Zurück zur Übersicht
07:28 Uhr - 21.12.2021

Zweifel an Erdoğans Plänen mit der Lira

Die türkische Währung konnte zum Wochenanfang ihren Monatsverlust aufholen. Doch zu viel Hoffnung auf eine Trendwende sollte man sich nicht machen.

Es ist eine lang ersehnte Atempause für die Türken: Der Wertverfall der Lira, der sich seit November nochmals beschleunigt hatte, wurde am Montag abrupt gestoppt. Zuvor notierte die türkische Valuta mit 19.96 Lira je Franken und 18.37 Lira je Dollar so schwach wie noch nie.

Eine Ankündigung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan brachte die Kehrtwende: Wer Lira hält, wird für die Abwertung gegenüber dem Dollar entschädigt. Die Lira wertete sich daraufhin vom Tiefst mehr als 40% auf. Sie notiert aber noch rund 39% unter dem Stand von vor einem Jahr.

Zu den Massnahmen gehört, dass die Regierung den Handelsunternehmen Absicherungsmöglichkeiten bieten wird, um ihre Wechselkursrisiken zu mindern. Ausserdem wird die Quellensteuer auf türkische Schatzbriefe von 10 auf 0% gesenkt, womit sie attraktiv werden. Und der Staat erhöht die Zuschüsse für die Rentenbeiträge von Arbeitnehmern.

Druck aus der Bevölkerung

Erdoğan steht politisch unter grossem Druck. Die stetige Abwertung hat für ein Hochschiessen der Inflation gesorgt – im November ist sie auf mehr als 20% gestiegen. Wahrscheinlich unterschätzen die offiziellen Statistiken das tatsächliche Ausmass der Teuerung sogar noch.

Mitte Dezember kam es zu Grossdemonstrationen. Erdoğan wird von Kritikern persönlich verantwortlich gemacht. Gegen die Meinung der meisten Ökonomen will er die Inflation durch Zinssenkungen bekämpfen. Die im Vergleich zur Teuerung niedrigeren Zinsen sorgen aber für einen Devisenabfluss und heizen die Abwertung der Währung noch weiter an.

Zudem hat diese Woche die Unsicherheit an den Finanzmärkten zugenommen. Wegen der Währungsturbulenzen und der dadurch ausgelösten Schwankungen der Aktienkurse wurde am Montag der Handel an der Börse Istanbul ausgesetzt. Diese liegt in Lokalwährung gerechnet gegenüber dem Vorjahr zwar 40% im Plus, in Dollar gerechnet aber rund 17% im Minus.

Kreditrisiko wächst

An den Kreditmärkten wird angesichts sinkender Kapitalreserven und Deviseninterventionen das Risiko einer Staatspleite als wahrscheinlicher angesehen. Die Ausfallversicherungen auf Anleihen – Credit Default Swaps (CDS) – notieren mit einer so hohen Risikoprämie wie seit einem Jahr nicht mehr.

Der wirtschaftliche und politische Druck hat Spekulationen angefeuert, dass Erdoğan sich seine Zukunft als zentrale Machtfigur verbaut. So erklärte Steven Cook von der Denkfabrik Council of Foreign Relations im November in einem Kommentar: «Die Lage für den Präsidenten und seine Partei sieht düster aus.»

Der Nahostexperte Cook erklärt: Das Narrativ der Regierung und der Presse stimme immer weniger überein mit dem, was die Leute im Alltag erleben würden. Umfragen würden nun schon anzeigen, dass andere mögliche Präsidentschaftskandidaten wie der Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş, in der Wählergunst vor Erdoğan rangieren. Die nächsten Wahlen sind im Juni 2023.

Vorübergehende Erleichterung

Die Märkte bewerten nur die Symbolik der Aussagen Erdoğans positiv – immerhin hat er die Dringlichkeit des Problems der volatilen Währungen klar anerkannt. Die angekündigten Massnahmen betrachten Beobachter aber mit Skepsis. So argumentieren die Analysten von Citi, dass «diese Massnahmen eine vorübergehende Erleichterung bringen können», aber: «Wir sehen jedoch nicht, wie dadurch die Probleme der in Lira gehaltenen Vermögenswerte, die sich aus der währungsbedingten Inflation ergeben, beseitigt werden.»

Citi sieht eine «Lücke des Vertrauens» in die Geldpolitik als wichtigsten Grund für die Dollarisierung – also die wachsende Verbreitung von Fremdwährungen in der Türkei. Das ursprüngliche Ungleichgewicht werde durch die neuen Massnahmen nicht gelöst: Der nach Abzug der Inflation negative Zins spreche weiter für eine Abwertung.

Der Präsident will sich mit einer «neuen Wirtschaftspolitik» aus dem Schlamassel befreien. Dabei sollen niedrige Zinsen und eine günstige Währung mehr Wirtschaftswachstum anfachen. Das Problem: Es wird zwar immer mehr exportiert – so haben sich die Einnahmen aus dem Tourismus im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt –, gleichzeitig steigen aber mit dem durch Schulden künstlich angeheizten Wirtschaftsboom die Einfuhren.

Die neuesten Aussagen von Erdoğan sind daher kein Grund zur Beruhigung. Er erscheint beratungsresistent. Statt den Dialog zu suchen, sieht er sich in einem Kampf gegen seine Feinde. So hat er angesichts der Währungsvolatilität und der Zinsen erklärt: «Wir werden uns ihnen genauso widersetzen, wie wir uns der Bevormundung, den Terrororganisationen, den Putschisten und den globalen Machtbaronen widersetzt haben. Ich sage Ihnen, es gibt keinen Weg zurück.»

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.