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15:51 Uhr - 19.08.2015

Der philosophische Investor mistet aus

Seit 2008 ist Yngve Slyngstad Chef des norwegischen Staatsfonds. Beteiligungen an Unternehmen, die nicht Wert auf Nachhaltigkeit legen, werden konsequent verkauft.

Jeden Morgen schaut Yngve Slyngstad in seinem Büro zuerst auf die Aktienkurse seiner wichtigsten Beteiligungen, bevor er zu seinem eigentlichen Tagesgeschäft schreitet. Die Vergangenheit lässt ihn auch heute noch nicht los, obschon der 52-jährige Osloer bereits vor sieben Jahren vom Anlagechef zum CEO des norwegischen Staatsfonds aufgestiegen ist. Damals, als Anlagechef, war er verantwortlich gewesen für die Vermögensallokation des Fonds, der inzwischen auf umgerechnet 855 Mrd. Fr. angeschwollen ist – auf einen siebenmal höheren Wert als noch vor zehn Jahren. Derzeit liegen 65% des Staatsvermögens in Aktien und 30% in Obligationen. Weltweit ist der Fonds in Titeln von über 9000 Gesellschaften investiert.

Seit diesem Montag fehlen vier asiatische Aktienpositionen auf dem Bildschirm von Slyngstad. Sie haben den ethischen Ansprüchen des Fonds nicht mehr entsprochen und sind aus dem Portfolio verbannt worden. Es handelt sich dabei um je zwei südkoreanische (Daweoo International, Posco) und malaysische Unternehmen (Genting, IJM). Die norwegische Zentralbank, die Norges Bank, die hinter dem Staatsfonds steht, wirft ihnen vor, in Indonesien die Abholzung von tropischen Wäldern zu forcieren, um Palmölplantagen zu errichten.

Strenge Sozial- und Umweltkriterien

Ynge Slyngstad ist bekannt dafür, das Portfolio regelmässig und radikal auszumisten. In den vergangenen drei Jahren hat der norwegische Staatsfonds die Beteiligung an 112 Unternehmen veräussert. Sie liessen gemäss Fonds-Richtlinien kein sozial- und umweltfreundliches Investieren zu. Bereits neun Jahre liegt der erste Ausschluss zurück. Er betraf den US-Händler Wal-Mart – wegen Verdachts auf Kinderarbeit.

In den vergangenen Wochen hat sich Slyngstad vertieft Gedanken über die Vereinbarkeit von Rendite und langfristigem Unternehmenserfolg gemacht. Der markante Hüne, glatzköpfig und mit gut getrimmtem Kinnbart, weiss um die Schwierigkeit, das täglich um Millionen Franken wachsende Staatsvermögen auch künftig erfolgreich anzulegen. Bereits heute besitzt Norwegen 1,3% aller weltweit erhältlichen Aktien. Alleine für die Schweiz, einer der wichtigsten Aktienmärkte für Slyngstad, weist der Staatsfonds Aktien von 147 Unternehmen im Wert von rund 29 Mrd. Fr. aus. Ein Drittel davon ist in Nestlé (NESN 74.5 -0.6%) und Novartis (NOVN 100 -0.99%) investiert, zugleich die beiden grössten Beteiligungen im globalen Portfolio des Fonds.

Vermehrt aktivistisch

Die Frage, die Slyngstad am meisten beschäftigt, lautet: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Unternehmensbeteiligungen als Risikodiversifikation und der gesellschaftlichen Verantwortung? Es sei nicht möglich, alle 9000 Unternehmen auf soziale und umweltverträgliche Kriterien zu screenen, sagte Slyngstad kürzlich der «Financial Times». Dennoch wandelt sich der Staatsfonds unter Slyngstads Leitung zu einem aktivistischen Aktionär, der vermehrt bereits vor Generalversammlungen das eigene Abstimmverhalten publik macht.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Slyngstad den norwegischen Staatsfonds verstärkt zu einer Institution formt, der die Einhaltung von Ethik und Corporate Governance überwacht.

Philosophiestudien in der Abgeschiedenheit

Yngve Slyngstad gilt als Philosoph unter den grossen institutionellen Investoren. Bereits in seinen jungen Jahren zog er sich im Sommer in die zerklüftete Gegend am norwegischen Polarkreis in ein spartanisches Landhaus zurück. Dort widmete sich der angehende Jurist und Ökonom den Werken der grossen Denker – Kant, Hegel und Heidegger. Später hängte er noch ein Politikstudium an der renommierten Sorbonne in Paris an.

Von Beginn weg war für Slyngstad klar, dass er eine Karriere bei der norwegischen Zentralbank anstrebt. Das spiegelt sich auch in seinem Lebenslauf: Vor gut 25 Jahren begann er als Finanzanalyst, 1998 stieg er zum Chief Investment Officer auf. Zehn Jahre später erreichte Slyngstad sein Ziel, als er vom Vorstand der norwegischen Zentralbank zum obersten Chef des von den Öleinnahmen des Landes alimentierten Staatsfonds ernannt wurde.

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