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17:11 Uhr - 10.09.2014

«Die Schweiz hat einige wahre Innovationsperlen»

Leo Brecht, Professor an der Universität Ulm, erklärt im Interview mit der FuW, warum er auf Innovations-Champions setzt, wie er sie identifiziert und welche Schweizer Unternehmen er dazu zählt.

Herr Brecht, als Professor für Technologie- und Prozessmanagement fokussieren Sie sich auf die Analyse der Innovationsfähigkeit von Unternehmen. Was zeichnet denn einen Innovationschampion aus?
Das A und O für einen Innovationschampion ist, dass er sehr effizient Innovationsinputs in kommerzialisierbare Produkte transferiert, die dann einen substanziellen Beitrag zum Betriebsergebnis liefern.  Leo Brecht, Professor an der Universität Ulm„Ein Value-Investor würde die teuren Titel von Lindt & Sprüngli nicht nehmen. Mit unserem Anlageansatz sieht das ganz anders aus.“ Bild: Elvira EberhardtEine Inputgrösse bilden etwa die Forschungs- und Entwicklungsausgaben.

Sehen Sie Schweizer Unternehmen, die hier herausragende Fähigkeiten besitzen?
In meinen Augen hat die Schweiz, was die Innovationsfähigkeit betrifft, einige wahre Perlen. Dazu gehören die auf hochpräzise Strommessgeräte spezialisierte Lem (LEHN 724 -0.55%) oder Belimo (BEAN 2364 -1.46%), die Antriebe für Lüftungs- oder die Klimatechnik herstellt, aber auch Lindt & Sprüngli.

Was macht Lindt & Sprüngli so innovativ?
Das Unternehmen bringt immer wieder neue Schokoladenprodukte hervor. Und, Punkt zwei, es unterscheidet sich mit seinen Herstellprozessen von der Konkurrenz, das zeigt sich in der  Qualitätssicherung  oder der Rückverfolgbarkeit der Produkte. Auch im Design der Verpackungen bietet Lindt & Sprüngli Innovationen.

Nun sind die Papiere von Lindt & Sprüngli  bereits hoch bewertet. Würden Sie sie denn trotzdem noch kaufen?
Ja, auf jeden Fall. Dank der Innovations­fähigkeit bleiben die Titel ein Kauf.

Sie sagen, mit dem Ansatz, auf Innovationsführer zu setzen, lasse sich Alpha generieren, also eine risikoadjustierte Mehrrendite verglichen zum Markt. Wie belegen Sie das?
Eine Studie der Harvard-Universität ist in einer Untersuchung nordamerikanischer Unternehmen über den Zeitraum von 1980 bis 2009 der Frage nachgegangen, ob es eine positive Korrelation zwischen Innovation und der Aktienkursentwicklung gibt. zoomSie kam klipp und klar zum Schluss, ja, den gibt es. Mit unserer Methode identifizieren wir nun die Top-Innovatoren und stellen mit ihnen Indizes zusammen, etwa den Innovation Capability Index für Europa, den ICI Europe 30. Er wird effektiv seit 2009 geführt und hat sich seither doppelt so stark entwickelt wie der Vergleichs­index, der MSCI Europe Total (FP 50.29 -0.42%) Return.

Die Pharmaindustrie ist hochgradig forschungsintensiv. Sind in Ihren Indizes auch die Schweizer Branchengrössen zu finden?
In unserem Innovatoren-Index für Deutschland, Österreich und die Schweiz figuriert Roche (ROG 271.7 0.04%) unter den ersten zwanzig Innovatoren. Novartis (NOVN 87.95 0.11%) fehlt darin dagegen.

Und worin besteht der Unterschied zwischen diesen beiden Pharmamultis?
Die höhere Innovationskraft des Roche-Konzerns erklärt sich nach unserer Analyse damit, dass er einen besseren Mix aus inkrementellen, stufenweisen sowie radikalen Innovationen hervorbringt als Novartis. Dadurch ist zu erwarten, dass Roche über einen besseren Hebel zur Steigerung des Marktanteils verfügt.

Es gibt also verschiedene Grade und wie im Fall von Lindt & Sprüngli angedeutet verschiedene Typen der Innovation. Was macht für Sie denn eine Innovation aus?
Sehr wichtig ist mir der Transfer, also dass aus der Neuerung ein kommerzieller Erfolg wird. Die Innovation kann wie bei Tesla Motors (TSLA 281.1 0.94%), die Elektroautos herstellt, radikal sein und zu einem ganz neuen Produkt führen. Aber auch eine neue Verpackung kann innovativ sein und beim Kunden Erfolg haben. Ein anderes Beispiel sind Prozessverbesserungen. Das deutsche Softwarehaus SAP (SAP 59.97 -0.22%) hat den Produktentwicklungsprozess stark gestrafft,  die Durchlaufzeit sank von siebzehn auf sieben Monate. Auch solch eine Prozess­innovation wirkt sich über Einsparungen auf den Betriebsgewinn des Unternehmens aus. Andere wie Amazon (AMZN 331.33 0.48%) oder Google (GOOGL 593.42 0.24%) generieren Werte, indem sie gleich ein neues Geschäftsmodell entwickelt haben.

Sie haben Tesla erwähnt, dort ist der kommerzielle Erfolg ja recht überschaubar.
Ja, aber Tesla Motors ist trotzdem erfolgreicher als andere Autohersteller, die sich ebenfalls mit Elektroautos versuchen.

Was sind denn nun die wichtigsten Ansatzpunkte in Ihrem Modell, mit dem Sie die Top-Innovatoren identifizieren?
Wichtig ist, dass unser Modell ein quantitatives ist. Wir nehmen messbare Inputgrössen wie die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, die Anzahl Kooperationen, die ein Unternehmen eingeht, oder die Beträge, die in das Ideenmanagement investiert werden, also in die Mitarbeiter, damit diese Ideen generieren. Auf der anderen Seite  messen wir den Output, die Anzahl Patente, die aus der Entwicklungstätigkeit resultieren, und vor allem den Anteil am Betriebsgewinn, der mit neuen Produkten generiert wird. Dann setzen wir die Input- und Outputgrössen mit einem Algorithmus in Relation, um unsere Top-Innovatoren zu finden.

Wie genau sind die Guten von den Schlechteren getrennt?
Mittels einer Grafik, auf der die x-Achse den Input und die y-Achse den Output markiert, erstellen wir eine Effizienzkurve. Unternehmen, die auf der Kurve oder knapp darunter liegen, sind unsere Top-Innovatoren.  Sie bekommen den Transfer von Innovations-Input zum Output am besten hin.

Und wer deutlich unter der Kurve liegt, hat noch viel Potenzial, sich zu verbessern?
Genau, solche Unternehmen müssten mit dem Forschungs- und Entwicklungsaufwand, den sie betreiben, noch deutlich mehr Gewinn herausholen.

Und woran kann es liegen, dass diese Unternehmen zu wenig aus ihrer Innovationstätigkeit herausholen?
Oft liegt es am Produktentwicklungsprozess, der zu lange dauert. Oder das Problem liegt darin, dass ein fertiges Produkt nicht zum richtigen Zeitpunkt an den Markt kommt, zu spät oder zu früh. Es gilt, die Kluft zum Markt zu überwinden, mit den richtigen Methoden und Werkzeugen. Daran hapert es oft.

Das heisst, das Management versagt?
Die Frage ist halt, wie starten Unternehmen den Innovationsprozess, wie erkennen sie Trends, dazu braucht es die richtigen Werkzeuge. Ein anderer, weicherer Aspekt betrifft die Innovationskultur. Lässt man Mitarbeitern in der Entwicklung nicht Freiräume, einen Prozentsatz der Arbeitszeit, um auf andere Ideen zu kommen, ist die Kluft nicht zu schliessen.

Es ist also richtig, wenn Google ein angenehmes Umfeld mit viel Unterhaltungsmöglichkeiten schafft und gar Büroräume mit Pools und Kletterwand ausstatten will?
Der kulturelle Aspekt ist jedenfalls sehr wichtig. Das Softwarehaus SAP nimmt, wenn ein radikales Innovationsprojekt angegangen wird, das ganze Team aus dem Alltagsgeschäft heraus und verbringt es an einen anderen Ort, um den Leuten einmal ein anderes Umfeld zu bieten.

Je lockerer alles, desto mehr Ideen?
Es geht nicht bloss um die Menge der Ideen. Der Reisekonzern TUI hat jährlich einen riesigen Ideenwettbewerb veranstaltet, in dem tausende Mitarbeiter ihre Vorschläge einspeisten. Der beste wurde prämiert. Das ist der falsche Ansatz, die Suche muss gezielter, strukturierter vor sich gehen. Das Suchfeld für Innovationen muss die Megatrends spiegeln, von denen das Unternehmen profitieren kann. Bei Belimo wäre das etwa  das Thema Smart Home, die Vernetzung in Wohnräumen.

Wo finden sich denn die Top-Innovatoren?
Von der Grösse her findet man sie häufig im Bereich der Mid Caps.

Die Gleichung stimmt, wonach Kleinere  flexibler und somit innovativer sind?
Es ist so. Wir machten Analysen zum nordamerikanischen Markt. Da wäre zu  erwarten, dass der iPhone-Hersteller Apple (AAPL 101 3.07%) sich unter den Top-Innovatoren ganz oben befindet. Aber noch weiter oben ist etwa die mittelgrosse Cabot Microelectronics, die in der Spezialchemie und als Zulieferer für die Halbleiterindustrie tätig ist.

Aber wie charakterisieren sich denn nun die Aktien der Top-Innovatoren, gehören sie eher zu den Wachstumsaktien?
Nun, zu den Value-Aktien oder Substanzwerten gehören sie jedenfalls nur in wenigen Fällen. Ein Value-Investor würde zum Beispiel die teuren Titel von Lindt & Sprüngli nicht nehmen. Mit unserem Anlageansatz auf Basis der Innovationsfähigkeit sieht das halt ganz anders aus.

Weisen die mit Ihrem Ansatz gefilterten Aktien in der Regel eine höhere Volatilität auf, sind sie somit risikoreicher?
Nein, eigentlich nicht. Unsere Indizes schwanken sogar weniger als ihre Vergleichsmärkte. Und im Zuge der Finanzkrise von 2008 haben wir festgestellt, dass Aktien innovativer Unternehmen auch schneller aus dem Tief herausfinden.

Sofern sie nicht bei der Forschung sparten?
Richtig. Wir konnten zeigen, dass Unternehmen, die ihr Forschungs- und Entwicklungsbudget in der Krise nicht herunterfuhren, stärker vom Aufschwung profitiert haben als diejenigen, die ihre Aufwendungen kürzten. Zu jenen, die die F+E-Budgets hochhielten, gehört SAP. Unternehmen mit einer relativ niedrigen F+E-Quote in der Krise sind der niederländische Baukonzern Royal Bam Group oder die spanische Gamesa, die Windkraftanlagen herstellt.

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