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07:36 Uhr - 24.02.2016

«Später wird man sagen: Hätte ich doch gekauft»

Hendrik Leber, Mitgründer und Portfoliomanager von Acatis, investiert nach den Prinzipien von Warren Buffett. Die Suche nach günstigen Aktien fällt ihm derzeit leicht.

Herr Leber, finden Sie nach mehrjähriger Hausse noch unterbewertete Aktien?
Im Moment ist die Suche leicht, Aktien sind günstig. Wir befinden uns in einer Situation, die nur alle paar Jahre vorkommt und von der man hinterher sagt: Hätte ich in der Krise doch nur zugeschlagen.

Der US-Markt scheint eher teuer zu sein.
Die USA sind fair bewertet, doch es gibt Segmente, die billig sind, weil sie Wachstum aufweisen, das von der Börse nicht honoriert wird. Dazu zählen IT- sowie Biotechnologie- und Pharmawerte.

Pharma und Biotech sind doch teuer?
Sie finden Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis zwischen 10 und 12 – und dies trotz glänzender Aussichten. Wir halten Gilead (GILD 88.35 -0.84%), die im Bereich Viruserkrankungen hervorragend aufgestellt ist und trotzdem nur zum siebenfachen Gewinn handelt. Dies, weil der Markt einen Eingriff des Regulators fürchtet, sollte Hillary Clinton zur US-Präsidentin gewählt werden.

Gibt es weitere attraktive Biotech-Werte?
Wir mögen Medivation, Biogen (BIIB 258.99 -2.57%) und die japanische Otsuka. Medivation wurde von der Börse noch nicht entdeckt. Ich wurde durch einen Freund auf das Unternehmen aufmerksam, dem das von Medivation vertriebene Medikament Xtandi gegen Prostatakrebs das Leben gerettet hat. Das gleiche Mittel lässt sich auch gegen Brustkrebs einsetzen, was einer Verdoppelung des Marktpotenzials entspricht. Die Börse straft das Unternehmen jedoch ohne klar erkennbaren Grund ab.

Und im Technologiebereich?
In unserem Europafonds haben wir eben Nordic Semiconductor gekauft. Das Unternehmen ist Weltmarktführer im Wachstumsmarkt Bluetooth. Titel, die wir schon länger halten, sind Oracle (ORCL 36.55 -1.51%), Cisco, Qualcomm, Apple (AAPL 94.69 -2.26%) und Microsoft (MSFT 51.18 -2.79%).

Die langsamere Gangart von Apple beunruhigt Sie nicht?
Es fehlt zwar die Aussicht auf den nächsten grossen Hit. Doch Apple-Produkte funktionieren, und die Benutzerführung sowie die Einfachheit in der Bedienung geben Apple eine starke Stellung. Schon wenn der Gewinn nur seitwärts tendiert, rechnet sich eine Investition, weil das Unternehmen so viel Geld in der Kasse hat und höchst profitabel arbeitet.

Was halten Sie von Alphabet (GOOGL 717.29 -1.61%), der Muttergesellschaft von Google?
Endlich zeigt Alphabet, was sie neben der Suchmaschine in den anderen Geschäftsbereichen macht. Was da an Forschungsintelligenz herumläuft, ist phänomenal. Ob dies das selbstfahrende Auto ist oder künstliche Intelligenz in der Pharmaforschung: Wenn die das zu Geld machen können, rechtfertigen sie ihren Börsenwert problemlos.

Da ist allerdings viel Zukunftsmusik drin.
Mag sein. Doch Alphabet ist es auch gelungen, im mobilen Bereich Werbung zu schalten und damit Geld zu verdienen, wenn auch weniger als über Suchmaschinen. Dafür wächst das Mobilgeschäft umso schneller, was die Margenverluste kompensiert. Spannend finde ich auch die antizipatorischen Projekte. Google will nicht finden, was jemand sucht, sondern das Ergebnis präsentieren, von dem der Anwender nicht einmal weiss, dass er danach sucht, um dann gleich noch eine Lösung anzubieten – so wie mit Google Now. Das ist schon grossartig.

Worauf legen Sie Wert, wenn Sie ein Unternehmen analysieren?
Die Rendite auf das betriebsnotwendige Kapital, das Gewinnwachstum und das dafür erforderliche Kapital sind die wesentlichen Treiber. Wir ziehen Unternehmen mit niedriger Kapitalbindung vor. Perfekt ist, wenn sie ohne Kapital profitabel wachsen und dabei die Marge ausweiten können.

Solche Titel sind derzeit aber teuer.
Ja, die Anleger mögen Namen wie Nestlé (NESN 70.2 -1.34%), die nicht günstig sind. Sie versprechen über die nächsten Jahre eine Rendite von 7 oder 8%. Das ist zwar akzeptabel, doch ich ziehe 10% und mehr vor.

Wie schätzen Sie das Renditepotenzial?
Wir schätzen das Umsatzwachstum für die nächsten Jahre. Daraus lässt sich der Kapitalbedarf ableiten. Dafür rechnen wir alle Komponenten der Bilanz durch und normalisieren sie.

Wie behandeln Sie die Marge?
Auch da rechnen wir die sechs bis acht Komponenten durch, die zwischen Umsatz und Gewinn liegen. Wir beginnen mit der Bruttomarge, wobei wir davon ausgehen, dass sie sich nicht verbessern wird. Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie für die Verwaltung kann man ungefähr abschätzen. Die Steuern normalisieren wir, um allfällige Steuertricks zu eliminieren. Ferner bereinigen wir alle Sondereffekte.

Wie kommen Sie vom Gewinn auf den fairen Wert?
Buchwert plus die mit der Sollrendite von 10% abdiskontierten Überrenditen.

Haben Sie die Korrektur für den Erwerb neuer Positionen genutzt?
Wir schauen uns Chipotle Mexican Grill (CMG 525.06 -0.16%) an. Restaurantketten sind nicht kapitalintensiv. Mit den Geschmacksrichtungen süss, salzig und sauer sowie dem Geschmacksträger Fett decken sie zudem die Grundbedürfnisse des Menschen ab.

Wo kommt das Wachstum her?
Von neuen Restaurants sowie von höheren Preisen. Chipotle könnte sich nochmals verdoppeln – von 1000 auf 2000 Standorte.

Wo haben Sie sonst noch zugeschlagen?
Tupperware sind spannend. Das Unternehmen erzielt 90% des Umsatzes ausserhalb der USA – den grössten Teil davon in den Schwellenländern. Tupperware sind also eine in den USA kotierte Emerging-Markets-Aktie.

Sind Sie auch in den Schwellenländern investiert, oder spielen Sie das Thema nur indirekt?
Wir halten 15% direkt in den Schwellenländern, darunter Tata Motors (TTM 23.04 -3.84%) und Sun Pharmaceuticals aus Indien, China Mobile (CHL 54.43 -1.93%) und den Casinobetreiber SJM aus China, dazu Taiwan Semiconductor, Bangkok Bank und die russische Mobile Telesystems – Letztere bewusst mit möglichst wenig Putin drin.

Die Casinos in Macao leiden doch unter der chinesischen Wachstumsschwäche.
Die Chinesen werden immer spielen, und Macao ist der Platz, wo sie – quasi staatlich verordnet – spielen sollen. Der Übergang von den Grosszockern zum Mittelstand braucht jedoch seine Zeit. Mit einem KGV von 11 sind SJM hochinteressant.

Sie haben eingangs erwähnt, dass viele Segmente günstig sind. Einige dieser Segmente – wie Öl- und Versorgerwerte – dürften Sie wegen der hohen Kapitalbindung aber nicht anfassen?
Wir schauen bei den Stromversorgern schon genauer hin, weil der Abwärtstrend irgendwann drehen wird. Dann wollen wir vorbereitet sein. Für den Ölbereich ist es noch zu früh. Sogar wenn die Produktion gedrosselt würde, braucht eine Erholung Zeit, weil zuerst die Vorräte abgebaut werden müssen. Interessant sind indes Unternehmen, die Verbrauchsgüter für die Ölbohrung liefern. Dieses Geschäft läuft unabhängig vom Ölpreis.

Und die Versorger?
Das Geschäft mit der Stromversorgung liegt dermassen am Boden, dass es irgendwann aufwärtsgehen muss. RWE (RWE 10.305 -5.24%) weist noch einen Börsenwert von 6 Mrd. € auf – dies bei einem Gewinn vor Zinsen und Steuern von mehr als 3 Mrd. Das ist ein Geschenk. Zudem macht die Stromproduktion nur einen kleinen Teil des Geschäfts aus – die Stromverteilung ist bedeutend grösser und bleibt profitabel. Deshalb dürfte sich bei den Versorgen bald ein Fenster öffnen

Was wäre ein solches Fenster?
Zum Beispiel die Nachricht, dass Frau Merkel irgendeine Erleichterung plant.

Rohstoffwerte sind kein Thema?
Nein, denn da herrschen riesige Überkapazitäten. Ich möchte zuerst eine grosse Pleite im Rohstoffsektor sehen. Vorher ist die Krise nicht ausgestanden.

Nach einer Pleite würden Sie trotz hoher Kapitalbindung zugreifen?
Wenn wir die Vorräte zum halben Preis bekommen, würden wir zuschlagen. Allerdings tun wir uns grundsätzlich schwer, weil wir keine Ahnung haben, wo die Rohstoffpreise nächstes Jahr stehen.

Halten Sie auch Schweizer Aktien?
Derzeit sind wir nur in Swatch Group (UHR 333.3 -3.19%) investiert. Es gibt drei Gründe, warum der Titel leidet: der starke Franken, Chinas Wachstumsschwäche und die Apple Watch. Letztere dürfte keine grosse Gefahr darstellen. Eine Uhr ist ein Mode- und Bonitätsstatement, die Funktion ist zweitrangig – und das wird immer so bleiben. Swatch ist mit ihren Marken in beiden Bereichen gut vertreten. Momentan herrscht in China Lähmung, weil niemand seinen Wohlstand zeigen will. Doch irgendwann wird die Nachfrage wieder anziehen.

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