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15:50 Uhr - 28.06.2022

Das erwartet die Börse in einer Rezession

Eine Straffung der Geldpolitik mündet regelmässig in einer harten Landung der Wirtschaft. Der drohende Gewinneinbruch würde die Aktienkurse zusätzlich unter Druck bringen.

Führt die straffere Geldpolitik bald in eine Rezession? Wenn ja, wie sähe sie aus, und was droht dann den Aktienmärkten? Das sind derzeit die wichtigsten Fragen für die Finanzmärkte.

Für Antworten kann ein Blick in die Geschichte helfen. Auch wenn jeder Wirtschaftszyklus seine eigenen Besonderheiten hat, gibt es wiederkehrende Muster, die eine Rezession begleiten.

Zuallererst muss man sich aber im Klaren sein, was genau unter einer Rezession verstanden wird, dem R-Wort, das vom lateinischen Verb recedere (zurückgehen) abstammt. Von einer technischen Rezession sprechen die Ökonomen, wenn das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) zwei Quartale hintereinander schrumpft. Weniger technisch ist die Definition des National Bureau of Economic Research (NBER), einem privaten US-Wirtschaftsforschungsinstitut, das als führend in der Analyse von Konjunkturzyklen gilt. Eine Rezession ist laut NBER dann gegeben, wenn die wirtschaftliche Aktivität signifikant, auf breiter Front und während mehr als nur wenigen Monaten zurückgeht.

Es kommt also auf die Tiefe, die Breite und die Dauer des Abschwungs an, wobei nicht zwingend alle Kriterien erfüllt sein müssen, wenn die anderen dafür umso deutlicher sind. So sei auch der Coronacrash vom Frühjahr 2020 wegen der Breite und Tiefe als Rezession zu werten, obwohl von der Spitze des Zyklus im Februar bis zum Tief im Mai nur zwei Monate vergangen sind.

Risikofaktor Geldpolitik

Die mit Abstand häufigste Ursache einer Rezession ist die Straffung der Geldpolitik, das zeigt die Statistik von fünfundsiebzig Rezessionen in den G7-Staaten seit 1960.

Daher erstaunt es nicht, dass jetzt das R-Wort häufiger zu hören ist, da die Notenbanken rund um die Welt wegen der hartnäckig hohen Inflation und des ausgetrockneten Arbeitsmarkts die Zügel enger nehmen.

Die Zentralbanken hoffen, dass sie damit die Konjunktur ein wenig bremsen können und eine sanfte Landung hinbekommen. Noch sind die meisten Geldhäuser der Meinung, dass der US-Notenbank das gelingt, auch wenn die Prognosen laufend nach unten angepasst werden. Goldman Sachs (GS 299.49 -0.43%) setzte jüngst die Rezessionswahrscheinlichkeit über ein Jahr hoch auf 30%. Dass die USA die nächsten zwei Jahre ohne Rezession überstehen, dafür stünden die Chancen etwa 50 zu 50.

Doch wer die Geschichtsbücher studiert, sieht die Sache pessimistischer. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die US-Währungshüter mit der Zinsbremse nur in drei von zehn Fällen eine sanfte Landung ohne Rezession geschafft – 1965, 1984 und 1994. Vielleicht wäre es auch Janet Yellen 2018 gelungen, aber dann kam Corona dazwischen. Tatsache aber bleibt, dass in den USA nach einer geldpolitischen Straffung eine harte Landung wahrscheinlicher ist als eine sanfte.

Etwas besser ist die Bilanz über alle Industriestaaten hinweg. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat für fünfunddreissig Länder zwischen 1985 und 2018 die Perioden rund um eine geldpolitische Straffung ausgewertet, definiert als Anstieg der Leitzinsen während mindestens drei Quartalen. Rund die Hälfte der insgesamt hundertfünfunddreissig Straffungsepisoden mündeten in eine Rezession in den drei Folgejahren.

BIZ-Historie: 50 : 50

Die BIZ-Ökonomen heben dabei ein Muster hevor: Harte Landungen gehen in der Regel mit einem extrem kräftigen Kreditwachstum in den Jahren vor den Zinserhöhungen einher, wodurch das System verwundbar wurde. Auch tiefe Realzinsen zu Beginn einer Straffungsperiode und eine erhöhte Inflation – im Mittel lag sie vor dem Straffungszyklus mit Rezession bei 4,1% – vergrössern das Risiko eines BIP-Einbruchs.

Aktuell liegt die Inflation in Europa und den USA weit über 4% und die Realzinsen waren vor dem ersten Fed-Zinsschritt historisch niedrig. So betrachtet beträgt die Rezessionswahrscheinlichkeit etwas über 50%. Dass nur wenige Geldhäuser schon dieses Jahr damit rechnen, hat mit dem extrem gesunden Arbeitsmarkt zu tun. Die Arbeitslosenquote liegt nahe am Rekordtief, und höhere Löhne stützen den Konsum.

Ins Bild einer anrauschenden Rezession passen hingegen die sich rapide verschlechternden Finanzierungsbedingungen für Unternehmen. Alarmierend sind auch die historisch schlechte Konsumentenstimmung gemäss Michigan-Umfrage und nicht zuletzt die Entwicklung am Zinsmarkt – die Renditen zweijähriger US-Staatsanleihen sind mehrmals über jene von zehnjährigen gestiegen. Eine solche Inversion der Zinskurve war in der Vergangenheit Vorbote einer Rezession. Aber was würde dies für die Börsen bedeuten?

Bewertungen unter Druck

Ein Abschwung ist mit Entlassungen und Insolvenzen verbunden. Auch Umsatz und Gewinn der Unternehmen knicken ein. Allein schon deshalb muss mit fallenden Kursen gerechnet werden. Dazu kommt das Risiko einer Bewertungskompression, sei es wegen der steigenden Zinsen vor der Rezession oder der Präferenz für sichere Anlagen gegenüber riskanten Aktien während der Krise.

In den vergangenen zehn US-Rezessionen seit 1950 betrug der maximale Verlust des Aktienindex S&P 500 zwischen 14 und 57%. Der Mittelwert liegt bei –33%. Die Gewinne brachen im Schnitt um ein Viertel ein, die Bewertungen um die 20%.

Typischerweise, also im Durchschnitt, begann der Index sieben Monate vor Rezessionsbeginn zu sinken und erreichte das Tief vier Monate danach. Doch die Varianz ist gross: So gab es etwa Abschwünge wie jene von 1953/54 und 1960, während denen die US-Börsen fast 20% zulegten, und solche wie nach Dezember 2007, an deren Ende der S&P 500 immer noch fast 40% tiefer notierte. Das zeigt auch, wie wichtig und schwierig zugleich es ist, als Anleger eine Rezession zu timen.

Die UBS-Analysten um Stratege Bhanu Baweja sind noch einen Schritt weitergegangen und haben die US-Abschwünge der letzten hundert Jahre in tiefe und milde Rezessionen eingeteilt. Grenzwert war ein Rückgang des BIP von 3%.

Dabei kam heraus, dass in den sieben tiefen Rezessionen der Aktienmarkt im Mittel rund 35% verlor und der Boden erst neun Monate nach Beginn des Abschwungs erreicht war (vgl. Grafik). In den zehn milden Rezession beschränkten sich die Börsenverluste hingegen auf 11%, wobei der grösste Teil schon vor Beginn der Kontraktion anfiel.

Rosa Gewinnschätzungen

Ist eine Rezession, zumindest eine milde Form davon, mit der Börsenbaisse schon längst eingepreist?

Nicht unbedingt, findet Baweja. Der bisherige Kurszerfall sei im Wesentlichen das Resultat des Liquiditätsentzugs, nicht von Rezessionsängsten. Tatsächlich wurden nicht die Gewinnerwartungen angepasst, sondern nur die Bewertungen. Spiegelbildlich zu den Realzinsen ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 von über 30 auf unter 20 gefallen.

Bei den Earnings ist die Fallhöhe gross: In den USA gehen die Unternehmensanalysten immer noch von einem überdurchschnittlich hohen Gewinnwachstum von 8% für dieses Jahr aus, angeführt von hohen Gewinnerwartungen an die Sektoren Energie (130%) und Industrie und Baustoffe (rund 30%). Für europäische Aktien liegen die Erwartungen gar noch höher bei +14%. Für 2023 wird ein Gewinnwachstum von 11% (USA) und 4% (Europa) veranschlagt.

In einer Rezession würden die US-Gewinne nächstes Jahr 10% einknicken, schätzt Citi. Für europäischen Konzerne sieht es nicht besser aus. In den letzten fünf Rezessionen erlitten sie einen durchschnittlichen Gewinneinbruch von 30%.

Bis die Analysten der einzelnen Unternehmen (Bottom-up) allerdings die Gewinnprognosen anpassen, dauert es in der Regel lange, meistens hat dann die Rezession schon begonnen (vgl. Grafik).

Die Top-Down-Schätzungen sind zeitnaher. Goldman Sachs etwa hat die Prognosen für den europäischen Aktienmarkt bereits deutlich gestutzt:  Für dieses Jahr rechnen sie noch mit einem Zuwachs der Profite um 7%, bevor sie 2023 stagnieren sollten.

Wenn sich die Wirtschaftsaussichten weiter eintrüben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Gewinnwarnungen und Abwärtsrevisionen der Schätzungen häufen. Für die Aktienkurse verheisst das nichts Gutes.

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