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16:15 Uhr - 29.09.2015

China: «In günstige Unternehmen mit wenig Schulden investieren»

Haiyan Li-Labbé, China-Expertin von Carmignac, hält chinesische Aktien langfristig und sichert ihre Positionen kurzfristig mit Terminkontrakten (Futures) ab. Im Juli sei die Regierung in Panik geraten.

Frau Li-Labbé, erst verdoppeln sich die Aktienkurse in China in weniger als sieben Monaten, dann sinkt die Börse um 40%. Wie lässt sich das erklären?
Die Blase ist geplatzt. Dazu muss man den Hintergrund des Aktienmarktes in China verstehen. Die Börse ist sehr jung. Sie wurde erst 1990 eröffnet. Es gibt in China nur sehr wenige Anlageprodukte, und Chinesen haben wenig Bildung im Finanzbereich. 80% aller Marktteilnehmer sind Privatanleger, nur 20% sind institutionelle Investoren. Da der Markt von den Privaten getrieben wird, folgen die Institutionellen diesen Retailinvestoren. Die institutionellen Anleger schauen nicht wirklich auf Fundamentaldaten, um ihre Aktien auszuwählen. Sie kaufen Titel, die schon gut laufen. Die Mentalität ist also anders als in den entwickelten Finanzmärkten.

Der Markt ist durch Momentum getrieben?
Ja, das Momentum prägt viele Anlageentscheide, Fundamentaldaten sind nicht wichtig für den Retailanleger. Mitte letzten Jahres war der Leitindex Shanghai Composite so günstig bewertet wie zuletzt in der Finanzkrise. Dann stiegen erstens die Erwartungen an das Reformprogramm der chinesischen Regierung. Zwar wurde ein Reformplan schon 2013 angekündigt, aber es brauchte eine gewisse Zeit, bis sich die Leute dafür begeistert haben. Zweitens sind die Immobilienpreise zurückgegangen. 80% der Ersparnisse der Chinesen sind in Immobilien. Deshalb versuchten sie, ihre Anlagen zu diversifizieren. Drittens erwartete man eine Lockerung der Geldpolitik bei sehr tiefer Inflation.

Anleger suchten also neue Möglichkeiten?
Ja. Chinesen sparen viel, die Sparquote der Haushalte beträgt 40%. Die Löhne steigen jedes Jahr. Ins Ausland kann man offiziell jährlich nur 50 000 $ bringen. Und für viele schienen die bislang stark im Wert gestiegenen Immobilien keine gute Anlage mehr zu sein. Dann kam die erste Zinssenkung der chinesischen Zentralbank. Das weckte die Lust auf Aktien, viele Investoren kamen in den Markt.

Was haben die Behörden getan?
Die Regierung hat dabei einen Fehler gemacht. Sie hat erlaubt, dass sich die Privatanleger für ihre Investitionen hoch verschulden. Die Broker bieten Kredite in der gleichen Höhe wie der Wert des Wertpapierdepots. Aber es gab neben den Brokern viele andere Firmen, die Aktienkredite gewährten. Zahlreiche Privatanleger investierten dank dieser Kredite mit einem Hebel von bis zu fünf oder gar zehn. Das ist verrückt. Mit einem Hebel von zehn reicht ein Kursrückgang von 10%, um das Eigenkapital aufzubrauchen. Aber alle waren verrückt. Eine lange Zeit wurden jede Woche 2 bis 4 Mio. neue Depots eröffnet.

Trotz der hohen Bewertung der Aktien?
Die Bewertungen waren völlig übertrieben. Der Technologieindex ChiNext in Shenzhen war zeitweise mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von mehr als 100 bewertet. Aber viele IT-Firmen machten keinen Gewinn. Die hohe Bewertung zeigt, dass das eine Blase war. Doch die hohen Kurse waren von der Regierung gewollt.

Weshalb wollte die Regierung eine Rally?
Die Logik dahinter war, dass die Staatsunternehmen von ihrer hohen Verschuldung befreit werden sollten. Um das Eigenkapital aufzustocken, sollten sie Aktien ausgeben, und diese wollte man nicht zu tiefen Kursen an den Markt bringen. Präsident Xi Jinping agierte wie der CEO eines Unternehmens. Es lag also im Interesse der Regierung, die Börsen nach oben zu bringen, um die Verschuldung der Staatsunternehmen abzubauen. Gleichzeitig halfen die Medien, die Rally zu befeuern. Man las immer, die Hausse sei durch die Reformen gerechtfertigt. Der Präsident der Finanzmarktaufsicht CSRC sagte, als sich die Kurse schon fast verdoppelt hatten, dass das erst der Beginn des Bullenmarktes sei.

Dann kam die Ernüchterung.
Als die Kurse anfingen zu kollabieren, verloren Privatanleger schnell viel Geld, wegen des grossen Hebels. Durch solche Verluste wird die Stimmung sehr negativ. Im Juli geriet die Regierung dann in Panik. Es bestand die Gefahr, dass die Baisse in einen Teufelskreis führt und das gesamte Finanzsystem bedroht. Da die Behörden wenig Erfahrung mit dem Aktienmarkt haben, gingen ihre Massnahmen zu weit. Grossinvestoren durften ihre Aktien nicht mehr verkaufen oder mussten sie gar zurückkaufen. Und Broker wurden gezwungen, Aktien zu kaufen. Insgesamt wurden 1,6 Bio. Yuan respektive 245 Mrd. Fr. aufgebracht, um den Markt zu retten. Aber nur die grossen Unternehmen wurden gestützt, was zu massiven Marktverzerrungen führte. An manchen Tagen stiegen die Aktien des Ölkonzerns PetroChina um das erlaubte Tageslimit von 10%, während die kleinen Titel 10% sanken.

Der Markt ist durch die Regierung geprägt?
Ja, der Staat ist nicht nur Aufsicht, sondern auch Spieler im Markt. Beides gleichzeitig zu sein, geht eigentlich nicht. Die Spielerrolle einzunehmen, war ein Riesenfehler. Es zerstörte das Vertrauen der Investoren in die Fähigkeiten der Regierung.

Wie positionieren Sie sich nun im chinesischen Aktienmarkt?
Unsere Schwellenländerfonds hatten die Position in China früh abgebaut. Wir halten nun 10% in China, inklusive Hongkong. In A-Shares, also in den in Renminbi gehandelten Aktien in China, sind wir über Futures eine Verkaufsposition eingegangen. Wir gehen nicht von einer Katastrophe für die chinesische Wirtschaft aus. Die Verschuldung der Unternehmen ist durch das hohe Vermögen der Haushalte ausgeglichen – es handelt sich nur um ein Ungleichgewicht innerhalb der chinesischen Volkswirtschaft. Die Auslandverschuldung ist gering. Es ist eine völlig andere Situation als in anderen Schwellenländern.

Aber Chinas Wirtschaft wächst langsamer.
Ja, doch die Geldpolitik hat im Gegensatz zu den Industrieländern Spielraum, die Zinsen zu senken. Zudem kann der Staat seine Ausgaben erhöhen. Das Haushaltsdefizit liegt bei nur 1,5% des Bruttoinlandprodukts. Die Regierung hat also Handlungsspielraum, um einen Wirtschaftseinbruch zu verhindern. Wir sind in einem schmerzvollen Übergang zu einer wachsenden Bedeutung des Dienstleistungssektors, der nun 40% des BIP ausmacht. Doch selbst wenn die Industrie nicht mehr wüchse, läge das Gesamtwachstum dank des Servicebereichs nicht weit von 5%. Es gibt einen neuen, konsumorientierten Lebensstil. Solange die Löhne steigen, wird der Konsum nicht zurückgehen.

Wie hoch ist das Risiko im Finanzsektor?
Er scheint nach dem Abwärtsdruck im August wieder stabil zu sein. Das Problem der hohen Aktienkredite wurde fast beseitigt. Die Situation auf den internationalen Märkten ist komplex: die US-Geldpolitik, die Probleme der Schwellenländer. Man vereinfacht zu stark, wenn all diese Probleme als Chinakrise bezeichnet werden.

Doch die Kurse werden kaum bald steigen.
Natürlich nicht. Es gibt keinen Kollaps der Wirtschaft, aber für neues Investorenvertrauen braucht es mehr. Es wird davon abhängen, wie die Regierung ihr Reformprogramm umsetzt. Die Bewertungen sind dieses Jahr von einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20 auf 12 gefallen. Die staatseigenen Unternehmen haben ein KGV von 9. Ich bin jetzt viel besorgter wegen der Bewertungen in Europa und den USA. Für steigende Aktienkurse in China braucht es aber zunehmende Unternehmensgewinne. Und danach sieht es nicht aus.

Die Reformen bringen keinen Impuls?
Zwar wurden Reformen der staatseigenen Unternehmen angekündigt, aber das ist keine echte Privatisierung. Kapital könnte von privater Seite für zahlreiche Sektoren bereitgestellt werden. Doch die Partei drängt darauf, dass nur die Staatsunternehmen grösser und stärker werden. Das schafft mehr Monopolbetriebe, und diese schaden der Produktivität und der Effizienz der Wirtschaft. Wir müssen abwarten, wie die Reform umgesetzt wird. Mir gefällt nicht, dass die Bedeutung der Führungsposition der Kommunistischen Partei in den Unternehmen betont worden ist.

Ohne kurzfristigen Impuls für Aktien sind Sie also als langfristiger Investor aktiv?
Ja. Wir haben unsere Investition durch Futures abgesichert, aber wir halten Aktienpositionen, von denen wir überzeugt sind. Es gibt günstige Unternehmen mit viel freiem Cashflow und geringen Schulden. Ein Beispiel ist der Shanghai International Airport. Er gehört zur neuen Freihandelszone Schanghai. Dort wird zudem nächstes Jahr das zweitgrösste Disneyland der Welt eröffnet, erwartet werden jährlich 20 Mio. Besucher. Das allein erhöht die Passagierzahl für den Flughafen um 10%. Und das jetzige Fracht- und Passagierwachstum von 15% dürfte sich fortsetzen. Solch ein Unternehmen kann man zehn Jahre im Portfolio halten. Ein anderes Beispiel ist der Bushersteller Yutong. Er hat 30% Marktanteil in China und 12% weltweit. Ein Fünftel des Umsatzes kommt von elektrischen Bussen mit moderner Technologie. Die Busse von Yutong werden in andere Schwellenländer exportiert, da der Preis ein Drittel günstiger ist als bei europäischer Produktion.

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