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10:32 Uhr - 01.09.2015

«Aktien werden bis Ende Jahr noch etwas steigen»

Bruno Gisler, Chefstratege von Aquila, hält zu Aktien. Der Schweiz räumt er ein Übergewicht ein, Rohstoffe werden gemieden, wie er im Interview mit FuW erklärt.

Herr Gisler, ist der «schwarze Montag» von vergangener Woche schon Geschichte, oder herrscht die Ruhe vor dem Sturm?
Nachdem die Börsen bereits seit Anfang August schwächer notiert hatten, fand am 24. August ein regelrechter Kurssturz statt. Die absoluten Tagesverluste von 4 bis 5% in den Hauptindizes erzählen nur die halbe Wahrheit, weil die Kursausschläge innerhalb des Tages viel grösser waren. Bruno Gisler«Investoren, die keine Hemmungen haben, gegen den Strom zu schwimmen, raten wir zum Thema Luxus.» Bild: PDAufgrund des sehr hohen Börsenumsatzes kann man von einem panikartigen Ausverkauf sprechen. Für uns ist dieser Montag damit eher Geschichte als der Anfang einer Baisse. Wir rechnen für die nächsten Monate aber mit volatileren Märkten.

Das Kursbeben ging von China aus. In Ihren Marktreports haben Sie ein Hard Landing der chinesischen Wirtschaft bisher ausgeschlossen. Bleiben Sie dabei?
Ja. Die Wachstumsabschwächung ist eine natürliche Folge des Umbaus der chinesischen Wirtschaft von einem investitionsgestützten Modell zu einem konsumbasierten Wachstum. Wir schauen daher vermehrt auf Makrodaten, die den Dienstleistungsbereich betreffen. Der Umstand, dass im Arbeitsmarkt die Stellenangebote die Nachfrage weiterhin übertreffen und die Löhne nach wie vor steigen, stimmt uns zuversichtlich. Zudem verfügt die Regierung auch nach der jüngsten Zinssenkung über grossen geldpolitischen, fiskalpolitischen und regulatorischen Spielraum, um die Wirtschaft auf dem Wachstumspfad zu halten.

Hegen die Märkte realistische Erwartungen, was China angeht, sodass man weitere Kursgewitter ausschliessen kann?
Es ist bemerkenswert, dass vor allem die angelsächsische Presse negativ über die Entwicklungen in China berichtet. So werden die Börsenturbulenzen und die Abwertung des Yuans wie selbstverständlich als Folge eines schlechten Wirtschaftsgangs dargestellt. Bei den Wirtschaftsdaten fand der Rückgang des Vorlaufindikators PMI des verarbeitenden Gewerbes seinen Weg in die Schlagzeilen, während der PMI des Dienstleistungssektors, der immer noch deutlich über 50 notiert, fast unerwähnt blieb. Auch dass die Detailhandelsverkäufe im Juli um 10,5% und die Anlageinvestitionen um über 11% gestiegen sind, fand wenig Beachtung. Die Wirtschaftsdaten sind bei weitem nicht so schlecht, wie sie dargestellt werden. Trotzdem kann man selbstverständlich weitere Kursgewitter nicht einfach ausschliessen.

Würden Sie nach dem Rückschlag in China investieren, an den Festlandbörsen, trotz Währungsrisiko, oder in Hongkong?
Der Hang Seng China Enterprise Index, aus in Hongkong kotierten chinesischen H-Aktien bestehend, ist interessant. Aufgrund des Preisrückgangs von 25% seit Mitte Juni weist er attraktive Bewertungsverhältnisse auf: ein KGV von 7, ein Kurs-Buch-Verhältnis von unter 1 und eine Dividendenrendite von gut 4%. Obwohl die Handelswährung der US-Dollar ist, muss das Renminbiabwertungsrisiko beachtet werden. Es ist jedoch für uns wegen potenzieller Kursgewinne vertretbar.

Wie stellen Sie sich die Zukunft der Weltwirtschaft vor, nun, da China als Wachstumstreiber schwächelt?
Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die Weltwirtschaft mit 3% wächst. Chinas Wachstumsbeitrag ist immer noch sehr gross. Die Wirtschaftsleistung beläuft sich aktuell auf gut 10 000 Mrd. $ p. a. Wenn dieses Aggregat mit noch 7% wächst, macht das in absoluten Beträgen mehr aus als das Wachstum von 10,5% im Jahr 2010 mit einer Wirtschaftsleistung von 6000 Mrd. $. Zudem ist Indien ein Lichtblick in Sachen Wirtschaftswachstum.  Nach den neusten Zahlen hat die dortige Wirtschaft bei einer Leistung von gut 2000 Mrd. $ im zweiten Quartal 7% zugelegt.

Steht an den Börsen eine Bewertungskorrektur bevor? In der reifen Phase des Zyklus schätzen Analysten die Unternehmensgewinne tendenziell zu optimistisch ein.
Eine Bewertungskorrektur drängt sich nicht auf. Das KGV bewegt sich für den SMI, den Dax und den S&P 500 ungefähr im zehnjährigen Durchschnitt. Die Unternehmensgewinne in der zu Ende gegangenen Berichtssaison haben die Erwartungen der Analysten sowohl in Europa wie auch in den USA übertroffen. Dabei ist zu sagen, dass die Gewinnschätzungen für die amerikanischen Unternehmen in den letzten Monaten reduziert wurden.

Ist auf die Formel «unterdurchschnittliches Konjunkturwachstum, dafür länger dauernder Kursanstieg» Verlass, und handelt richtig, wer jetzt noch Aktien kauft?
Die europäische Zentralbank und die japanische Notenbank fluten die Finanzmärkte nach wie vor mit Liquidität. Das Tiefzinsumfeld macht die traditionellen Alternativen zu Aktien unattraktiv. Da wir davon ausgehen, dass die EZB und die Bank of Japan mit ihren geldpolitischen Experimenten noch längere Zeit fortfahren, führt weiterhin kein Weg an Aktien vorbei. Zudem sind Aktien Realwerte, die wir im gegenwärtigen Umfeld Nominalwerten wie Obligationen vorziehen.

Für Verunsicherung sorgt die US-Geldpolitik. Wann ist der Zeitpunkt für die erste Zinserhöhung seit langem gekommen, und wie werden die Märkte reagieren?
Wir rechnen damit, dass das Fed die Leitzinsen noch dieses Jahr anheben wird. Die Finanzmärkte sind bestens darauf vorbereitet. Die Chancen stehen sogar gut, dass die Börsen eine Zinserhöhung positiv interpretieren, weil die Notenbank dadurch ihr Vertrauen in die Wirtschaft ausdrücken würde. Ein Verschieben des Zinsschritts könnte daher schlecht ankommen.

Die Schweiz ist knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt. Ist der Frankenschock überwunden? Welche Priorität haben Schweizer Aktien für Aquila?
Trotz des leichten Wachstums im zweiten Quartal ist der Frankenschock noch nicht überwunden. Besonders kleinere und mittlere exportorientierte Unternehmen mit Kostenbasis in der Schweiz leiden noch immer. Die Schweiz hat aber nach wie vor viele qualitativ hochwertige Gesellschaften, die im internationalen Wettbewerb sehr konkurrenzfähig sind. Daher geniessen Schweizer Aktien in unserer Anlagepolitik ein Übergewicht.

Welche Titel würden Sie als sturmfest bezeichnen, ausser den «üblichen Verdächtigen» Pharma und Konsum?
Wie wir wissen, steigt die Korrelation in Baissen. Insofern dürfte sich der Anspruch der Sturmfestigkeit als trügerisch herausstellen. Trotzdem könnten sich zum Beispiel Swisscom, Partners Group, Swiss Re und Givaudan im Vergleich zum Gesamtmarkt als relativ standfest erweisen.

Welche Chancen räumen Sie Small und Mid Caps ein, die teils deutlich zurückgeblieben oder abgestraft worden sind?
Im Umfeld der Verunsicherung haben auch qualitativ hervorragende Small- und Mid-Cap-Unternehmen Schwierigkeiten, sich börsenmässig gut in Szene zu setzen. Die Kursausschläge sind wegen der beschränkten Liquidität vielfach höher als bei Large Caps. Wir agieren vorsichtig und selektiv.

Was kauft der wachstumsorientierte Investor – in der Schweiz und anderswo?
Ihm empfehlen wir Dollar-Hochzinsanleihen sowie Aktien aus den USA und den Kernländern Europas. Investoren, die keine Hemmungen haben, gegen den Strom zu schwimmen, raten wir zudem zum Thema Luxus.

Für Auslandanlagen favorisieren Strategen Euroland vor den USA, auch aus Währungsüberlegungen. Sehen Sie andere, bessere Möglichkeiten?
Es ist nach wie vor aussichtsreich, auf die etablierten Industrieländer zu setzen. Die USA und Europa sind bei uns gleich gewichtet, wobei wir in Europa die Kernländer bevorzugen. Basierend auf der Divergenz der Politik der Notenbanken und der dynamischeren wirtschaftlichen Entwicklung setzen wir währungsmässig  auf den Dollar. Er dürfte sich trotz der Rückschläge der letzten Zeit gegen den Euro durchsetzen.

Was gilt es zu meiden, bei Aktien und im Anlageuniversum generell?
Die Bankenbereinigung in Europa hat noch nicht stattgefunden. Deshalb nehmen wir nach wie vor Abstand von europäischen Banken. Von Rohstoffunternehmen halten wir uns fern, weil der Abbau der Überkapazität noch einige Jahre anhalten wird. Von russischen und brasilianischen Aktien haben wir uns schon vor langer Zeit verabschiedet. Einen Wiedereinstieg fassen wir vorläufig nicht ins Auge, weil sich die Situation in keinem der beiden Länder kurzfristig zum Besseren wenden dürfte.

Wie stehen Sie zu Alternativanlagen, abgesehen von Rohstoffen, zu Hedge Funds, Private Equity, Edelmetallen?
Sie nehmen in unserer Anlagepolitik nur wenig Raum ein. Innerhalb der Alternativen setzen wir auf Private Equity. Hedge Funds und Edelmetalle in Form von Gold helfen, die Diversifikation etwas breiter abzustützen.

Wagen Sie eine Prognose: Wo stehen SMI, Dax und S&P 500 Ende Jahr?
Basierend auf dem Tiefzinsumfeld, das vorläufig anhalten wird, werden sich die Indizes – unter erhöhter Volatilität – noch etwas steigern können: Den SMI sehen wir Ende Jahr auf 9200, den Dax auf 10 700 und den S&P 500 auf 2080.

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