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12:30 Uhr - 09.03.2016

Sieben Antworten zum morgigen EZB-Entscheid

Am Donnerstag trifft sich der Rat der Europäischen Zentralbank zu seiner mit Spannung erwarteten geldpolitischen Sitzung. Was man vorab wissen sollte.

Worum geht es am Donnerstag?
Die Inflationsrate in der Euro-Währungsunion ist im Februar überraschend deutlich gesunken. Die Konsumentenpreise sind durchschnittlich 0,2% tiefer als zwölf Monate zuvor. Das erhöht das Risiko einer Deflation sowie von Verhältnissen, wie sie Japans Notenbank sei Jahrzehnten ohne Erfolg zu bekämpfen versucht. Die Europäische Zentralbank – die Notenbank der 19 Euroländer – hat deshalb angekündigt, dass sie am Donnerstag die Geldpolitik lockern will.

Welche Massnahmen beschliesst die EZB?
Sie wird sich für Instrumente entscheiden, mit denen sie die Zinsen über sämtliche Laufzeiten hinweg weiter nach unten drücken kann.

Bei den kurzfristigen Zinsen (Geldmarktsätze, Interbankensätze), die vor allem für die Banken wichtig sind, erreicht sie dies mit dem so genannten Bankeinlagensatz. Sie hat ihn im Juni zum ersten Mal unter null gesetzt, dann im September auf –0,2% und im Dezember auf –0,3% gesenkt. Nun wird erwartet, dass sie ihn mindestens auf –0,4% reduziert. Es handelt sich um den wichtigsten der drei von der EZB direkt kontrollierten Leitzinsen. Der Einlagensatz wirkt wie ein Signal für die wichtigsten Geldmarktsätze, beispielsweise den Eonia.

Die mittel- und langfristigen Zinsen  (Kapitalmarkt) kann die EZB nicht direkt steuern. Sie beeinflusst die Marktrenditen von Anleihen, indem sie ausstehende Wertschriften aufkauft. Sie wendet dafür pro Monat 60 Mrd. € auf, davon rund 50 Mrd. für  Staatsanleihen. Am Donnerstag wird die EZB dieses Anleihenkaufprogramm ausweiten: allenfalls das monatliche Volumen um 10 Mrd. € erhöhen, die Mindestdauer über März 2017 hinaus verlängern und/oder neue Wertschriften für Aufkäufe zulassen.

Worauf ist besonders zu achten?
Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die EZB den Bankeinlagensatz tiefer als auf –0,4% senkt. Entweder, indem sie ihn am Donnerstag gleich auf –0,5% setzt, oder indem sie Andeutungen macht, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt einen weiteren Zinsschritt plant. Darüber hinaus ist entscheidend, ob die EZB bei den Anleihenkäufen echte Impulse setzt. Beschränkt sie sich nur auf «technische» Anpassungen, beispielsweise die Aufhebung der Zinsuntergrenze bei zugelassen Staatsanleihen, wird sie die Finanzmärkte herb enttäuschen.

Ist die Schweiz betroffen?
Die Schweiz ist über den Euro-Wechselkurs direkt von den EZB-Entscheiden betroffen. Denn die EZB weiss, dass sie die Wirtschaft im Euroraum nur wieder auf die Beine bringt und die Inflation anheizt, wenn sich der Euro abwertet. Genau das befürchtet die Schweizerische Nationalbank (SNB (SNBN 1080 2.86%)): Sie setzt alles daran, dass der Euro sich zum Franken nicht weiter abschwächt. Er hält sich gegenwärtig – vermutlich auch dank regelmässigen SNB-Interventionen – auf 1.09 Fr./€. Die SNB steht deshalb am Donnerstag Gewehr bei Fuss. Sie dürfte über Deviseninterventionen zu verhindern versuchen, dass der Kurs unter 1.08 Fr./€ sinkt. Und sie ist bereit, ihrerseits den Leitzins, den sie derzeit auf –0,8% hält, zu senken, falls die Zinsbotschaft der EZB offensiv ausfällt.

War die EZB mit ihrer Strategie bisher erfolgreich?
Der Rückgang der Inflation und vor allem die seit Monaten sinkenden Inflationserwartungen am Markt machen deutlich, dass die EZB-Strategie bisher nicht funktioniert hat. Ihr gesetzlicher Auftrag lautet, die Inflationsrate mittelfristig «nahe, aber unter 2%» zu halten. Davon hat sich die Realität in den vergangenen Monaten entfernt. Allerdings haben die Anleihenkäufe, die im März 2015 einsetzten, die Renditen von Staatsanleihen beträchtlich nach unten gedrückt. Und die Liquiditätsprogramme haben nachweislich dazu geführt, dass Kredite für Bankkunden günstiger geworden sind.

Wo liegt der Haken?
Es gibt mehrere. So unterminieren immer tiefere Negativzinsen die Ertragslage der Banken. Ausgerechnet jene Branche wird also finanziell geschwächt, die die EZB bisher mit all ihren geldpolitischen Massnahmen hegt und pflegt, weil sie das Bindeglied zur Realwirtschaft darstellt. Die EZB kann dieses Problem nicht beseitigen, aber sie wird es zu entschärfen versuchen, indem sie künftig die Anwendung der Minuszinsen staffelt. Details dazu wird die EZB bald veröffentlichen – eventuell schon am Donnerstag. Weitere Probleme stellen sich bei den Anleihenkäufen: Deutschland profitiert von ihnen weit mehr als die übrigen Eurostaaten, was den Sinn dieser Politik in Frage stellt. Falls das Aufkaufvolumen wesentlich erhöht wird, muss die EZB andere Anleihetypen (oder gar Aktien) ins Auge fassen. Aber damit holt sie sich zusätzliche Risiken in die Bilanz, was das Vertrauen in die Institution schwächen könnte.

Wie gross ist die Deflationsgefahr?
Eine rückläufige Inflation trifft Euroland auf dem falschen Fuss. Denn sie läuft der zarten konjunkturellen Erholung entgegen, die sich seit dem letzten Jahr abzeichnet. Südeuropa, aber auch grosse Mitglieder wie Frankreich, stecken in einer Wachstumskrise. Strukturelle Probleme verhindern, dass genügend investiert wird. Wirtschaftsreformen wie das neue Arbeitsmarktsgesetz in Italien zeigen erste Erfolge, aber sie sind auf eine Konjunkturerholung angewiesen. Die Ausgangslage erinnert vielerorts in Euroland an japanische Verhältnisse.

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