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18:32 Uhr - 07.07.2015

«Für die Börsen gibt es Wichtigeres als Griechenland»

Für den Chefstrategen von Vontobel, Christophe Bernard, nehmen die Märkte einen Grexit vorweg. Matchentscheidend sind für ihn die US-Wirtschaft und das Fed, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Herr Bernard, mögen Sie noch über Griechenland sprechen? Das Thema ist allgegenwärtig. Doch der flauen Marktreaktion auf das griechische Nein vom Wochenende nach zu schliessen hat es an Brisanz verloren, oder täuscht der Eindruck?
Das Thema ist nach wie vor brisant und stellt die Eurozone vor eine kaum lösbare Herausforderung. Die Frage, ob die Eurozone mit oder ohne Griechenland stärker wird, muss bald beantwortet werden. Doch für die Finanzmärkte spielt Griechenland in der Tat eine Nebenrolle. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Investoren ausreichend Zeit hatten, sich Gedanken über die Konsequenzen eines Grexit zu machen. Das war nicht der Fall bei den Pleiten von Russland  1998, von Argentinien 2001 oder beim Lehman-Kollaps im Jahr 2008.

Das Treffen der Staatschefs der Euroländer findet nach Publikation dieses Interviews statt. Gibt es gleichwohl Hinweise, wie die Sache weitergeht?
Bundeskanzlerin Merkel hat am Montag in Paris ganz klar auf die unmittelbare Lieferung eines glaubwürdigen und präzisen Vorschlages von Seiten Griechenlands hingewiesen. Das wird der nächste Schritt sein, der entscheidet, ob es zu neuen Verhandlungen kommt oder nicht.

Der griechischen Regierung wurde mit dem  Referendum der Rücken gestärkt. Wird es am Ende zu einem Schuldenerlass kommen, wie ihn Athen verlangt?
Die Regierung in Griechenland ist durch das Referendum zwar gestärkt, doch lassen die verlängerte Schliessung der Banken bis mindestens Mittwoch und der Zusammenbruch der Wirtschaft keinen weiteren Spielraum zu, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Das bedeutet, dass Alexis Tsipras beim Sondergipfel des Euroraums wohl einen überzeugenden Vorschlag unterbreiten muss, der Reformen als Voraussetzung für einen Schuldenerlass beinhaltet. Alles andere ist vergeudete Zeit.

zoomWas bringen neue Verhandlungen zwischen Griechenland und den Geldgebern, wenn sie überhaupt stattfinden?
Eine nachhaltige Lösung setzt das Vertrauen zwischen Griechenland und den anderen achtzehn Mitgliedern der Währungsunion voraus. Dieses Vertrauen ist arg strapaziert worden. Wirtschaftlich braucht Griechenland ein anderes Modell, als es die Partei Syriza bietet, und wohl einen Schuldenerlass, um wieder Hoffnung zu schaffen. Ein Schuldenerlass wird aber politisch, sowohl in Deutschland als auch in Spanien, Portugal und Irland, sehr schwer durchzusetzen sein. Man wird auf andere Argumente, insbesondere die geostrategische Bedeutung Griechenlands, zugreifen müssen.

Nehmen die Märkte einen Grexit, der mit dem Nein der Griechen näher zu rücken scheint, nicht schon vorweg?
Ja – obwohl das klare Nein zum Referendum von niemandem prognostiziert wurde, haben die Märkte relativ verhalten reagiert. Das ist ein Zeichen, dass ein Grexit zumindest nicht ausgeschlossen wird.

Welche Bedeutung räumt Vontobel dem Thema Grexit in ihrer Anlagestrategie ein?
Grundsätzlich stufen wir das Thema für die Anlagestrategie als kaum relevant ein. Für die globalen Märkte sind die US-Makrodaten und die Geldpolitik des Fed viel wichtiger.

An der Aktienquote, ja am Übergewicht an Aktien festhalten, ist der Konsens unter Strategen. Stimmt das mit Ihrer Haltung überein? Was sind andere Szenarien, die Sie verfolgen?
Wir sind und bleiben in Aktien übergewichtet und würden im Falle einer durch Griechenland hervorgerufenen stärkeren Kurskorrektur unsere Aktienposition aufstocken. Das Umfeld ist von einer stetigen wirtschaftlichen Erholung in den USA, in Japan und in der Eurozone geprägt, sowie von wachsenden Unternehmensgewinnen und einer nach wie vor sehr expansiven globalen Liquidität. Wir werden uns aber Sorgen machen müssen, sobald diese Liquidität – zum Beispiel gemessen an der aggregierten Bilanzsumme der drei grossen Zentralbanken – ihren Höhepunkt überschritten hat. Dieser Zeitpunkt wird voraussichtlich nicht vor Ende 2016/ Anfang 2017 erreicht sein.

Sie sprechen von wachsenden Unternehmensgewinnen. Gilt das auch für die Schweiz, wo die Frankenstärke auf die Resultate durchzudrücken beginnt?
Das Gewinnwachstum der Unternehmen in der Schweiz, aber auch in den USA, wird fürs erste Halbjahr und besonders fürs zweite Quartal sehr verhalten aussehen. Dafür gibt es positive Impulse in der Eurozone und in Japan.

Was folgt daraus fürs Portfolio, wie hoch soll aus Frankensicht der inländische Aktienanteil sein?
Zurzeit halten wir in gemischten Frankenmandaten 50% Aktien, davon die Hälfte in der Schweiz.

Der Schweizer Markt ist mit dem hohen Gewicht von Pharma und Konsum defensiv ausgerichtet. Drängen sich mit Blick auf eine konjunkturelle Erholung in Europa nicht zyklische Werte auf, im Euroland selbst?
Das ist korrekt, wir glauben, dass die Banken im Euroland weiteres Erholungspotenzial bieten. Wir würden in Schwäche zukaufen.

Sie sagen, die Fed-Politik sei für die globalen Märkte wichtiger als Griechenland. Wird die US-Notenbank auf Europa allenfalls Rücksicht nehmen und die für September angedachte Zinserhöhung verschieben?
Wir bleiben der Meinung, dass ein erster Zinsschritt im September am wahrscheinlichsten ist. Da die Inflationsdaten – ich spreche hier von der Kerninflation, also ohne Lebensmittel und Energie – mit 1,2% im Jahresvergleich im Mai noch ziemlich weit vom Fed-Ziel von 2% entfernt sind, kann die Notenbank eine erste Zinserhöhung aber gegebenenfalls problemlos auf Dezember verschieben.

Welche Währung – Dollar, Franken oder Euro – ist in absehbarer Zukunft die stärkste?
Die Kaufkraftparität spricht für den Euro, die zukünftige Zinsentwicklung für den Dollar und die Sicherheit für den Franken. Was Priorität hat, hängt letztlich von den Zielen und vom Risikoprofil des Anlegers ab. Unser Favorit bleibt der Dollar, doch haben wir das Ausmass der Übergewichtung deutlich reduziert.

Was halten Sie von China? Macht sich der Einstieg nach der kräftigen Korrektur an den chinesischen Börsen schon bezahlt?
Was den lokalen Markt anbelangt, die sogenannten A-Aktien, die ausschliesslich Inländern vorbehalten sind, denen die Diversifikation ins Ausland versperrt ist, haben wir es mit einer typischen Blase zu tun. Sie ist Mitte Juni geplatzt. Trotz der massiven Interventionen der Behörden, die – bis dato vergeblich – versuchen, den Aktienmarkt zu stabilisieren, würden wir in China nicht zugreifen. Die Bewertung der in Hongkong kotierten Aktien von chinesischen Unternehmen – sogenannte H-Titel – dürften hingegen bald attraktiv werden. Es wäre aber naiv zu glauben, dass die Erlöse bei Zwangsverkäufen von A-Aktien durch gehebelte Privatinvestoren sich in Käufe von H-Aktien ummünzen werden. Deshalb erachten wir es als verfrüht, sich bei dieser Korrektur zu engagieren.

Im FuW-Börsenpanel von Ende Dezember sagten Sie für Ende dieses Jahres einen SMI von 10 000 und einen Dow Jones Industrial von 18 000 voraus. Manches ist seither geschehen; die Kursbarometer stehen bei  8800 respektive 17 540. Wie würden Sie heute urteilen?
Das Ziel von 10 000 wird für den SMI nach der Aufhebung der Eurountergrenze im  Januar schwer zu erreichen sein. Dafür bräuchte man eine Abschwächung des Frankens in Richtung 1.10/1.15 gegenüber dem Euro. Das erscheint aus heutiger Sicht unrealistisch. In den USA ist das Potenzial ebenfalls relativ begrenzt.

Wie lautet unter den heutigen Voraussetzungen Ihre Prognose? Werden sich die Aktienmärkte bis Ende Jahr steigern?
Für den amerikanischen wie auch für den Schweizer Aktienmarkt gibt es aus heutiger Sicht kaum Potenzial. Hingegen glauben wir, dass die Eurozone und Japan noch zweistelligen Kursspielraum haben.

Beim Gold waren Sie mit der Voraussage von 999 $ pro Unze – aktuell sind wir bei 1155 $ – pessimistisch. Hat Gold als Fluchtort ausgedient?
Das Grundproblem ist das Überschussangebot und die verhaltene Nachfrage der Investoren. Sobald das Fed mit der Zinserhöhung beginnt, wird Gold zunehmend unter Druck geraten. 999 $ bleibt ein realistisches Ziel. Dass der Goldpreis auf die Ereignisse in Griechenland kaum reagiert, zeigt die Fatigue der Investoren, die ihre Hoffnung auf eine Erholung des gelben Metalls immer mehr aufgeben.

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