Das Russland-Geschäft von Richemont und Co. steht still. Doch für die langfristige Entwicklung ist China entscheidend.
LVMH, Richemont, Hermès, Swatch Group – sie alle haben ihre Boutiquen in Russland und der Ukraine geschlossen und ihre Lieferungen eingestellt. Kurzfristig ist das in der Kasse spürbar, auf lange Sicht bleibt das aber nahezu vernachlässigbar. Entscheidend ist die Geschäftsentwicklung in Asien, wo die chinesischen Konsumenten den Ausschlag geben.
Die Luxusgüterhersteller machen in Russland nur wenig Umsatz. Der Anteil am Konzernumsatz liegt jeweils knapp über 1%, im höchsten Fall bei gut 2%, wie Marktbeobachter schätzen. Richemont teilt auf Anfrage mit, dass der Umsatz in Russland seit 2015 unter 2% liege und deshalb nicht mehr separat ausgewiesen werde. Für LVMH, Hermès und Kering schätzt die UBS den Anteil auf unter 1%.
Auf dem russischen Markt war im Pandemiejahr 2020 LVMH der bedeutendste Anbieter unter den grossen Mitbewerbern, gefolgt von Kering (Gucci) und Richemont.
Mehr Gewicht erhalten Russland und die Ukraine, wenn auch die Ausgaben der vermögenden Landsleute auf ihren Auslandreisen mitgezählt werden. Analysten von AllianceBernstein nehmen an, dass unter ihrem Einbezug gegen 5% der weltweiten Luxusgüterausgaben auf Kundschaft aus den beiden Kriegsparteien entfallen könnten.
Dennoch: Auch bei einem Totalausfall Osteuropas sollten die Uhren- und Schmuckproduzenten die Einbussen verkraften können, nicht nur kurzfristig, sondern auch über längere Zeit.
Weit grösser ist das Exposure der Produzenten von teuren Uhren, Schmuck und Lederwaren in der Boomregion Asien. Zwischen 20% (LVMH) und 45% (Swatch Group) des Umsatzes erzielen sie bereits jetzt in China. Die Wachstumsraten waren zuletzt deutlich zweistellig.
An einem weiteren Wachstum zweifeln die Marktbeobachter nicht. «Der Tiger brüllt nicht richtig laut, aber die Aussichten sind intakt», schrieb HSBC-Analyst Erwan Rambourg in seiner Studie in Anlehnung an das Jahr des Tigers im chinesischen Kalender. Anzumerken ist, dass der Bericht vor dem russischen Überfall auf die Ukraine entstand.
Rambourg sieht für Luxus in China ein Potenzial von 8% mehr Umsatz im laufenden Jahr. Hohe Vergleichszahlen aus dem Vorjahr und die hartnäckige Pandemie mit teils steigenden Fallzahlen könnten die Entwicklung bremsen. So sorgte die Abschottung der Millionenstadt Shenzhen am Montag für einen Rumpler an der Börse. Bereits ab 2023 sollten wieder zweistellige Zuwachsraten realistisch sein.
Gemäss der Wirtschaftsagentur Bloomberg gehen Branchenkenner für die Luxusgüterhersteller immer noch von einem globalen Umsatzwachstum von über 10% im laufenden Jahr aus. Den Takt geben diesmal die USA vor. Wegen des Konflikts in der Ukraine wurden die Erwartungen bisher nur um 50 Basispunkte zurückgenommen. Eine Voraussetzung für den Aufwärtstrend ist dabei eine Erholung des Reiseverkehrs. Sie dürfte ein wichtiger Impulsgeber auch für die Luxusbranche sein.
Ein anderer Faktor für künftigen Geschäftserfolg ist die Preismacht. Ikonische Marken können Preissteigerungen aus Einkauf und Logistik am ehesten auf die Kunden überwälzen. Ein Preisanstieg im mittleren bis höheren einstelligen Prozentbereich wird unter Marktbeobachtern als durchsetzbar erachtet.
Vom Kurshöchst haben die Aktien der Luxusgüterhersteller gut ein Viertel eingebüsst. Der Rückschlag seit Kriegsbeginn ist schwer, aber etwas geringer als bei Ausbruch der Covid-Pandemie vor zwei Jahren, von dem sich die Branche rasch erholt hat. Entsprechend ist die Bewertung des Sektors erheblich gesunken. Das vorausschauende Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV, zwölf Monate) ist im Vergleich zu 2021 um 30% auf noch 23 gesunken.
Richemont etwa verkehrten seit 2019 in einer KGV-Bandbreite von 20 bis 48, aktuell werden sie zu einem KGV 2022/23 von 22 gehandelt. Swatch Group sind mit einem KGV von 15 bewertet (Bandbreite 15 bis 31).
Die Investmentbank Bryan, Garnier & Co. verweist gemäss Bloomberg darauf, «dass die Kursentwicklung während Krisen in der Vergangenheit oft Einstiegsgelegenheiten für langfristig orientierte Anleger war», den kurzfristigen Rückschlägen zum Trotz. 60% der Analysten und mehr führen LVMH und Co. unter den Kaufempfehlungen, einzig die Bewertung von Hermès stimmt sie etwas skeptisch. Kurz: Dabei bleiben ist auf jeden Fall angesagt, auch wenn die Volatilität das Nervenkostüm zeitweise belasten mag.
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