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12:12 Uhr - 21.04.2015

«Wir bevorzugen hausbackene Unternehmen»

André Kistler, Gründer und Chefstratege beim Vermögensverwalter Albin Kistler, erklärt im Interview mit FuW, dass er auch in einer Welt ohne Inflation eine rosige Zukunft für den Anleger sieht.

Herr Kistler, Sie blicken sehr optimistisch in die Zukunft. Leben wir in der besten aller möglichen Anlagewelten?
Ja, wir leben in einer wunderbaren Anlagewelt, und das sage ich als konservativer Investor. Die Unternehmensgewinne sind auf einem ausserordentlich hohen Niveau, sie haben sich in den vergangenen 25 Jahren rund versiebenfacht, gleichzeitig sind im selben Zeitraum die Zinsen massiv gesunken. Die Unternehmensbilanzen waren noch nie so stark, und die realen Renditen von Schweizer Aktien sind auf einem Allzeithoch.

Es gibt grosse politische Risiken, die der Anleger nicht ignorieren kann. Stichwort Europa.
Einer kerngesunden Unternehmenswelt steht eine dysfunktionale Staatenwelt gegenüber, die noch nie so hohe Schulden und Defizite hatte. Die EU ist eine Fehlkonstruktion. Die meisten europäischen Staaten werden ihre Schulden nie zurückzahlen können, aber die Politik wird dies nie eingestehen. Es wird in den nächsten  Jahren weitergewurstelt. Ein  bedeutenderes Risiko ist jedoch das mangelnde Vertrauen in den langfristigen konjunkturellen Aufschwung. Der aktuelle Aufwärtszyklus ist so schwach wie nie zuvor in den letzten hundert Jahren. Dafür dauert dieser Zyklus länger, es kommt weniger rasch zu Übertreibungen. Unternehmen agieren vorsichtiger und investieren weniger.

Sie sagen, ein Umfeld mit kaum Inflation oder gar Deflation biete eine gute Grundlage für die Unternehmen. Inwiefern?
Wir leben in einer Welt mit null Inflation, nicht in einer deflationären Welt. Erst bei einer starken Deflation von mindestens 5 oder 6% ergäbe sich eine negative Spirale und würden Käufe aufgeschoben. Hohe Teuerung ist schlechter für Unternehmen und Bürger. Jetzt haben sie Planungssicherheit und maximalen Kaufkrafterhalt. Endlich kann man davon ausgehen, dass 1 Mio. Fr. in zehn Jahren etwa gleich viel wert sein wird wie heute.

Sie sehen keine Gefahr einer konjunkturellen Atempause?
Angesichts der gegenwärtigen Zinskurve, des Stands im Zyklus sowie der Geldpolitik schliessen wir vorderhand eine globale Rezession aus. Wahrscheinlicher ist ein sehr langer Zyklus mit verhaltenem Wachstum.

Wie muss sich ein Anleger in einer Welt mit null Inflation oder leicht deflationären Tendenzen verhalten? Sind Obligationen doch attraktiv?
In der Schweiz bewegen sich die Realzinsen sehr nahe am Durchschnitt der letzten fünfzig Jahre. Angesichts der leichten Deflation haben wir gar keine so schlechte Verzinsung. Unsere Obligationendepots rentieren zwischen 0,5 und 1%, bei einer negativen Inflation von –1%. Das ergibt eine attraktive Realrendite.

Wie beurteilen Sie die aktuellen Bewertungen der Aktienmärkte?
Die Aktienmärkte sind immer noch günstig bewertet. Die Risikoprämie – also das Renditeplus gegenüber einer sicheren Obligation – ist auf sehr hohem Niveau. Auch der Buchwert im Verhältnis zur Börsenkapitalisierung bewegt sich leicht unter dem historischen Durchschnitt. Und die reale Dividendenrendite für Schweizer Unternehmen ist mit rund 4% so hoch wie noch nie.

Welche Märkte sind aus Ihrer Sicht überkauft, welche attraktiv für den Einstieg?
Wir machen keine geografischen Unterschiede. Führende Unternehmen sind nicht mehr national, sondern global aufgestellt. Für uns zählt, wo eine Gesellschaft aktiv ist. Bedeutende Aktivitäten in aufstrebenden Märkten, zum Beispiel im asiatischen Raum, sind uns wichtig. Wir kaufen grundsätzlich das qualitativ beste Unternehmen auf seinem Gebiet und halten die Aktie so lange wie möglich. Die besten Unternehmen finden wir meist in den USA, in der Schweiz, in Deutschland oder auch Grossbritannien.

Wie schätzen Sie die Gewinnentwicklung im US-Aktienmarkt ein?
Die Rücknahme der aktuellen Gewinnerwartungen für US-Unternehmen spiegelt sich auch in der eher verhaltenen Entwicklung der amerikanischen Börsen im laufenden Jahr. Der starke Dollar, aber auch der Einbruch der Rohstoffpreise sind die Hauptursachen für die getrübten Gewinnaussichten. Langfristig werden sich die aktuell nachteiligen Effekte im Ölsektor und wegen des starken Dollars abschwächen.

Gilt das auch für die Aktienmärkte in Europa und in den Schwellenländern?
Mittelfristig gibt es keine Anzeichen, die Gewinnrevisionen auf breiter Front erwarten lassen. In Europa nehmen die Unternehmenserträge von einem tiefen Niveau aus zu. Die Schwellenländer profitieren nachhaltig von der Verbreiterung der Mittelschicht. Innerhalb des Konjunkturzyklus sind Temposchwankungen bei der Gewinnentwicklung normal.

Haben Sie Vorlieben bei den Sektoren?
Branchen sind für uns zweitrangig, aber derzeit sehen wir nach wie vor Chancen bei Versicherungen. Sie zeigen eine stabile Gewinnentwicklung, haben tiefe Bewertungen mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis um 10 und der Sektor hat hohe Eintrittsbarrieren. Bei steigenden Zinsen würden Versicherungen zusätzlich profitieren.

Gibt es Schweizer Einzeltitel, die Sie besonders empfehlen?
Bei Schweizer Versicherungen bevorzugen wir Vaudoise, Helvetia (HELN 537.5 -0.28%) und Swiss Re (SREN 95.05 0.16%). Vaudoise ist vorab in der Schweiz tätig, hat eine sehr tiefe Bewertung und stabiles organisches Wachstum. Ein ähnlicher Fall ist Helvetia, sie hat die Integration der National-Versicherung sehr gut gelöst. Wir mögen hausbackene Unternehmen mit einem leicht verständlichen Geschäftsmodell. Firmen müssen einen starken Burgring haben, also eine solide Geschäftsstellung. Wir suchen keine Turnaround-Kandidaten, sondern Firmen, die wir für immer halten könnten.

Welche international aktiven Schweizer Firmen sind attraktiv?
Bei international aufgestellten Unternehmen mögen wir Industrietitel wie Burckhardt Compression (BCHN 388.5 1.11%) oder Bucher (BUCN 239.7 -0.12%). Beide haben erstklassige Bilanzen und erwirtschaften nachhaltige Gewinne. Dank der bedeutenden Auslandaktivitäten ist die Frankenaufwertung für sie kein nachhaltiges Problem. Auch Swatch Group (UHRN 84.4 1.5%) (UHR 429.5 0.59%) sind ein Favorit. Trotz Frankenschock brach der Absatz nicht ein, in Deutschland konnten sie ihre Preise sogar erhöhen. Swatch besitzt eine sehr starkes Markenportfolio, das Unternehmen ist eine regelrechte Cash Cow. Aber auch führende Nischenplayer, zum Beispiel Interroll (INRN 620.5 2.06%), der Hersteller von Stückgutbeförderungsanlagen, sind attraktiv.

Gibt es Schweizer Unternehmen, von denen man die Finger lassen sollte?
Eine hohe Verschuldung und tiefe Margen sind meist keine gute Mischung, denken Sie an den Backwarenhersteller Aryzta (ARYN 63.95 0.31%).  Auch von Unternehmen mit Sonderproblemen, wie Holcim (HOLN 74.9 0%) oder der Ölfirma Transocean (RIG 17.37 2.18%), würde ich die Finger lassen. Bei der Qualität sollten nie Kompromisse eingegangen werden.

Welche Gewichtungen hätte derzeit ein risikooptimiertes, ausgewogenes Portfolio für einen Schweizer Privatanleger?
55% Aktien, 32% Obligationen, 3% Gold (Gold 1198.57 0.21%) und 10% Liquidität. Genügend flüssige Mittel sind wichtig, um in der nächsten Korrektur Aktien nachkaufen zu können.

Es führt also kein Weg an Aktien vorbei?
Ja, Aktien von grosser Qualität sind langfristig, das heisst mindestens über zehn Jahre, die nicht nur rentabelste, sondern auch die sicherste Anlageform.

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