Zurück zur Übersicht
11:36 Uhr - 22.11.2019

«Chinas Börse wird von Kleinanlegern beherrscht»

Mark Austen, Geschäftsführer des Verbands asiatischer Finanzdienstleister ASIFMA, sieht in den technologischen Finanzinnovationen grosses Potenzial für die Region.

Herr Austen, die weltweiten Aktienmärkte haben in diesem Jahr kräftig zugelegt. Kann dieser Aufwärtstrend noch lange bestehen?Trotz des anhaltend robusten US-Wachstums geht die Furcht vor einer globalen Rezession um, was einen starken Kontrast zur Aktienhausse darstellt. Die Notierungen haben sich vom fundamentalen Bild entkoppelt. Allerdings fliesst wegen der tiefen oder auch fallenden Zinsen weiterhin Kapital in die Finanzmärkte. Daneben laufen in grösserem Rahmen Aktienrückkaufprogramme von Unternehmen. All das führt dazu, dass die Aktienbörsen weit mehr Auftrieb erhalten, als im gegenwärtigen Umfeld zu erwarten wäre. Auf dem Anleihenmarkt sieht es zwar etwas anders aus, doch auch dort hat Mitte Jahr ein Stimmungswechsel hin zu etwas mehr Risiko eingesetzt.

Wie gut reflektieren die Märkte Unwägbarkeiten wie die geopolitischen Spannungen, die sich abkühlende chinesische Konjunktur oder auch disruptive Geschäftsmodelle?
Ich denke, die von Ihnen angedeuteten Risiken sind bereits weitgehend in den Preisen von Aktien und Anleihen enthalten. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Investoren 2018 infolge des eskalierenden amerikanisch-chinesischen Handelskonflikts oder auch der weltweit steigenden Zinsen empfindliche Rückschläge hinnehmen mussten. Somit holen die Aktien in diesem Jahr lediglich verlorenes Terrain auf. Dazu kommen die erneute geldpolitische Wende der Notenbanken und die sich abzeichnende Teileinigung im Handelskrieg.

Auf welche Gefahrensignale müssen Investoren dieser Tage vor allem achten?
Auf Anzeichen für eine Rezession. Angesichts der im historischen Vergleich bereits sehr tiefen Zinsen und des weltweit hohen Verschuldungsgrads bleibt den Regierungen und den Notenbanken zur Bekämpfung einer konjunkturellen Abkühlung heute relativ wenig Spielraum – insbesondere im Vergleich zu den Konjunkturpaketen, die vor einem Jahrzehnt nach Ausbruch der globalen Finanzkrise geschnürt wurden.

Die Finanzmärkte reagieren heute weit weniger auf geopolitische Vorkommnisse als noch vor wenigen Jahren. Sind die Börsen wirklich immun gegen politische Risiken geworden, wie das Beispiel Südkorea zeigt?
Es stimmt zwar, dass selbst der südkoreanische Aktienmarkt jüngste nordkoreanische Raketentests mit einem Schulterzucken weggesteckt hat. Vor einigen Jahren hätte ein solches Ereignis die Börsen weltweit erschreckt. Aber inzwischen hat auf der koreanischen Halbinsel eine deutliche Entspannung eingesetzt. Auf der anderen Seite haben die jüngsten politischen Ereignisse in Hongkong für eine erhöhte Volatilität gesorgt.

Haben die Mitglieder der Asia Securities Industry & Financial Markets Association ASIFMA noch Vertrauen in den Finanzplatz Hongkong?
Es herrscht nach wie vor die Meinung vor, dass Hongkong, unabhängig von der gegenwärtigen politischen Situation, für die voraussehbare Zukunft die wichtigste Drehscheibe der Region für Kapitalflüsse bleibt. Die Stadt dürfte ihren Status als wichtiger globaler Finanzplatz behalten.

Die asiatischen Schwellenländer sind, was ihren Entwicklungsstand betrifft, sehr vielfältig. Was zeichnet diese Märkte gerade auch im Vergleich zu Europa, den USA oder auch Japan aus?
Die Schwellenländermärkte sind weit volatiler, das trifft gerade auf China und Indien zu. Dies vor allem, weil sie weniger gut ausgebaut und liquide sind als etwa der amerikanische Markt. Nach wie vor basiert die Fremdfinanzierung in asiatischen Schwellenländern, vielleicht mit Ausnahme Hongkongs und Singapurs, auf der Vergabe von Krediten. Anleihen spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Das Gleiche trifft übrigens auch für den Markt von verbrieften Forderungen oder auch für Derivate zu.

Welche Rolle spielen institutionelle Investoren in diesen Märkten?
Sie spielen eine weit weniger wichtige Rolle als in den traditionellen Industriestaaten. Gerade an den Börsen Festlandchinas beherrschen nach wie vor Kleininvestoren das Geschehen. Das heisst auch, dass die Kurse vom Herdentrieb der Anleger und weniger von Fundamentaldaten beeinflusst werden. Doch auch an diesen Märkten gewinnen institutionelle Investoren schnell an Bedeutung. Diese Entwicklung wird zudem von den Regulierungsbehörden vorangetrieben.

Wie weit ist die Integration der asiatischen Finanzmärkte fortgeschritten?
Gerade was die Börsen betrifft, ist der Fortschritt noch bescheiden. Ein Grund dafür ist, dass es in der Region anders als etwa in Europa an einer gemeinsamen Währung fehlt. Asiatische Investoren sind daher stärker als andere auf den Heimmarkt fixiert. Interessanterweise fliesst aber weiterhin in grösserem Ausmass Kapital von Asien nach Europa oder auch in die USA, und das, obwohl es gerade in den Schwellenländern der Region nach wie vor einen deutlichen Nachholbedarf an Investitionen gibt.

Wie reif ist der Markt für lokale asiatische Anleihen?
Die lokalen Anleihenmärkte öffnen sich zwar graduell, doch sie sind nicht sehr liquide. Das trifft insbesondere auf China zu. Gründe dafür sind zum einen Kapitalverkehrskontrollen und zum andern, dass Finanzinstrumente wie Terminkontrakte nach wie vor weitgehend fehlen.

Warum kommt die für einen grösseren Kapitalzufluss nötige Öffnung dieser Finanzmärkte nur langsam voran?
Es ist eine schnellere regulatorische Anpassung an internationale Standards nötig. Nur so können Investoren grösseres Vertrauen in neue Märkte haben. Ein gewisser Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Regulatoren ist zwar gesund, doch sorgt in Asien eine zu grosse Rivalität für fragmentierte und damit voneinander abgeschottete Märkte. Aber all das ist gerade im Begriff, sich zu ändern. Die starke Nachfrage nach Kapital ist dabei der Hauptfaktor. Und in diesem Prozess ist besonders China eine treibende Kraft.

Wie wirkt sich Fintech auf die Region aus?
Gerade in der Entwicklung innovativer Finanzinstrumente droht das Fehlen von Zusammenarbeit von kleineren Volkswirtschaften Verlierer zu hinterlassen. Die Finanzplätze Hongkong und Singapur gehören dazu. Auf der anderen Seite sind China oder auch Indien für die Schaffung eines finanztechnischen Ökosystems gross genug. Damit können sie anders als die kleineren asiatischen Staaten im Wettbewerb mit den USA und Europa auch mithalten. Das Gleiche trifft auf die Vorschrift lokaler Datenspeicherung zu.

Die ganze Finanzbranche befindet sich im schnellen Wandel. Was wird diesen Prozess in den kommenden Jahren vorantreiben?
Zum einen ist natürlich die Cloud-Technologie ein Schlüsselfaktor, wobei viele der kleineren asiatischen Märkte wegen des Trends hin zur lokalen Aufbewahrung der elektronischen Daten im Nachteil sind. Die zweite Entwicklung, die die Finanzindustrie enorm verändern wird, sind künstliche Intelligenz und das damit verbundene maschinelle Lernen. Das wird, gerade was das Risikomanagement betrifft, für Finanzdienstleister wie auch für Investoren massive Veränderungen mit sich bringen. Die Märkte dürften dadurch im Vergleich zu heute deutlich stabiler werden, sofern sie denn auch richtig reguliert werden.

Werden neue wissenschaftliche Theorien die Finanzmärkte in den kommenden Jahren so stark verändern, wie das im vergangenen halben Jahrhundert der Fall war?
Ich denke, ja. Allerdings dürften die Sozial- und die Politikwissenschaft zu einem gewissen Grad die reine Wirtschaftswissenschaft wenn nicht verdrängen, so doch ergänzen. Das zeigt sich schon etwa daran, dass die Finanzindustrie zunehmend von der Verhaltensforschung lernt. Auch spielt die Politik in der Schaffung neuer Finanzprodukte eine zunehmend wichtige Rolle. Etwa in Bezug auf die ökologische und die soziale Nachhaltigkeit von Investitionen. Diese Entwicklung wird nicht nur von den Pensionskassen, sondern zunehmend auch von der jüngeren Generation  vorangetrieben.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.