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13:45 Uhr - 07.09.2015

Keine Angst vor 
dem Baltic Dry

Dass der Frühindikator zurzeit auf tiefem Niveau notiert, liegt primär am Frachter-Überangebot.

Zuerst ist man berühmt, dann verschwindet man plötzlich in der Anonymität – ein Schicksal, das die meisten Prominenten ereilt. Ähnliches scheint gegenwärtig dem Baltic Dry Index (BDI) zu widerfahren: Noch vor der Finanzkrise galt er als zuverlässiger und deshalb oft zitierter Frühindikator der globalen Konjunktur. Inzwischen hat er allerdings deutlich an Medienpräsenz eingebüsst. Nicht ganz zu Unrecht. Denn seine Entwicklung wird zurzeit viel eher von der Angebotsseite denn von der realwirtschaftlichen Entwicklung beeinflusst.

Doch was bildet der BDI überhaupt ab? Sein Niveau spiegelt die Tarife, die für den Transport von Rohwaren – wie Eisenerz, Kohle (Kohle 53.4 -1.2%), Kupfer oder Getreide – über die Weltmeere bezahlt werden müssen. Der BDI setzt sich dabei aus vier von der jeweiligen Schiffsgrösse abhängigen Subindizes zusammen: Capesize, Panamax, Supramax und Handysize. So umfasst ersterer etwa Frachter, die für ein Passieren des Suez- und Panamakanals zu mächtig sind und deshalb auf Routen um die Kaps (englisch «capes») ausweichen müssen.

Weiterhin auf tiefem Niveau

Nachfrageseitig werden die Tarife primär von den transportierten Volumen beeinflusst. Weil mit den Frachtschiffen vor allem Rohmaterialien verschoben werden, die anschliessend in die Fertigung von Vor- und Endprodukten eingehen, deutet der BDI – so lautet zumindest die Theorie – bereits früh auf kommende Aktivitätsveränderungen in der Weltwirtschaft hin.

zoomzoomIm vergangenen Februar markierte der BDI ein neues Allzeittief und unterschritt dabei selbst die Talsohle aus der Finanzkrise 2008/09. Nach einer längeren Seitwärtsbewegung setzte er im Sommer zu einer deutlichen Erholung an, nur um dann im Zuge der jüngsten Marktturbulenzen neuerlich zurückzufallen. Im langfristigen Vergleich notiert der BDI weiterhin auf äusserst tiefem Niveau. Sollte man sich deshalb um die globale Konjunktur sorgen?

Nicht unbedingt. Viele Marktbeobachter – darunter Analysten der Schifffahrtsorganisation Bimco (Baltic and International Maritime Council) – sind sich einig: Sowohl die Schwäche wie auch die zwischenzeitliche Erholung sind aus konjunktureller Sicht nicht überzubewerten. Der Transportmarkt werde weiterhin primär von den Überkapazitäten geprägt. Das tiefe Indexniveau sei also eher Ausdruck einer zu grossen Frachtflotte denn einer stockenden Weltwirtschaft. So gründet das Überangebot teilweise noch in den Konjunkturprogrammen, die nach der Finanzkrise  eingeleitet worden sind – und vielerorts auch den Bau von Schiffen beinhalteten. Und weil von der Bestellung bis zur Auslieferung eines Grossfrachters zwei bis drei Jahre vergehen, wirken sich solche Entscheidungen längerfristig aus.

zoomDieses Spiel zeigte sich 2015 vor allem im Capesize-Segment: Der Subindex hatte sich ab dem Tief im Januar temporär verachtfacht und damit massgeblich zur Avance des BDI beigetragen. Der Hauptgrund: Gemäss einer Analyse von Commodore Research seien die Märkte zu Jahresbeginn davon ausgegangen, dass 2015 bis zu 150 neue Capesizes ausgeliefert werden. Tatsächlich sind im ersten Semester aber nur 46 in den Markt gelangt. Gleichzeitig seien mit 70 Capesizes aussergewöhnlich viele der Grossfrachter verschrottet worden. Das habe das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage verknappt und so die Frachtraten nach oben getrieben.

Frachtindustrie unter Druck

Wie geht es nun für den BDI weiter? Die Analysten der Investmentboutique Arctic Securities erkennen durchaus positive konjunkturelle Signale. So gehen sie davon aus, dass sich die Eisenerztransportvolumen zwischen Brasilien und China wieder erholen. Auch soll ihren Schätzungen zufolge über Verschrottung von Schiffen 2015 eine kumulierte Ladefähigkeit (deadweight tonnage) von über 40 Mio. Tonnen vom Markt verschwinden. Diese Trends dürften das Angebot-Nachfrage-Verhältnis verbessern und den BDI in den kommenden Monaten stützen. Skeptischer zeigen sich hingegen die Analysten von Bimco: Die Kohlenachfrage durch China bleibe so schwach, dass sie die preistreibenden Entwicklungen auf der Angebotsseite zunichtemachen dürfte.

Problematisch bleiben die tiefen Raten jedenfalls für die Frachtindustrie: Damit die Branchenvertreter 2015 die Gewinnschwelle erreichen können, müsste der BDI laut Credit-Suisse-Schätzungen ein Jahresmittel von mindestens 1250 markieren. Das scheint kaum möglich. Denn dafür müsste sich der Index in den verbleibenden Monaten um 2300 bewegen – ein Niveau, das der BDI letztmals anno 2010 dauerhaft halten konnte.

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