Das japanische Leitbarometer weist ein grosses Defizit auf: Einzeltitel können den Index massiv verzerren. Anlegern stehen bessere Alternativen zur Verfügung.
Wer die Börsenseiten aufschlägt und einen Indikator für den japanischen Aktienmarkt sucht, stösst in aller Regel auf den Nikkei 225 (Nikkei 225 22858.82 -0.34%) – obwohl es eigentlich höchste Zeit wäre, den traditionsreichen Index einzustampfen. Grund ist eine anachronistische Besonderheit, die seine Aussagekraft massiv schmälert: «Schwere» Einzeltitel können das Börsenbarometer spürbar verzerren – ein Makel, der inzwischen selbst die japanischen Währungshüter (Bank of Japan, BoJ) beschäftigt.
Während die meisten Leitindizes wie der SMI (SMI 9233.29 0.14%) oder der S&P 500 (SP500 2590.64 -0.02%) die Mitglieder nach ihrem Börsenwert gewichten, hängt die Relevanz im Nikkei 225 vom Kurs ab. Dieser ziemlich arbiträr gewählte Faktor übte in den letzten Quartalen gehörige Wirkung aus: Zwar ist der Textilkonzern Fast Retailing mit einem Börsenwert von 36 Mrd. Fr. nur knapp unter den dreissig grössten Indexvertretern zu finden. Wegen des aussergewöhnlich hohen Aktienkurses von rund 40 000 Yen ist das Unternehmen aber für 6,2% des Indexgewichts verantwortlich.
Klare Worte fand vor kurzem Nicholas Smith, Stratege beim Brokerhaus CLSA: Der Nikkei 225 sei «komplett dysfunktional» und wirke sich negativ auf die Markteffizienz aus – etwa, weil bedeutende Industrien wie der Finanz- oder der Automobilsektor im Index deutlich untervertreten seien. Die Börse Tokio, so erklärte Smith weiter, sei gut beraten, die Nikkei-225-Futures aus dem Verkehr zu ziehen.
Ineffiziente Kapitalallokation
Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass sich die arbiträre Gewichtung des japanischen Leitindex in den letzten Jahren negativ auf die Kapitalallokation ausgewirkt hat. Das hängt mit der quantitativen Lockerung der BoJ zusammen, die unter anderem über den stetigen Aufkauf von Aktien-ETF (Exchange Traded Funds) vollzogen wird. Zwar berücksichtigen die Währungshüter dabei auch Anlagevehikel auf die breiter aufgestellten Indizes Topix und Nikkei 400, beim Ende 2010 lancierten Programm wurde bislang jedoch der Nikkei 225 über Gebühr berücksichtigt. Das zeigt sich im NT-Ratio – dem relativen Kursverhältnis zwischen dem Nikkei 225 und dem Topix –, das seither deutlich gestiegen ist.
Das Vorgehen hat der BoJ einige Kritik eingetragen – etwa, dass Kapital nicht effizient zum Einsatz gelangt, weil Privatanleger aus dem Markt gedrängt werden (Crowding-out), die eigentlich auf eine bessere Corporate Governance hingewirkt hätten. So wurde 2013 der Nikkei 400 bewusst dafür eingeführt, Investments in aktionärsfreundliche Konzerne zu fördern.
Nach mehrfacher Erhöhung des ETF-Kaufprogramms besitzt die BoJ inzwischen Aktien im Wert von knapp 2,5% der japanischen Marktkapitalisierung. Das mag auf den ersten Blick gering erscheinen, schränkt die Liquidität
in einzelnen Titeln aber spürbar ein. Das Analysehaus NLI Research Institute schätzt – sollten die Aktienkäufe wie gehabt fortgeführt werden –, dass sich bereits kommenden März drei Viertel der frei zirkulierenden Fast-Retailing-Valoren im Besitz der BoJ befinden werden.
Gemäss einer Nomura-Analyse von letztem Mai hat das BoJ-Programm seit Juli 2016 dem Nikkei 225 einen Zuwachs von rund 1400 Punkten beschert. Indizien deuten zudem darauf hin, dass die Volatilität künstlich tief gehalten wird. Seit das Programm aufgestockt wurde, hat sich
die Schwankungsbreite der japanischen Börsen weiter verringert: Anfang August markierte der Volatilitätsindex ein neues 12-Jahres-Tiefst.
Scharfe Kritik äusserte vor wenigen Monaten auch Akira Kiyota, CEO der Börse Tokio, was in der konsensorientierten Gesellschaft Japans besonders überrascht: «Langfristig ist das Vorgehen alles andere als gut. Weiterhin für 6 Bio. Yen pro Jahr Aktien dazuzukaufen, bedeutet eine stetige Marktverzerrung.»
Breite Palette an Alternativen
Wer als privater Anleger über Indexvehikel in den japanischen Aktienmarkt investieren möchte, sollte sich der Eigenheiten der verschiedenen Börsenbarometer bewusst sein – und den Nikkei 225 wegen seiner offenkundigen Defizite meiden. Bessere Alternativen gibt es durchaus: So sind an der Schweizer Börse SIX gleich mehrere ETF kotiert, die den deutlich ausgewogeneren Nikkei 400 nachbilden.
Noch beliebter ist der vom Indexanbieter MSCI konstruierte MSCI Japan, der mit aktuell 321 Indexkomponenten rund 85% der japanischen Free-Float-Marktkapitalisierung abdeckt und die Titelgewichtung nach dem Börsenwert vornimmt.
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