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09:55 Uhr - 20.04.2016

Kurze Verschnaufpause für Mario Draghi

Die Europäische Zentralbank dürfte am Donnerstag keine neuen Massnahmen beschliessen. Im Fokus steht der geplante Kauf von Unternehmensanleihen.

An den Finanzmärkten herrscht seltene Einigkeit: Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, wird am Donnerstag nach der EZB-Zinssitzung keine weitere Lockerung der Geldpolitik ankündigen. Stoff für Diskussionen bietet die bevorstehende Pressekonferenz dennoch mehr als genug.

So erhoffen sich Marktteilnehmer von Draghi insbesondere weitere Details zum geplanten Aufkauf europäischer Unternehmensanleihen. Noch hat die EZB mit den Käufen nicht begonnen. Doch es zeichnet sich bereits ab, dass sie mit ihrem jüngsten Streich den Anlagenotstand verschärfen dürfte. Analysten erwarten zudem, dass die EZB die monetären Bedingungen im Herbst erneut lockern wird.

Spekulationen um QE

An der vergangenen Zinssitzung am 10. März hat die EZB drastische Mittel ergriffen und ein umfassendes Stimulusprogramm beschlossen. Mit den Massnahmen will sie die rekordniedrige Inflation anfachen und das Wirtschaftswachstum beschleunigen.

Dazu haben die Währungshüter die monatlichen Anleihenkäufe von 60 auf 80 Mrd. € aufgestockt und das Wertschriftenkaufprogramm (Quantitative Easing, QE) um eine Anlageklasse, nämlich Unternehmensanleihen mit Anlagequalität (Investment Grade), erweitert. Der Einlagesatz, zu dem Banken ihre Reserven bei der EZB parken, wurde um 10 Basispunkte (Bp) auf –0,4% gesenkt. Gleichzeitig soll die Kreditvergabe durch die Verlängerung der längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO II) angekurbelt werden. Mit dem Paket übertraf die EZB die hochgesteckten Erwartungen teilweise sogar.

zoomDie Beschlüsse der Notenbank haben bereits deutliche Spuren an den Finanzmärkten hinterlassen. So sind etwa die Risikoaufschläge (Spreads) von Unternehmensanleihen mit Anlagequalität gegenüber Staatsanleihen von knapp 130 Bp vor der EZB-Sitzung auf unter 100 Bp gefallen. Am deutlichsten haben sich die Spreads von Industrieunternehmen und Versorgern reduziert. Bonds aus dem Finanzsektor hinken dem Gesamtmarkt  dagegen hinterher – die EZB berücksichtigt in ihrem Kaufprogramm nur Emissionen von Nichtbanken.

Die Entwicklung spiegelt bislang ausschliesslich die Erwartungen der Marktteilnehmer: Die EZB wird erst im Juni mit dem Erwerb von Unternehmensanleihen beginnen. Wichtige Fragen zur Umsetzung sind derzeit noch offen. Wird die EZB lediglich am Sekundärmarkt aktiv werden – wie beim Kauf von Staatsanleihen, die bereits Teil des QE sind – oder auch am Primärmarkt kaufen? Wird sie Limiten festlegen, um eine zu hohe Konzentration in einzelnen Emissionen zu verhindern? Wird es Richtlinien zur Berücksichtigung von Ländern geben?

zoomDraghi könnte am Donnerstag etwas Licht ins Dunkel bringen. So erwarten die Analysten von Barclays (BARC 167.5 -0.19%), dass die EZB am Primärmarkt aktiv sein wird, um das Anlageuniversum auszuweiten. Sie gehen zudem davon aus, dass sie eine Kauflimite von 50% pro Emission festlegen wird. Dagegen dürfte es keine Richtlinien bezüglich Ländern geben, meinen die Ökonomen von LBBW. Würde die EZB die Unternehmensbonds etwa gemäss ihrem Kapitalschlüssel kaufen, wie sie es bei den Staatspapieren tut, würde sie sich unnötig einschränken, schreiben die Strategen. Das zeigt das Extrembeispiel Frankreich: Mit einem Volumen von rund 225 Mrd. € stellt es den grössten Markt für Unternehmensanleihen im Euroraum (38%). Am EZB-Kapital hält Frankreich aber lediglich 20%. Die EZB könnte das Potenzial nicht voll ausschöpfen.

EZB verdrängt Anleger

Selbst wenn die Währungshüter die Rahmenbedingungen für den Erwerb von Unternehmensbonds grosszügig gestalten, bleibt das Anlageuniversum überschaubar. Die Analysten von Barclays schätzen das ausstehende Volumen der infrage kommenden Unternehmensanleihen auf 580 Mrd. €. Sie halten monatliche Käufe im Umfang von 10 Mrd. € für realistisch. Damit liegen sie allerdings am oberen Ende der Markterwartungen. Gemäss einer Umfrage von Bloomberg rechnen Analysten lediglich mit Käufen im Umfang von 7,5 Mrd. € pro Monat.

zoomDer sprunghafte Anstieg der Nachfrage nach Unternehmensanleihen droht, den Anlagenotstand zu akzentuieren. So sind etwa die Renditen für Unternehmensanleihen von Royal Dutch Shell (RDSB 1793.5 -0.82%) und Siemens (SIE 95.63 0.25%) im März in den negativen Bereich gerutscht. Es handelt sich dabei noch um Einzelfälle. Anders ist es bei europäischen Staatsanleihen und Pfandbriefen: Ein beträchtlicher Anteil dieser Anlagen weist bereits eine negative Rendite auf – in beiden Märkten tritt die EZB schon seit längerem als Käuferin auf.

zoomNoch ist ein Ende der ultraexpansiven Geldpolitik nicht absehbar: Marktbeobachter erwarten, dass die EZB sie noch in diesem Jahr erneut lockern wird. Die Mehrheit der Analysten setzt dabei auf September, wie eine Befragung von Bloomberg ergab. Sie prognostizieren eine Verlängerung des QE-Programms.

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