das Fed sorgfältig überlegt, was es macht.

Das erinnert an eine ähnliche Situation während der Grossen Depression. 1937 zog die US-Notenbank die Zinsschraube zu früh an, worauf die Wirtschaft zurück in eine Rezession fiel. Das ist Fed-Chefin Janet Yellen doch bewusst.
Das Fed hat die Zinsen noch nie für sechs Jahre unverändert belassen, geschweige denn auf null gedrückt. Je länger es damit fortfährt, desto mehr verzerrt das die Psychologie der Investoren und das Verhalten der Märkte. Am meisten von der ultralockeren Geldpolitik profitieren riskante Investments und praktisch alle festen Wertanlagen. So ist der Preis für Ferraris in den letzten Jahren um 500% gestiegen, und Spitzenbilder von Picasso werden zu Rekordwerten versteigert. Es fragt sich daher, wie bizarr die Dinge noch werden, wenn die Nullzinspolitik ein, zwei oder sogar drei Jahre weitergeht. Das Fed will die Zinsen also wohl einfach erhöhen, nur um zu sehen, was passiert.

Ist die US-Wirtschaft denn inzwischen nicht fit genug dafür? Die Arbeitslosenquote zum Beispiel bewegt sich mit 5,8% schon fast auf dem Niveau, das in Amerika als Vollbeschäftigung gilt.
Die Arbeitslosenrate ist kein verlässlicher Anhaltspunkt. Ein substanzieller Teil der neuen Jobs sind nur temporäre Stellen, weil Arbeitgeber wie Wal-Mart dadurch  Kosten für die Krankenkasse sparen können. Das heisst, heute decken fünf Stellen das gleiche Pensum ab wie drei Jobs vor zwanzig Jahren. Mehr Geld fliesst aber nicht in die Wirtschaft. Zudem bewegt sich bei den jüngeren Generationen nur wenig. Die Beschäftigung nimmt vor allem in den älteren Bevölkerungsschichten zu. Das, weil viele ältere Menschen bei einem Zins von 0% nicht von ihren Ersparnissen leben können und arbeiten müssen. Es sind also nicht fundamentale, sondern philosophische Überlegungen, die das Fed zu einer Zinserhöhung bewegen.

Was meinen Sie damit?
Auf 0% lässt sich das Zinsniveau nicht weiter senken. Dem Fed fehlt somit ein wichtiges Instrument, um künftig einem Konjunkturabschwung entgegenzuwirken. Fundamental gibt es hingegen kaum einen Grund, die Zügel zu straffen. So ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es wegen des Einbruchs am Ölmarkt in den USA nächstes Jahr keine Inflation geben wird. Ohnehin sind die Preise bislang fast nur in Bereichen gestiegen, wo es der breiten Bevölkerung wehtut: Bei den Kosten für Wohnung und Nahrungsmittel. Die Löhne hingegen stagnieren. Eine Zinserhöhung ist vor diesem Hintergrund wohl kaum eine gute Idee.

Der Crash am Ölmarkt sorgt rund um den Globus für Turbulenzen. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Was am Energiemarkt passiert, ist enorm wichtig. Wenn der Ölpreis noch weiter auf 40 $ pro Fass fällt, rechne ich damit, dass die Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen auf 1% sinkt. Hoffentlich kommt es aber nicht so weit, denn bei einem Ölpreis von 40 $ sieht es für die Welt sehr, sehr düster aus – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geopolitisch.

Der  Preis für ein Fass der Sorte WTI ist inzwischen auf 55 $ gefallen. Was hat das für Konsequenzen?
Bereits auf diesem Niveau sind die Auswirkungen bedeutend. Optimisten argumentieren, dass der tiefere Ölpreis eine Art Steuererleichterung sei und den Konsum stütze. Vereinfacht gesagt: weniger Kosten für Benzin, dafür mehr Geld für Junk Food. Es gibt aber auch Probleme. In den Regionen, wo unkonventionelle Fördertechniken wie Fracking eine zentrale Rolle spielen, ist das Wirtschaftswachstum monumental. Ein Ölpreis unter 60 $ wird das Tempo verringern, was den Jobsektor belasten könnte. Wegen der schwachen Weltwirtschaft und wegen des starken Dollars besteht zudem die Gefahr, dass Amerika langsameres Wachstum und Deflation importieren wird. Es ist deshalb gut möglich, dass die Zinsen am langen Ende gar nicht steigen werden, wenn das Fed den ersten Schritt macht.

Was heisst das für die Finanzmärkte?
Unternehmen aus dem Energiesektor machen 14 bis 19% des Marktes für Junk Bonds aus. Sie werden finanziell in grosse Schwierigkeiten geraten, wenn der Ölpreis für mehrere Monate auf diesem Niveau verharrt. Nun wird oft gesagt, dass das nur den Energiesektor betreffe, der Rest der Wirtschaft sei okay. Meist verfangen solche Argumente aber nicht. Als zum Beispiel die Krise im US-Immobiliensektor begann, sagte der frühere Fed-Chef Ben Bernanke, es sei alles nicht so schlimm, da lediglich das unterste Marktsegment tangiert sei. Die Dinge sind jedoch miteinander vernetzt.

Bisher nimmt die Börse das alles recht locker. Es rüttelt zwar ab und zu. Das Fed hat das Stimulusprogramm QE3 aber ohne grössere Probleme beendet.
Eine Zinserhöhung ist jedoch ein ganz anderes Kaliber. Die Wertschriftenkäufe, die das Fed im Zug von QE3 abwickelte, haben Investoren aus China und Europa übernommen. Das, weil 2,2% Rendite auf zehnjährige Treasuries im internationalen Vergleich stattlich sind und der festere Dollar die Attraktivität von Engagements in den USA erhöht. Eine Zinserhöhung hingegen lässt sich nicht einfach ersetzen. Sie wird das Verhalten der Investoren ändern und vor allem auch an den Devisenmärkten für Bewegung sorgen.

Handkehrum wird aber erwartet, dass die Europäische Zentralbank bald eine grosse Liquiditätsinfusion ansetzt und ihr eigenes Stimulusprogramm lanciert.
In Europa herrscht inzwischen seit fast drei Jahren eine Art Sorglosigkeit: In Italien ist die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen unter 2% gefallen, in Spanien sind es 1,7%, in Frankreich 0,9% und in Deutschland 0,6%. Es ist damit nicht mehr Japan, das unter den Industriestaaten durch tiefe Zinsen auffällt. Vielmehr sind die Renditen in Amerika überdurchschnittlich hoch. Traurigerweise gelten in der heutigen Welt 2,2% Zins auf zehnjährige Treasuries bereits als attraktiv.

Was passiert, wenn EZB-Chef Mario Draghi enttäuscht und eine geldpolitische Initiative in Europa ausbleibt?
Draghi redet viel, macht aber nie Ernst. Die Märkte sind seines Geredes langsam überdrüssig. Seine Handlungsbereitschaft wird auf die Probe gestellt werden. Gewisse Dinge haben begonnen, sich zu verändern. So gewinnen etwa die Anti-Euro-Parteien in Griechenland, Italien und selbst Frankreich mehr und mehr Zuspruch.

Wie sollen sich Investoren in einem solchen Umfeld verhalten?
Meine beste Idee ist total langweilig und unkontrovers: Der Dollar wird weiter fester tendieren. Davon bin ich am meisten überzeugt. Der Konsens, dass er noch mehr erstarkt, ist inzwischen zwar fast so gross, dass es unangenehm wird. Manchmal hat der Konsens aber auch recht.

Wo sehen Sie denn sonst noch Chancen?
Anders als in den Jahren 2012 und 2013 sind die Märkte nicht mehr gleichgeschaltet. Silber (Silber 513.5 -1.06%) (Silber 16.16 -0.98%) zum Beispiel notiert dieses Jahr massiv im Minus, wogegen sich Gold (Gold 1198.77 -0.07%) praktisch stabil hält. Indische Aktien entwickeln sich fulminant, während es an der Börse von Brasilien katastrophal schlecht läuft. Das eröffnet Investoren die Chance, ihr Portfolio mit Risiko zu diversifizieren. Damit meine ich nicht den S&P 500, sondern echtes Risiko: Brasilien zum Beispiel, oder Russland.

Was bitte soll momentan an Russland attraktiv sein?
Der russische Markt hat stark korrigiert. Er ist also nicht mehr um Welten riskanter als die Märkte, die ohnehin bereits stark haussiert haben. Daraus ergibt sich die eigentümliche Situation, dass die Anlagen, die auf den ersten Blick am gefährlichsten erscheinen, am sichersten sind, weil sie schon so viel an Wert verloren haben. So bietet etwa der Rubel Chancen für eine anständige Spekulation. Das ist zwar sehr riskant, und es ist gut möglich, dass er weitere 15% fällt. Ich wette aber um fast alles, dass der Rubel an einem Punkt während der nächsten sechs Monate auch 15% höher notiert.

Was wäre denn die grösste Überraschung im kommenden Jahr?
Wenn Putin einen Krieg anzettelt. Das wäre wirklich schlecht für die Märkte. Ich sage das nicht voraus. Ein Ölpreis von 55 $ setzt Russland aber stark unter Druck. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Putin in die Offensive geht. Plötzlich einverständig verhalten wird er sich ja kaum, das entspricht nicht seinem Charakter. Die grosse Frage ist also, was in Russland passieren wird. Möglich ist zum Beispiel, dass die Oligarchen die Geduld verlieren und Putin umbringen. Das wäre nicht der erste solche Coup in Russland. Vielleicht fängt Putin daher einen weiteren Krieg an, wie das viele Machthaber tun, wenn die innenpolitischen Spannungen zunehmen.

Anderen Ländern wiederum hilft der tiefe Ölpreis. Wo sehen Sie hier Chancen?
Ich bin schon das ganze Jahr optimistisch für Indien. Der indische Leitindex BSE Sensex (BSE Sensex 27499.42 0.35%) ist seit Ende 2013 zwar schon fast 30% vorgeprescht und ist nicht mehr ganz günstig bewertet. Indien zählt jedoch zu den grössten Profiteuren, wenn der Ölpreis auf diesem Niveau verharrt. Zudem hat die indische Wirtschaft die Fähigkeit, hohe Wachstumsraten zu erreichen, was indische Aktien langfristig zu einem komfortablen Investment macht. Dies auch deshalb, weil das Land gleichzeitig so viele Probleme hat.

Wie meinen Sie das?
Probleme können gelöst werden, was Potenzial freisetzt. Diese Lektion lernte ich, als ich vor dreissig Jahren meine Karriere in der Investmentbranche begann. Mein damaliger Boss war der schlechteste Investor, den man sich überhaupt vorstellen kann. Zunächst dachte ich, das sei ein Fluch, denn wer will schon in einer Abteilung arbeiten, wo der Chef nie etwas auf die Reihe kriegt? Dann begriff ich, dass gerade das ein grosser Vorteil war. Wenn der Chef inkompetent ist, eröffnet das für andere Karrierechancen. Arbeitet man hingegen für den besten Investor der Welt, gibt es kaum grössere Aufstiegsmöglichkeiten, denn er wird den Weg nie freimachen.

Arbeiten die Leute gerade deshalb so gerne hier bei Ihnen?
Jetzt haben Sie mich erwischt! Ja, meine Leute wissen, dass ich nicht der beste Investor bin.

Jetzt im Ernst: Wie legen Sie denn derzeit persönlich Ihr Geld an?
Die meisten Menschen haben ein zu wenig ausgeprägtes Risikoprofil. Auch ich leide an dieser Krankheit, denn ich mag einfach keine Verluste. Momentan halte ich mehr Cash als je zuvor. 40% meines Portfolios bestehen aus Barmitteln, wenn ich von meiner Beteiligung an DoubleLine und meiner Kunstsammlung absehe. Ich habe dabei nicht das Gefühl, dass ich viel verpasse. In Vermögenswerten wie Kunstwerken, deren Wert stark steigt, bin ich bereits investiert. Ehrlich gesagt weiss ich auch gar nicht mehr, wohin damit. Mein Haus ist schon ziemlich voll, und es wirkt doch irgendwie merkwürdig, wenn an jeder Wand ein Bild hängt.

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