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15:02 Uhr - 09.07.2014

Deutschland schlägt Brasilien auch neben dem Platz

Brasilien sollte nicht zu lang um das Fussballdebakel trauern. Es hat grössere Probleme, wie ein Vergleich zu Deutschland zeigt.

Nach dem Halbfinal ist klar, was sich schon in den ersten Spielen der WM angedeutet hatte. Auf dem Fussballplatz ist Deutschland Brasilien haushoch überlegen. Gewiss braucht es zum Trainieren eine gewisse Infrastruktur, doch grundsätzlich haben der fussballerische und der ökonomische Erfolg eines Landes wenig miteinander zu tun. Oder die Korrelation ist gar invers: Spanien wurde während der grössten wirtschaftlichen Depression seit dem Zweiten Weltkrieg Welt- und Europameister. Kaum erholte sich die Wirtschaft, war der Zauber vorbei.

Deutschland ausser Reichweite

Dennoch fördert ein ökonomischer Vergleich zwischen den beiden Fussballnationen Brasilien und Deutschland Interessantes zutage. Deutschland ist derzeit auch als Volkswirtschaft und aus Investorensicht besser im Schuss.

Beginnen wir mit der Wirtschaftskraft, dem Wert der Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen. Deutschland bringt mit einem BIP von geschätzten 3,7 Bio. $ deutlich mehr auf die Waage als Brasilien (rund 2,2 Bio. $). Mit dem starken Real und dem kräftigen Wachstum nach der Finanzkrise schien sich die Lücke 2010 zu schliessen. Doch seither nimmt der Rückstand wieder zu.
BIPDEBR

Quelle: Internationaler Währungsfonds

Und wie sieht es beim realen Wachstum des BIP aus? Das sollte eigentlich in Brasilien wegen des Bevölkerungswachstums deutlich höher sein als im überalterten Deutschland. Seit 2011 ist davon aber wenig zu sehen:

Wachstum
Quelle: Internationaler Währungsfonds

Brasiliens Wirtschaft wuchs 2013 zwar etwas schneller, aber die Dynamik spricht für Deutschland. Denn dort signalisieren die Frühindikatoren schon länger mehr Wachstum. Der Einkaufsmanagerindex (Purchasing Managers Index) der Industrie liegt deutlich über der kritischen Marke von 50, die die Grenze zwischen Wachstum und Kontraktion im Industriesektor darstellt. In Brasilien notiert der PMI dagegen zum dritten Mal in Folge unter 50.

PMI

Quelle: Markit, Bloomberg

Deutsche Konsumenten profitieren von niedrigen Preisen, nur die Mieten und die Immobilienpreise in den Grossstädten ziehen deutlich an. Brasilien leidet zwar nicht mehr unter der Hyperinflation wie in den 1990er-Jahren, dennoch liegt die Inflationsrate auch in der aktuellen Phase mit niedrigem Wachstum über der Zielmarke der Zentralbank.

Inflation
Quelle: Internationaler Währungsfonds

Die hohe Inflation ist auch ein Grund, weshalb Brasilianer für einen Kredit oder eine Hypothek so hohe Zinsen bezahlen müssen. Dennoch ist das Leben auf Pump in Brasilien weit verbreitet. Seit der Finanzkrise ist das Volumen der Konsumkredite Jahr für Jahr 25% gestiegen. Sie sind einige der wenigen Stützen des brasilianischen Wachstums.

Hoher Realzins behindert Investitionen

Auch abzüglich der Inflation, also real betrachtet, ist das Zinsniveau in Brasilien sehr hoch. Es ist ein Grund, weshalb allgemein zu wenig investiert wird. Kredite werden praktisch nur für den Konsum gebraucht. Und da beginnt der Teufelskreis: Da zu wenig investiert wird, sind die Kapazitäten ausgelastet und es entsteht Inflationsdruck, welcher wiederum höhere Zinsen begünstigt.

Die brasilianische Zentralbank musste wegen des massiven Drucks auf die brasilianische Währung, Real, und der hartnäckig hohen Inflation den Leitzins (Selic) auf 11% anheben. Die Rendite auf lokale Staatsanleihen beträgt 12%. Der Realzins, also abzüglich der Inflationsrate, beträgt hohe 6%. In Deutschland herrscht dagegen Nullzinspolitik. Die Langfristzinsen sind sogar geringer als die Inflationsrate.

Zinsen
Quelle: Bloomberg

Nach aussen, auf fussballdeutsch im Sturm, offenbart Brasilien ebenfalls akute Schwächen. Trotz Ressourcenreichtum schafft es Brasilien beim Export nicht mal unter die besten 16, während Deutschland Exporteuropameister (global belegt es Platz 3) ist. 2013 exportierte Brasilien Waren und Dienstleistungen im Wert von 244 Mrd. $, sechsmal weniger als Deutschland.

Deutschland erzielt einen Leistungsbilanzüberschuss von fast 6% des BIP, Brasilien weist dagegen ein Defizit von mehr als 3% des BIP aus.

CAD

Quelle: Internationaler Währungsfonds

Extrem ist Deutschlands Vorsprung in der Produktivität. Es ist wie auf dem Fussballplatz: Während die Deutschen in einer Viertelstunde fünf Tore machen, brauchen die Brasilianer für ein Tor mehr als 90 Minuten.

Die Lohnstückkosten haben sich in Brasilien zwischen 2006 und 2012 mehr als verdoppelt, während sie in Deutschland zwischen 2003 und 2008 gar 5% sanken. Die erste Grafik zeigt die Lohnstückkosten der Länder des gemeinsamen Marktes von Südamerika (Mercosur) – Brasilien (orange) im Gleichschritt mit Argentinien ziehen an den anderen Mercosur-Mitgliedsländern vorbei.

ULC1

Die letzte Grafik zeigt den Verlauf der Lohnstückkosten der Euroländer. Deutschland hat wie kein anderes Land die Produktivität gesteigert, indem es das Lohnwachstum gebremst hat.

ULC Euro

Quelle: OECD

Die Kehrseite der Medaille ist die schwache Binnennachfrage der Deutschen: Hier könnten sie etwas von den spendierfreudigen Brasilianern lernen. Das heisst aber nicht, dass sie wie die Brasilianer die Verteidigung bzw. das harte Arbeiten ganz aufgeben müssen.

Die Aktienbewertung spiegelt die Probleme

Die Investoren tragen dem kritischen Zustand der brasilianischen Wirtschaft Rechnung, indem sie Aktien tiefer bewerten als etwas deutsche Titel. Das für 2014 geschätzte KGV beträgt in Brasilien im Durchschnitt 12,1, in Deutschland 14,5.

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