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18:13 Uhr - 18.07.2014

Italien steht unter Druck

Spekulationen über einen Nachtragshaushalt werfen Schatten auf das ambitiöse Regierungsprogramm von Matteo Renzi.

Es war kein einfacher Start in die EU-Präsidentschaft für den italienischen Premier Matteo Renzi. Italien hat seit Juli für sechs Monate den Vorsitz des 28 Länder zählenden Rats der Union inne. Gerüchten zufolge wurde bereits am ersten Ecofin-Treffen vorgeschlagen, Italien unter Aufsicht der Troika zu stellen. Das berüchtigte Dreiergespann aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) wacht darüber, dass Eurostaaten, die einen Hilfskredit bekommen haben, die Sanierungsauflagen erfüllen.

Italien hat nie einen Eurorettungsschirm in Anspruch genommen. Es hat die Finanzkrise auf eigenen Beinen durchgestanden und verfolgt seit zwei Jahren eine ehrgeizige Reformagenda, die an den Anleihen- und den Aktienmärkten auch gebührend gefeiert wurde. Und nun das: für den im Februar eingesetzten neuen Premier ein Affront.

Die Kritik trifft die Regierung zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Zweifel am Haushaltsplan sind aufgekommen. In den Medien wird ein Nachtragshaushalt im September als unvermeidlich beschrieben. Der Reformelan hat an Schwung verloren. Und der kürzliche Schwächeanfall in Staatsanleihen, der sich vom Zahlungsausfall der portugiesischen Banco Espirito Santo (BES 0.492 2.93%) auf ganz Südeuropa ausbreitete, zeigt, wie wenig es braucht, um Investoren zu erschrecken.

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Tiefe Zinsen reichen nicht

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Auf diese ist Italien aber angewiesen. Das Volumen der Obligationen des öffentlichen Sektors, die von Anlegern im Ausland gehalten werden, ist höher als in allen Partnerstaaten, ausgenommen Deutschland. Dass der prozentuale Anteil inländischer Gläubiger relativ gross ist, spielt hierbei keine Rolle, denn das Gesamtvolumen ist immens. Italien wälzt den grössten Schuldenberg von allen vor sich her: 2100 Mrd. € oder 134% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Dieses Jahr zahlt es 83 Mrd. € an Zinsen.

Das Marktzinsniveau ist daher entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. Dank niedrigen Sätzen und Risikoaufschlägen wurde ein Milliardenbetrag im Staatshaushalt eingespart. Sie dürfen nun keinesfalls steigen. Aber die tiefen Zinsen allein helfen wenig, solange die Wirtschaft stagniert. Das Forschungsinstitut Prometeia geht davon aus, dass die Zinskosten der öffentlichen Hand 2014 bis 2017 durchschnittlich 3,8% betragen werden, falls der Risikoaufschlag weiter schrumpft. Gemäss Prometeia wird das BIP in diesem Zeitraum nominal 2,6% pro Jahr wachsen – deutlich weniger als die Nominalrendite der Schuldtitel.

In diesem durchaus realistischen Szenario muss die Regierung jedes Jahr einen Haushaltsüberschuss ohne Zinsdienst (Primärsaldo) von mindestens 1,2% des BIP erwirtschaften, um die Schulden zum BIP stabil zu halten. Soll die Schuldenquote sinken, müssen es mehr sein. Unmöglich ist das nicht: Italien hat in den letzten vier Jahren Primärüberschüsse erzielt. 2013 belief er sich sogar auf 2,2% des BIP. Aber die Prognose macht klar, dass die Belastung für Familien und Unternehmen kaum nachlässt. Obwohl die Regierung das Gegenteil verspricht und alles daransetzt, dass die Wirtschaft wieder wächst.

Wenig Wachstum in Aussicht

Die konjunkturellen Signale fallen indes enttäuschend aus. Zu Beginn des Jahres wurde veranschlagt, dass das BIP 2014 immerhin ein knappes Prozent zulegen würde. Nun sind sich alle einig, dass es stagnieren wird. In den vergangenen drei Quartalen bewegte es sich an der Nulllinie. Impulse bringt allein der Export. Die Erholung der Inlandnachfrage, die ebenfalls zunächst für 2014 erhofft wurde, lässt auf sich warten. Die Wende wird für nächstes Jahr vorhergesagt – wieder einmal. Dann soll 1% Wirtschaftswachstum drinliegen. Zum Vergleich: Für Spanien prognostizieren Experten das Doppelte.

Entscheidend wird sein, den Investitionsmotor anzuwerfen. Die Regierung hat  bereits Weichen gestellt. Investitionen der Klein- und Mittelbetriebe (KMU) in Maschinen werden steuerlich mehr begünstigt, aber weiterhin bescheidener als in Konkurrenzstandorten wie Grossbritannien. Italiens Banken sind darüber hinaus mit ihrer eigenen Bilanzbereinigung beschäftigt und fallen deshalb als Kreditgeber für den Mittelstand aus. Sie hängen am Tropf der EZB: Mit 168 Mrd. € oder 37% halten sie den grössten Anteil der dreijährigen LTRO-Kredite der Zentralbank (Spaniens Banken: 32%).

Dass die EZB im September neue LTRO ausgibt, die an die Auflage geknüpft sind, die Mittel als Kredit an KMU zu vergeben, ist für Italien wie massgeschneidert. Die drei führenden Banken erklärten sofort, 34 Mrd. € nachzufragen. Jedoch wird die Summe kaum reichen, um dem Land zum konjunkturellen Durchbruch zu verhelfen. Vielmehr handelt es sich um einen weiteren kleinen Schritt auf dem langen Pfad aus der schweren Krise. Italiens Wirtschaftspolitik ist auf dem richtigen Kurs, aber sie darf sich keinen Fehltritt leisten.

Monumentale Reformen
Der Ton ist zurückhaltender geworden, die Herausforderung bleibt unverändert gross. Matteo Renzi versprach im Februar, jeden Monat eine Reform durchzusetzen. Nach hundert Tagen war nur noch von tausend Tagen die Rede, die es insgesamt benötige, um das Land zu reformieren. Nach den beiden Vorgängerregierungen, die sich darauf konzentrierten, die Staatskasse zu sanieren (Monti über Steuererhöhungen, Letta über Ausgabenkürzungen), setzt Renzi sein ganzes politisches Gewicht auf den strukturellen Umbau. Herzstück sind die Abschaffung des Zweikammer- und die Änderung des Wahlsystems. Der Senat wird nicht geschlossen, wie ursprünglich in Aussicht gestellt, sondern zu einem regionalen Beirat abgespeckt. Die Behandlung im Senat (!) beginnt am Montag. 7800 Änderungsanträge stehen an.

Den wirtschaftspolitischen Schwerpunkt bildet die Reform des Arbeitsrechts. Sie soll im September zur Abstimmung kommen. Normen zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen sollen noch im Sommer abgesegnet werden. Das ist auch für eine neue Runde der Rückführung von im Ausland geparkten Vermögen geplant. Ob die monumentalen Reformen am Ende mehr als eine Maus hervorbringen, ist nicht sicher. Die Widerstände sind enorm. Aber dafür sitzt Renzi politisch fester im Sattel als seine Vorgänger.

Wieder mehr Nervosität in Europas Bankensektor
Negativer Ausblick für Italiens Banken wegen EZB-Stresstest. Lesen Sie hier die Analyse von FuW-Redaktor Clifford Padevit.

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