Neel Kashkari, der Präsident der Fed Minneapolis, macht Ernst: Er will die Volkswirtschaft vor zu grossen Banken schützen. Dafür hat er ein Hauptrezept: mehr Eigenkapital.
Er hält sein Versprechen. Im Februar hatte US-Notenbankmitglied Neel Kashkari angekündigt, einen Plan vorzustellen, wie man mit übergrossen Finanzinstituten umgehen will. Diese Too-big-to-fail-Problematik ist immer noch nicht gelöst (vgl. Kasten rechts). Am Mittwoch hat Kashkari, Chef der Fed-Distriktnotenbank Minneapolis, nun seinen Vorschlag im Detail vorgestellt.
Was ist Too big to fail?Wenn Banken zu gross geworden sind, sind Staaten gezwungen, sie im Krisenfall zu retten. Würden die Finanzinstitute nicht gerettet, könnten sie durch ihr Gewicht das ganze Finanzsystem und damit die Volkswirtschaft in Bedrängnis bringen. Sie sind damit zu gross, um sie scheitern zu lassen – too big to fail. Das wurde in der Finanzkrise 2008 deutlich. Damals mussten Regierungen in den USA und Europa die Banken unterstützen – indem etwa Garantien ausgesprochen wurden –, um eine Kaskade von Zahlungsausfällen im Finanzsystem zu verhindern. In der Schweiz sind die Grossbanken UBS und Credit Suisse als systemrelevante Finanzinstitute strengeren Eigenkapitalrichtlinien unterworfen. Kashkari handelt aus persönlicher Erfahrung – er hat das Programm zur Bankenrettung (Bailout) in den USA im Jahr 2008 geleitet. Doch einen Kreuzzug gegen die Grossbanken führt er nicht: «Eine objektive Einschätzung der Kosten und der Vorteile ist die Grundlage des Minneapolis-Plans», erklärte er in seiner Rede.
«Dramatisch höhere Eigenkapitalanforderungen», umreisst Kashkari diesen Plan. In vier Schritten soll das US-Finanzwesen sicherer werden:
1. Schritt: Banken mit einer Bilanzsumme von über 250 Mrd. $ müssen demnach 23,5% ihrer risikogewichteten Aktiva als Eigenkapital (Aktien) halten. Das sind momentan die zehn grössten Finanzinstitute in den USA. Bisher müssen US-Grossbanken zwar 23,5% an Verlusten «absorbieren» können – doch das erreichen sie momentan auch durch das Vorweisen langfristiger Verbindlichkeiten (Schulden wie etwa Anleihen). Nun soll es reines Eigenkapital sein.
2. Schritt: Das US-Finanzministerium (Treasury) soll beurteilen, ob eine Grossbank nicht mehr too big to fail ist. Wird eine Bank als zu gross eingeschätzt, soll sie noch mehr Eigenkapital als die 23,5% halten – bis sie kein Risiko mehr darstellt bzw. bis zur maximalen Eigenkapitalquote von 38%.
Bisher beträgt die Quote an Kernkapital (Tier 1 Ratio) der vier grössten Banken zwischen 11 und 13%. Nach Berechnungen der Fed-Distriktbank Minneapolis wären 1300 Mrd. $ mehr Eigenkapital notwendig.
3. Schritt: Auch Schattenbanken sollen reguliert werden. Das sind Unternehmen, die Kredite vergeben, aber nicht unter die Bankenregulierung fallen. Dazu gehören etwa Hedge Funds, Anlagefonds oder andere Finanzfirmen. Sie sollen bis zu 2,2% Steuern auf ihr Fremdkapital bezahlen. So soll verhindert werden, dass die strengere Regulierung der Banken umgangen wird, indem solche Finanzunternehmen die Kreditvergabe übernehmen.
4. Schritt: Kleinere Banken mit einer Bilanzsumme von unter 10 Mrd. $ sollen weniger reguliert werden, da sie ein kleineres Risiko für die Volkswirtschaft darstellen.
«Weniger Mega-Banken»
Wer ist Neel Kashkari?Neel Kashkari hat eine steile Karriere hinter sich. Mit nur 42 Jahren ist er vergangenes Jahr zum Präsidenten der Distriktnotenbank von Minneapolis ernannt worden. Ab Anfang 2017 gestaltet der Sohn von Brahmanen aus dem Kaschmir damit zudem als Mitglied des Offenmarktausschusses turnusgemäss die Geldpolitik der Vereinigten Staaten mit. Er ersetzte den Ökonomen Narayana Kocherlakota. Lesen Sie hier ein ausführliches Porträt des ehemaligen Goldman-Sachs-Angestellten, der schon einmal als Gouverneur von Kalifornien kandidiert hat. Warum sind die Eigenkapitalanforderungen der wichtigste Hebel gemäss dem Kashkari-Plan? Er verspricht sich davon einerseits eine Schutzwirkung, andererseits einen Anreiz zur Verkleinerung der Grossbanken.
Nach Ansicht vieler Ökonomen wie etwa des deutschen Bankexperten Martin Hellwig macht mehr Eigenkapital die Finanzinstitute sicherer. Schreiben die Banken Verlust, gibt es mehr Reserven durch das Geld der Aktionäre, bevor etwa Anleihengläubiger und Inhaber von Konten einen Beitrag zur Bankenrettung leisten müssen. Da Investitionen in Aktien als riskanter gelten, verursachen Verluste auf das Eigenkapital keine grossen Schockwellen im Finanzsystem.
Dagegen werden Anleihen und noch mehr Bankkonten als sichere Anlagen betrachtet – Eigentümer solcher Anlagen reagieren oft schockiert, wenn sie sich an Verlusten beteiligen müssen.
Der Staat musste daher meist einspringen, wenn eine Bank zu wenig Eigenkapital hielt – denn die Abschreibungen auf das Fremdkapital hätten die Kapitalgeber zu sehr überrascht und damit unkontrollierte Folgen gehabt.
Doch je höher die Eigenkapitalquote, desto eher befürchten Aktionäre eine Verwässerung ihres Gewinns. Der Profit eines Finanzinstituts wird dann auf mehr Aktien verteilt. Würden systemrelevante Banken mehr Eigenkapital halten müssen, könnten ihre Aktien weniger attraktiv sein. Und die Banken würden sich gezwungen sehen, von selbst zu schrumpfen – nur um neue Aktionäre zu finden.
«Wir werden weniger Mega-Banken haben, und es wird eine weit geringere Konzentration im Bankensystem geben», zeigt sich Kashkari von den Auswirkungen seines Plans überzeugt. Die von der Regulierung entlasteten kleineren Banken würden dagegen ihre Position verbessern und einen grösseren Anteil am Finanzsystem übernehmen.
Krisenwahrscheinlichkeit gesenkt
Um die Too-big-to-fail-Banken, die auch nach den strengeren Eigenkapitalrichtlinien existieren würden, müsste man sich keine Sorgen machen, meint Kashkari. «Sie wären so gut kapitalisiert, dass sie einen grösseren Schock aushalten könnten, ohne eine Krise auszulösen», glaubt er.
Die Fed-Distriktbank Minneapolis hat simuliert, wie gross die Gefahr unter verschiedenen Regulierungen wäre, dass der Staat wieder Banken retten müsste. Die Frage: «Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer notwendigen Bankenrettung in den nächsten hundert Jahren?» (vgl. untere Grafik).
Wäre die Regulierung vor der Finanzkrise noch in Kraft, würde die Wahrscheinlichkeit der Notwendigkeit eines Bailouts (in den nächsten hundert Jahren) über 80% liegen. Das Risiko, dass im nächsten Jahr ein Bailout notwendig wäre, beträgt noch 1,79%.
Seitdem hat sich etwas getan: Höhere Eigenkapitalanforderungen und strengere Regulierungen haben die Bailout-Gefahr auf etwas unter 70% gesenkt.
Der Schritt 1 des Minneapolis-Plans mit hohen Eigenkapitalanforderungen senkt das Risiko auf 40%. Der zweite Schritt des Plans – noch höhere Kapitalanforderungen für systemrelevante Banken – reduziert diese Wahrscheinlichkeit auf weniger als 10%. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bailout im nächsten Jahr notwendige wäre, wird auf 0,1% geschätzt.
Wahrscheinlichkeit eines Banken-BailoutRisiko unter verschiedenen Eigenkapitalanforderungen.
Der Nachteil: weniger Wirtschaftswachstum
Mehr Sicherheit gibt es nicht umsonst. Die Kapitalkosten der Banken würden steigen, wenn sie mehr Eigenkapital aufnehmen müssten. Zum einen wollen Aktionäre wegen des von ihnen getragenen Risikos mit einer höheren Rendite entschädigt werden. Zum anderen können die Banken Zinsen auf Fremdkapital von der Steuer abziehen – ausgeschüttete Dividenden aber nicht.
Wenn die Finanzinstitute diese höheren Kapitalkosten an ihre Kunden weitergeben, steigen die Kreditkosten. Werden Kredite teurer, belastet das etwa Investitionen und damit die Wirtschaftsleistung. Mehr Eigenkapital könnte also das Bruttoinlandprodukt (BIP) reduzieren.
Die untenstehende Tabelle zeigt die geschätzten höheren Kapitalanforderungen, die mit dem Minneapolis-Plan notwendig wären.
Die Kernkapitalquote von 38% gemäss dem zweiten Schritt des Minneapolis-Plans würde 1300 Mrd. $ mehr Eigenkapital erfordern. Das würde höhere Kreditkosten von 1,43 Prozentpunkten zur Folge haben.
Die höheren Kreditkosten würden das jährliche BIP um 1,4% senken. Diskontiert man die entgangene Wirtschaftsleistung in der Zukunft, betragen die Kosten der strengeren Bankenregulierung fast 30%.
Volkswirtschaftliche Kosten von mehr Eigenkapital
Kosten und Nutzen vergleichen
Die Fed-Bank Minneapolis glaubt, dass bei der geforderten Eigenkapitalquote von 23,5% die «Grenzkosten dem Grenznutzen entsprechen» – also die ökonomisch effiziente Bankenregulierung getroffen wäre.
0,06% – das sind laut Ökonomen die jährlichen Grenzkosten für einen Prozentpunkt mehr Eigenkapital. Angenommen wird, dass diese Kosten über alle Kernkapitalquoten konstant werden.
Gleichzeitig sinkt der Grenznutzen von mehr Eigenkapital – das niedrigere Risiko einer Finanzkrise –, wenn man die Kapitalanforderungen erhöht. Das ist einleuchtend: Ist das Kapital extrem gering, helfen schon kleine Erhöhungen der Anforderungen, um das Finanzsystem sicherer zu machen. Doch die Banken brauchen gerade so viel Kapital, dass sie vor grossen Verlusten geschützt sind – aber nicht mehr.
Kosten-Nutzen-Vergleich von höherem Eigenkapital
Nur eine Diskussionsgrundlage?
Neel Kashkari erklärte in seiner Rede am Mittwoch, dass er nur eine Diskussionsgrundlage in die Öffentlichkeit bringen will – und er nicht einmal für die gesamte US-Notenbank spricht.
Aber sein ausgefeilter Vorschlag bringt eine neue Qualität in die Debatte um Too big to fail. Wer sich jetzt gegen höhere Eigenkapitalanforderungen stellt, muss die Zahlen aus Minneapolis anzweifeln – und eine eigene Analyse vorlegen.
Nun kommt es auf die Politik in Washington an. Die Republikaner beherrschen für die nächsten zwei Jahre den Kongress – und gelten als einer strengeren staatlichen Regulierung feindlich gesinnt. Doch es gibt auch Signale, dass man engeren Fesseln für Wallstreet nicht abgeneigt wäre. So gab es während des Wahlkampfs Stimmen aus dem Team von Donald Trump, dass man die Trennung von Investment- und Geschäftsbanken wieder einführen wolle.
Dass Kashkari mit seinem radikalen Plan Erfolg haben wird, ist damit zwar nicht ausgeschlossen. Doch die Lobby-Kräfte der Grossbanken werden sich wohl mit all ihrer Macht dagegenstellen.
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