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17:15 Uhr - 11.09.2015

ABB-CEO: «Alle Optionen sind auf dem Tisch»

Ulrich Spiesshofer, CEO von ABB, erklärt im Interview mit FuW den Umbau der Industriegruppe und bekräftigt sein Bekenntnis zu einer kontinuierlich steigenden Dividende.

ABB soll schlanker und effizienter werdenDer Technologiekonzern reduziert die Zahl der Divisionen und lanciert ein Sparprogramm. Der Effekt auf die Aktien dürfte vorerst beschränkt sein.
Lesen Sie hier den Beitrag von FuW-Redaktor Martin Gollmer.
ABB (ABBN 18.22 0.33%) schaltet einen Gang hoch. Am Mittwoch präsentierte CEO Ulrich Spiesshofer am Investorentag in London die künftige Struktur des Industriekonzerns und kündigte ein Sparprogramm an. Im Interview präzisiert er, dass auch ein Verkauf der Sparte Stromnetze eine Option ist und dass in Oerlikon Stellen verloren gehen werden.

Herr Spiesshofer, die Reaktion der Börse auf die in London bekanntgegebene Reorganisation war verhalten bis enttäuscht. Wieso misstraut der Markt Ihren Plänen?
Kurzfristige Kursentwicklungen sind kein Massstab für langfristig ausgelegte Strategien. Warten wir mal ab; die Börse bewertet erst, wenn Ergebnisse da sind. Was haben wir angekündigt? Neuausrichtung des Angebots von Automations- und Energietechnik, Umbau der Divisionen und Reduktion ihrer Zahl auf vier, 1 Mrd. $ zusätzliche Einsparungen, Freisetzung von 2 Mrd. $ Barmitteln im Umlaufvermögen, Wiederaufnahme von Akquisitionen. Die Investoren, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt, sie verstünden die Logik der Massnahmen.

Zur PersonDer gebürtige Süddeutsche Ulrich Spiesshofer arbeitet seit 2005 bei ABB. Damals wurde er Chef der Unternehmensentwicklung, zuständig für Strategie, Fusionen und Übernahmen, Supply Chain Management, Qualität und betriebliche Exzellenz. 2010 stieg der 1964 geborene Spiesshofer zum Chef der Division Industrieautomation und Antriebe auf. Mitte 2013 folgte die Ernennung zum CEO. In dieser Funktion verpasste Spiesshofer 2014 der ABB eine neue Strategie – die sogenannte Next Level Strategy. Die jetzt in London am Investorentag angekündigten Reorganisations- und Effi­zienzsteigerungsmassnahmen sind Stufe zwei dieser Strategie.

Vor ABB stand Spiesshofer von 2002 bis 2005 in Diensten des Beratungsunternehmens Roland Berger Strategy Consultants, wo er am Sitz Schweiz Senior Partner und Global Head Operations Practice war. Zu Roland Berger wechselte Spiesshofer von A. T. Kearney, ebenfalls ein international aktives Beratungsunternehmen. Hier war er in verschiedenen Funktionen zunächst in Deutschland, dann in Australien und schliesslich in der Schweiz tätig. Spiesshofer besitzt einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften der Universität Stuttgart. An dieser unterrichte er von 1989 bis 1992 Betriebswirtschaftslehre. (MG)
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Sie ordnen die Divisionen neu. Warum haben Sie das nicht vor einem Jahr angekündigt, als die neue Strategie lanciert wurde?
Vergangenes Jahr, als wir die Next-Level-Strategie vorstellten, hatten wir ein paar andere Themen auf der Agenda: Die Division Energietechniksysteme hatte grosse Probleme, wir mussten die Integration von Thomas & Betts vorantreiben, wir haben die regionale Gliederung angepasst. Die Neuorganisation liegt mir schon lange am Herzen, aber man muss berücksichtigen, wann der richtige Zeitpunkt für Veränderungen gekommen ist. Mir war vor einem Jahr unwohl, an den Divisionen herumzuschrauben. Das Konzept war da, aber man muss sich fragen, wann es zu viel des Wandels ist.

Hat der Zeitpunkt des Umbaus damit zu tun, dass seit Frühjahr mit Peter Voser ein neuer Verwaltungsratspräsident amtiert?
Erste Gedanken gab es bereits bei meinem Amtsantritt im September 2013. Die Neuorganisation haben wir schon unter Peter Vosers Vorgänger Hubertus von Grünberg andiskutiert. Voser hat dann seine Gedanken eingebracht, als er kam. Es war eine kontinuierliche Arbeit an der Strategie mit einem reibungslosen Übergang vom einen zum anderen VR-Präsidenten.

Haben die beiden grössten Aktionäre, Investor und Cevian, Druck gemacht?
Wir pflegen schon seit zehn Jahren, als ich bei ABB angefangen habe, enge Kontakte mit Investor als unserem grössten Aktionär. Cevian ist seit Frühjahr im Aktienregister eingetragen. In den Gesprächen, die wir seither geführt haben, hat Cevian zugehört, aber noch keine Vorschläge gemacht. Zwei Dinge haben die Vertreter von Cevian dabei gesagt: Erstens, ABB sei ein starkes Unternehmen mit einer guten Grundsubstanz. Zweitens, sie sähen enormes Wertsteigerungspotenzial in ABB.

Wieso haben Sie nicht noch radikaler reorganisiert und etwa die Trennung von Automations- und Energietechnik beschlossen?
Wir sind nicht nach Angebot ausgerichtet, sondern nach Kunden. Diese sind Energieversorgungs-, Industrie- und Infrastrukturunternehmen. Sie sind unterschiedlich gross, unterschiedlich organisiert, haben unterschiedliche Marktpositionen und vergeben Aufträge nach unterschiedlichen Verfahren. Für diese Kunden machen wir Energieversorgung und Automation. Bei einem Netzbetreiber etwa nur dafür zu sorgen, dass der Strom fliesst, und nicht danach zu fragen, wie der Stromfluss gesteuert wird, wäre Unsinn. Die Kunden würden von uns nichts kaufen, in der Art, wie sie es heute tun, wenn wir Stromfluss und Automation auseinanderrissen. Energieversorgung und Automation separat anzubieten, macht so viel Sinn, wie beim die Nabe von den Speichen zu trennen. Dass wir beides anbieten, ist unser Alleinstellungsmerkmal.

Bestehen zwischen der Division Stromnetze einerseits und den anderen drei Divisionen andererseits überhaupt Synergien?
Natürlich! Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der norwegische Öl- und Gasmulti Statoil (STL 12.655 -3.54%) betreibt Bohrplattformen. Auf der Plattform arbeiten Bohr- und Förderleute sowie Überwachungsleute. Die Energieversorgung kommt von gas- oder ölbetriebenen Motoren auf der Plattform. Wir haben zur Energieversorgung ein Hochspannungskabel verlegt und die Überwachungsleute an Land platziert. Dadurch gibt es weniger Infrastruktur und Leute auf der Plattform, was Kosten spart.

Trotz Synergien: Sie unterziehen die Division Stromnetze einer strategischen Überprüfung. Was heisst das genau?
Ich gebe noch ein Beispiel: 2009 schrieb unser Robotergeschäft auf 1 Mrd. $ Umsatz einen Verlust von 200 Mio. $. Wir beschlossen daher eine strategische Überprüfung, in der eine Abspaltung, ein Verkauf und Joint-Venture-Lösungen angeschaut wurden. Wir prüften aber auch einen Umbau mit neuem Geschäftsmodell. Nach Prüfung aller Alternativen entschieden wir, das Robotergeschäft umzubauen und zu behalten. Seither hat sich das Geschäft zu einer Ertragsperle entwickelt. Die genau gleichen Prüfungen machen wir jetzt bei der Division Stromnetze. Alle Optionen sind dabei auf dem Tisch.

Das heisst, es könnte auch zu einer Abspaltung oder einem Verkauf kommen?
Wir prüfen alle Optionen. Es geht darum, herauszufinden, wie wir mit dieser Division Mehrwert schaffen – für Kunden und für die Aktionäre. Wenn wir zum Schluss kommen, dass sich ein Umbau lohnt, behalten wir die Division. Wenn wir zur Einsicht gelangen, ein anderer Eigentümer wäre besser, dann verkaufen wir.

Wie lange dauert diese Überprüfung?
Ich denke, dass wir 2016 durch den Prozess durch sind. Aber wir stehen nicht unter Zeitdruck. Die Division verdient Geld: 2016 werden wir das untere Ende des Ebita-Zielbandes von 8 bis 12% erreichen.

Sie sprechen wieder von Akquisitionen. Was haben Sie im Sinn?
Wir sind ein Unternehmen, das viel Cash produziert. Was macht man damit? Dabei haben wir uns vier Prioritäten gegeben: Erstens, die Technologiebasis und das organische Wachstum mit Forschung, Entwicklung und Investitionen zu unterstützen. Die zweite Priorität ist eine kontinuierlich steigende Dividende. Drittens Akquisitionen. Die vierte Priorität sind zusätzliche Ausschüttungen an die Aktionäre. Vergangenes Jahr haben wir beschlossen, keine Zukäufe durchzuführen: Wir hatten eh schon eine grosse Agenda. Diese Agenda haben wir jetzt abgearbeitet. Wir haben nun eher wieder die Kapazität für Akquisitionen. Zudem sieht die Bilanz gut aus und erlaubt uns, jederzeit zu agieren.

Was sind attraktive Unternehmen für ABB?
Das Unternehmen muss gesund sein, wir wollen keine Probleme kaufen. Es muss auch zur Kultur von ABB passen. Und es muss eine vernünftige Bewertung haben. Wir wissen genau, an welchen Stellen wir uns verstärken wollen.

Welche Stellen sind das?
Nehmen wir Prozessautomation: Bei den Kontrollsystemen sind wir stark. Auf der Messtechnik- und Sensorikseite hätte ich dagegen lieber mehr. Motoren produzieren wir selbst, aber Steuerventile machen wir nicht. Ziel wäre es, die Prozesskette in der Automation vollständig zu bedienen. Ein anderes Beispiel ist Elektrifizierung und Gebäudeautomation. Das ist ein lokaler Markt. In manchen Ländern, etwa im deutschsprachigen Bereich, sind wir hervorragend aufgestellt. Aber in anderen Ländern ist unsere Position schwach. Da wollen wir uns verbessern. Das dritte Beispiel ist Software: Bei eingebauter Kontrollsoftware sind wir gut unterwegs, aber im Bereich Anwendungssoftware möchte ich noch mehr machen.

Wie gross können Akquisitionen sein?
Wir wollen unsere Bilanz nicht in Gefahr bringen. Der Investment Grade soll nicht verloren gehen. Deshalb werden wir keine zweistelligen Milliardenbeträge für Akquisitionen ausgeben. Aber im mittelgrossen Bereich könnten wir schon etwas machen. Berücksichtigen müssen wir bei Zukäufen zudem, dass wir für Dividenden und Aktienrückkäufe auch Mittel benötigen.

Eine Kritik an ABB ist, dass die Integration vergangener Akquisitionen schlecht war.
Das Gegenteil ist der Fall. Schauen Sie sich Baldor oder Thomas & Betts an: Da ist die Integration ganz gut gelaufen. Wir sind eines der wenigen Unternehmen, die Akquisitionen in den USA erfolgreich bewältigt haben. Da sind wir stolz drauf.

Waren wirklich alle vergangenen Zukäufe strategisch sinnvoll?
Ja. Nehmen wir die beiden grössten, Baldor und Thomas & Betts. Bei beiden haben wir eine nordamerikanische Produktpalette und lokale Wertschöpfung erlangt. Wir haben mit beiden Marktpositionen zwischen eins und drei erhalten. Und wir haben mit beiden zuvor fehlende Distributionskanäle erlangt. Bei Elektromotoren sind wir Weltmarktführer. Der Öl- und Gasmulti Shell wollte für alle seine Bohr- und Förderanlagen Motoren vom selben Lieferanten kaufen. Den Auftrag haben wir dank Baldor gewonnen.

Trotzdem bleibt die Kritik: ABB gilt als zu wenig fokussiert. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich mit Akquisitionen nun noch mehr verzetteln?
Die Gefahr besteht. Unsere Angebotspalette ist schon sehr breit. Wir haben klar definiert, wohin die Reise geht.

ABB ist ein komplexer Konzern. An wem in der Branchen messen Sie sich?
Es gibt keinen, der alles am besten macht. Im Bereich Einkauf und Kundenzufriedenheit sind wir gut unterwegs. Wenn ich aber die Lagerbestände anschaue, dann bin ich unzufrieden. Die sind zu hoch. In diesem Bereich sind die Amerikaner besser als die Europäer. Oder schauen wir uns den Vertrieb an: In diesem Bereich haben wir 25 000 Mitarbeiter. Der durchschnittliche ABB-Vertriebsmann verbringt dabei weniger Zeit mit den Kunden als die Besten in der Branche. Wir sind deshalb mit Salesforce.com eine Partnerschaft eingegangen, um unsere Angebotsabwicklungsprozesse zu verbessern.

Sie wollen bei den Angestellten 1 Mrd. $ einsparen. Kommt es zu Entlassungen?
Ich will ABB schlanker aufstellen und mit weniger Ressourcen das Gleiche erreichen. Wir versuchen das über natürliche Fluktuation zu machen. Bei einer Fluktuationsrate von 4 bis 6% und aktuell rund 140 000 Angestellten ergibt das ein erhebliches natürliches Sparpotenzial.

Ist auch die Zentrale in Oerlikon betroffen?
Ja, wir wollen die Managementkomplexität reduzieren. Als ich im Herbst 2013 als CEO angefangen habe, hatte ich vierzehn Divisions- und Regionenchefs unter mir. Jetzt sind es noch sieben. Alle arbeiten viel enger zusammen. Als ich vor zehn Jahren zu ABB kam, arbeiteten in der Zentrale in Oerlikon 450 Menschen. Jetzt sind es rund 800. Unter anderem haben sich immer mehr Geschäftsleiter in Oerlikon angesiedelt. Die sollten aber nicht in der Zentrale sitzen, sondern bei den Kunden draussen. Zwischen mir und dem Kunden sollen nicht mehr als acht Stufen sein. Bis jetzt waren es bis zu zwölf.

Der Personalbestand in Oerlikon wird also klar sinken.
Der wird sinken.

ABB ist ein Weltkonzern. Was spüren Sie: Wie steht es um die globale Konjunktur?
Ich habe im Bericht zum zweiten Quartal klar gesagt, es sei Schlechtwettersegeln. In Europa gibt es ein paar Hoffnungsschimmer. In China sehen wir dagegen grosse Verunsicherung und einen massiven Nachfragerückgang. Bei den USA waren vergangenes Jahr alle euphorisch, jetzt sind alle viel nüchterner. Lateinamerika ist extrem schwach. Dazu kommen ein niedriger Ölpreis und politische Unruhen in vielen Weltgegenden. In diesem Umfeld bewegen wir uns, das ist unser Los.

Wie sicher ist denn das Versprechen einer kontinuierlich steigenden Dividende angesichts dieses schwierigen Umfelds?
Damit wir die Dividende antasten, müsste in der Welt im Vergleich mit dem, was wir gerade erleben, noch sehr viel zusätzlich schiefgehen. Die Dividende wird eine Konstante sein. Wenn ich mich entscheiden muss zwischen einer Akquisition und der Zahlung einer Dividende, entscheide ich mich für Letzteres. Da können Sie sich darauf verlassen.

Seit Jahren bewegt sich der ABB-Aktienkurs seit- bis abwärts. Wieso sollen Investoren Ihnen noch Zeit geben, sie von der Richtigkeit Ihrer Strategie zu überzeugen?
Der Aktienkurs hat immer mit Erwartungen und realen Ergebnissen zu tun. In den Jahren der Euphorie dominierten die Erwartungen, jetzt sind es die konkreten Resultate. Dabei haben uns im vergangenen Jahr die Probleme in der Division Energietechniksysteme massiv Vertrauen gekostet. Anfang 2015 kam dann noch die Aufhebung des Euromindestkurses hinzu. Das hat uns geschadet. Dazu kommt, dass wir uns im operativen Bereich nicht so schnell verbessert haben, wie ich das gerne gehabt hätte. Aber jetzt geben wir in einem schwierigen Umfeld nochmals richtig Gas. Es ist mir völlig bewusst, dass die Anleger jetzt erst mal sehen wollen, was wir liefern. Und wir werden liefern. Ich stehe in der Bringschuld.

Wie lange wird es dauern, bis wir bessere Resultate sehen?
Im jetzigen schwierigen Marktumfeld mache ich keine Prognose. Ich sage einfach, dass wir in allen Dimensionen in unseren Zielkorridor einlaufen werden in den nächsten Jahren.

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