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10:10 Uhr - 09.12.2014

«Die Skepsis hält die Aktienhausse am Leben»

Für Burkhard Varnholt, CIO der Bank Julius Bär, reichen risikolose Anlagen selbst für den Vermögensschutz nicht aus. Qualität und Liquidität sind sein Credo, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Burkhard Varnholt, CIO Julius Bär«Fürs nächste Jahr ist die Voraussage einfach: mehr Aktien als Bonds. Gesundheit und Technologie gefallen besonders.» Bild: ZVGHerr Varnholt, stehen die Börsen im sechsten Jahr des Aufschwungs am Zenit?
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte der Börse der Spruch: Haussen werden im Pessimismus geboren, wachsen an der Skepsis, reifen im Optimismus und sterben in der Euphorie. So ist es auch jetzt. Wir leben in der finanziellen Repression, dem schleichenden Vermögenstransfer von Sparern zu Schuldnern, der nach der Finanzkrise 2008 begann. Hinzu kommt eine weitere Keule, die Demografie. Die reicht länger zurück,  ist aber keinesfalls weniger einflussreich.

In welcher Form?
Die Alterung der westlichen Bevölkerung setzt unsere Vorsorgewerke – sie sind immerhin die grössten Investoren in den westlichen Ländern – unter enormen Kaufdruck für langfristige Staatsanleihen. In der Finanzkrise wuchs zwar das Angebot aufgrund der steigenden Staatsverschuldung enorm, aber die Papiere wurden von den Notenbanken wie von einem trockenen Schwamm aufgesaugt. Die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen fiel in den USA von 1982 bis heute von 17 auf gut 2% und in der Schweiz sowie in Europa auf 0%. Was das heisst: Die Bewertungsdifferenz zwischen Aktien und Bonds ist die höchste der Geschichte.

Billiges Geld kreiert spekulative Blasen, und ein Platzen der Bondblase würde auch Aktien treffen. Ist nicht Vorsicht geboten?
Es wird auch diesmal so sein, dass spekulative Blasen platzen. Nur hilft uns die  breite wissenschaftliche Literatur leider nicht, Blasen zu erkennen. Gewissheit hat man erst, wenn sie geplatzt ist.

Am Bondmarkt haben wir keine Blase?
In Teilmärkten sicher, beispielsweise im High-Yield-Sektor, in den hochverzinslichen und minderwertigen Titeln. Von High Yields haben wir uns dieses Jahr nach substanziellen Gewinnen zurückgezogen. Ich meine, wie viele andere auch, dass das gegenwärtige monetäre Experiment in Tränen enden wird. Aber nicht so bald, wie manche denken.

Sondern? Was führt Sie zu diesem Urteil?
Ökonomen und die Medien mögen etwas optimistischer geworden sein, aber nicht die Investoren. Diese sind weiterhin sehr skeptisch gestimmt, befürchten Rückschläge und das Platzen von Blasen. Dabei kann und wird wohl auch die finanzielle Repression mit ihren extrem niedrigen Zinsen noch problemlos fünf Jahre andauern. Notenbanken haben einen enorm langen Atem, und John Maynard Keynes hatte recht, als er sagte, Märkte könnten länger irrational sein als Investoren solvent.

Die Notenbanken halten das System intakt, zumindest auf Zeit. Darf man als Anleger darauf bauen?
Wenn ich über eines eine hohe Gewissheit habe, dann darüber, dass die Notenbanken und allgemein die Politik im Westen hypernervös sind. Und eine ebenso hohe prognostische Zuversicht habe ich, dass sich an diesem Zustand mindestens in den nächsten zwölf Monaten nichts ändern wird. Bei jedem Hinweis auf eine Krise werden sie wieder die Schleusen öffnen. Das ist schon mal gut zu wissen. Wer sich daran in diesem Oktober erinnert hat, dem ist das Herz nicht gleich in die Hose gerutscht, als es an den Börsen ein paar Tage lang heftigen Gegenwind gab.

Heisst die hohe Bewertungsdifferenz zu Bonds, dass Aktien attraktiv sind? Kommt es nicht auch auf die Verfassung und die Perspektiven der Unternehmen an?
Selbstverständlich kommt es auch auf die Unternehmensentwicklung an. Ich nenne Ihnen eine Zahl, die Investoren immer wieder überrascht: Um wie viel hat sich das globale Bruttosozialprodukt vom Wert vor der Finanzkrise bis heute verändert? Um fast 30% – trotz Kummer in Europa,  geopolitischen Spannungen, unterdurchschnittlichem Wachstum in den USA, Problemen in Japan und verlangsamter Dynamik in China. Das hört nicht auf. In Amerika verstärkt sich der Aufschwung, was auf die übrige Welt ausstrahlen wird. Schwellenländer wie China und Indien ziehen weiterhin am Karren, und Europa wird nicht in die Rezession kippen, das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.

Wie schätzen Sie die Zukunft Europas ein?
Bei den Berichten über das Sorgenkind Frankreich und die stockende Konjunkturentwicklung in Deutschland geht unter, dass eine substanzielle Wirtschaft wie die spanische grosse strukturelle Fortschritte macht. Hinzu kommt der schwächere Euro. Er wird im neuen Jahr auf die europäische Wirtschaft durchschlagen. Historisch sind Aktien besonders in den USA hoch bewertet. Aber die Analyse ist irreführend, zumal man beim Autofahren auch nicht nur in den Rückspiegel schaut,  sondern nach vorn. Entscheidend ist die relative Analyse. Fremd- und Eigenkapital sind zwei untrennbare Seiten derselben Medaille. Ich kann nicht sagen, Aktien seien teuer, ohne die Bonds anzuschauen. Und dieser Vergleich sagt mir, dass Aktien nach wie vor eine hohe Risikoprämie aufweisen, in die zu investieren attraktiv ist.

Wohin steuern die Börsen unter dieser Prämisse?
Die Skepsis hält die Hausse am Leben. Irgendwann, vielleicht in drei Jahren, folgt der Optimismus, und vielleicht in fünf die Euphorie. Die jetzige Entwicklung hat viel mit dem Verlauf von 1955 bis 1967 gemeinsam. Damals waren die Renditen für zehnjährige US-Treasuries bei 2,5% fixiert, bevor sie ab 1968 bis 1982 langsam auf 17% hochkletterten. Dann platzte die grosse Bondblase, als kaum mehr jemand damit gerechnet hatte. So stelle ich es mir auch jetzt vor. Wenn niemand mehr mit der Gefahr rechnet, schlägt sie zu. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.  Die Aktienkurse können sich durchaus nochmals verdoppeln.

Als CIO und Leiter Investment Solutions haben Sie die Lösung: wie positionieren, zunächst mal fürs kommende Jahr?
Für 2015 ist die Voraussage einfach: mehr Aktien als Bonds. Wenn ich jetzt noch eine Anleihe kaufe, mit 0,5% Rendite, abzüglich 0,5% Stempelsteuer, dann lebe ich nur vom Kapitalgewinn, und der ist doch ziemlich überschaubar.

Bär hält im ausgewogenen Musterportfolio  ausser 48% Aktien trotz allem 44% Bonds.
Ja, denn Anleihen haben eine wichtige Diversifikationsfunktion. Die Volatilität wird kaum kleiner werden, im Gegenteil. Was schützt davor? Jeden Monat Puts kaufen kostet ein Vermögen. Ein nachhaltig erfolgreicher Investor weiss, dass er seine Anlagen nicht auf ein einziges Szenario ausrichten darf, sondern in Wahrscheinlichkeiten denken muss, beispielsweise: Es gibt ein 30%iges Deflations- und ein 20%iges Inflationsrisiko, mit Varianten dazwischen. Also muss ein Portfolio so ausgerichtet sein, dass es mit all diesen Wahrscheinlichkeiten umgehen kann.

Welche Art von Bonds halten Sie?
Der Schwerpunkt liegt auf Unternehmensanleihen mit Investment Grade, also guter Qualität. Bei Staatsanleihen hoffen, im nächsten Jahr zukaufen zu können, wenn sich eine gewisse Zinsnormalität eingestellt haben wird. Hinzu kommt ein relativ hoher Anteil an Emerging Markets Bonds, so in Renminbi, und auch da nur gute Qualität. High Yields haben wir wie gesagt verkauft. Es ist der erste Sektor, der bei Marktverwerfungen illiquid wird. Was wir wollen, sind Liquidität und Qualität.

Für welches Ziel, Vermögenserhalt oder Vermögensvermehrung?
Für beides. Mit 48% Aktien und 4% alternativen Anlagen, also über der Hälfte in Risikoanlagen, fühlen wir uns beim ausgewogenen Portfolio gut aufgehoben. Vermögenssicherheit ist im Umfeld rekordniedriger Zinsen nur möglich, wenn man – verantwortungsvoll und umsichtig – Risiken eingeht. Wir leiden alle unter der nominalen Illusion. Dabei sind in der finanziellen Repression 100 Fr. in einem Jahr real weniger wert als heute. Cash ist die falsche Antwort für den, der sein Geld schützen will.

Wo liegt der Schwerpunkt bei Aktien, wie definieren Sie Qualität?
Die Qualitätseigenschaften sind ein breites Produktportfolio, Preissetzungsmacht, anerkannte Marken, nachhaltiger Cashflow, solide Bilanz und ein ausgewiesenes Management. Das findet man in allen Sektoren, wobei uns Gesundheit und Technologie  zurzeit besonders gut gefallen, auch wenn das keine originelle Idee ist, sondern ziemlich dem Konsens entspricht.

Was sind andere, besondere Ideen?
Emerging Markets, davon nehmen noch viele Abstand. Aber nicht in einen Index  oder einen breit diversifizierten Fonds investieren. Darin steckt zu viel Energie, wofür auf absehbare Zeit die Chancen gering sind. Engagements in Schwellenländern über globale Anbieter im Konsum-, im Gesundheits- oder im Industriesektor, zudem gezielt aufs Thema Bildung setzen. Demografie und rasch wachsende Mittelschicht verleihen der Aus- und Weiterbildung allein in China mächtig Schub.

Wie halten Sie’s mit dem Währungsrisiko?
Auch da gilt: diversifizieren. Diversifikation ist das Einzige, was an der Börse gratis ist.

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