Inflation, Krieg, Lieferprobleme: Es herrscht ein toxisches Konsumklima. Manche Aktie überzeugt gerade jetzt.
Die Inflation schmerzt die Deutschen. Für 40% der Menschen im Nachbarland sind die Preissteigerungen derzeit der grösste Grund zur Sorge, so das Ergebnis einer am Montag veröffentlichten Studie der Berater von McKinsey. Zusammen mit dem Ukrainekrieg und anhaltenden Verwerfungen in den Lieferketten bildet das ein toxisches Klima für die einstige Boom-Branche Onlinehandel. Der zweitgrösste Onlinehändler des Landes, die Otto Group, strich deshalb gerade die Prognose fürs laufende Jahr. Die Kurse von kotierten Händlern wie Zalando (ZAL 38.65 +3.12%), Auto1 oder Westwing (WEW 8.41 -5.72%) sind jüngst deutlich zurückgekommen. Für Mutige bietet die Tristesse aber Chancen.
Die Teuerung in Deutschland stieg im Mai auf 7,9%, wie das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Zahlen Anfang Woche mitteilte. Im April lag der Wert noch bei 7,4%. Verantwortlich sind wieder vor allem die merklich gestiegenen Energiepreise, aber auch Nahrungsmittel verteuerten sich mit einem Plus von 11,1% überdurchschnittlich. Der Inflationsdruck dürfte anhalten. «Sollten sich die Inflationsraten im Herbst nicht abschwächen, würde das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale steigen – weil dann in Richtung Winter höhere Lohnabschlüsse wahrscheinlicher werden», erklärt Robert Greil, Chefstratege von Merck (MRK 91.14 -0.97%) (MRK 174.50 +1.39%) Finck. Die mächtige Gewerkschaft der Chemiebranche etwa hat Verhandlungen über neue Tarife bis Herbst vertagt wegen der derzeit unsicheren Lage.
Die Menschen spürten die höheren Preise, sagt McKinsey-Partner Marcus Jakob. «Es betrifft vor allem die einkommensschwächeren Haushalte, aber auch Besserverdiener schränken sich ein.» Und das macht den deutschen Onlinehändlern zu schaffen. Erst vor wenigen Wochen hat der Handelsverband Deutschland (HDE) die Wachstumsprognose von 13,4 auf 12,4% für 2022 gesenkt – und das nach zwei Rekordjahren vor allem aufgrund der Coronamassnahmen, in der viele Ladengeschäfte vor Ort schliessen mussten. Der Onlinebereich leide genau wie der Einzelhandel unter der aktuell trüben Verbraucherstimmung, heisst es vom Handelsverband weiter. In den Statistiken spiegelt sich die Vorsicht: Der Bruttoumsatz von deutschen Onlinehändlern liegt hinter dem Coronahoch (vgl. Grafik 1). Noch deutlicher wird der Blick auf die Wachstumsraten (vgl. Grafik 2), die stark zurückgehen.
Branchenprimus im Onlinehandel der Nachbarn ist Amazon (vgl. Grafik 3). Das US-Unternehmen spürt als Branchenbarometer bereits die negativen Folgen der aktuellen Situation. Seit Ende April müssen US-Händler, die Amazon als Marktplatz nutzen, für höhere Benzinpreise und als Inflationsausgleich einen Aufschlag von 5% auf ihre Verkaufspreise zahlen. Im ersten Quartal sackte der Umsatz von Amazon 3% ab. Konzernchef Andy Jassy sprach von «ungewöhnlichen Herausforderungen». Vor dem anstehenden Aktiensplit Anfang Juni behalten die Papiere des Branchenprimus dennoch ihren Reiz (vgl. Textbox).
Die Unsicherheit spiegelt sich in den Aktienkursen auch der deutschen Internethändler. Alle haben sich weit entfernt von ihrem jeweiligen 52-Wochen-Hoch.
Im Online-Modehandel werden die Zeiten nicht nur wegen der äusseren Umstände rauer. Gemäss dem jüngsten Online-Monitor des Instituts für Handelsforschung (IFH) wurden vergangenes Jahr bereits 47% des Umsatzes im Bereich Mode und Accessoires im Netz erwirtschaftet. Es wird also schwerer, Marktanteile zu gewinnen.
Mit der Global Fashion Group (GFG 2.16 +3.55%), einem Onlinehändler für Kleidung in Schwellenländern, Zalando und AboutYou finden sich unter den kotierten Internetanbietern in Deutschland gleich drei, die sich auf den Verkauf von Mode spezialisiert haben. Primus Zalando vermeldete für das erste Quartal ein Umsatzminus bei einem Betriebsverlust auf Stufe Ebit. AboutYou, bislang stark auf Wachstumskurs, rechnet ebenfalls mit einer Abkühlung. Das Unternehmen, an dem die Otto Group zu 64,4% beteiligt ist, geht für 2022 von einem Umsatzzuwachs zwischen 25 und 35% aus. Im vergangenen Jahr betrug das Plus noch 48%.
Spannender scheint da Auto1. Das Unternehmen kauft und verkauft Gebrauchtwagen im Netz. Zu 38 € pro Aktie sind die Papiere im Februar vergangenen Jahres an die Börse gekommen. Am ersten Handelstag ging es hoch auf 55 €. Inzwischen notiert der Titel bei gerade mal etwas mehr als 10 €. UBS-Analysten halten Befürchtungen für übertrieben, dass das Unternehmen frisches Kapital benötige, um das Geschäftsmodell auszuweiten. Bis Ende 2023 will das Auto1-Management die Gewinnschwelle erreichen. In einer Welt, in der Konsumenten jeden Euro zweimal umdrehen müssen, werden gebrauchte Autos interessanter.
Auch Shop Apotheke (SAE 95.06 -0.79%), Rivale von Zur Rose (ROSE 109.70 -1.70%), haben ihren Reiz. Die Niederländer, deren Aktien im deutschen Nebenwerteindex S-Dax enthalten sind, würden von der Einführung des elektronischen Rezepts in Deutschland profitieren. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen der Nachbarn verzögert sich allerdings. Shop Apotheke sind eine Wette, dass es doch einmal gelingt.
Ein Wagnis sind ebenso Ceconomy: Hinter dem Kunstnamen verbirgt sich die Handelskette, die Media Markt und Saturn betreibt. Nach Jahren des Streits im Aktionariat steht nun eine Einigung im Raum und damit der Weg offen für einen Turnaround – auch im Onlinegeschäft, dass lange verschlafen wurde. Inzwischen zählen mediamarkt.de und saturn.de zu den Top 5 im deutschen Onlinehandel, wenn auch mit Abstand. In der Bewertung spiegelt sich die Umschwungfantasie noch nicht wieder.
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