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15:35 Uhr - 18.11.2014

Missglückter Balanceakt in Japan

Mit vorgezogenen Neuwahlen will sich Regierungschef Abe das Mandat für seine Wirtschaftsreformen sichern. Doch die Erfolgschancen von Abenomics sind unklar.

Regierungschef Shinzo Abe wollte in Japan zugleich die Deflation durch Mehrausgaben besiegen und die Neuverschuldung durch eine höhere Verbrauchssteuer bremsen. Dieser Balanceakt ist missglückt. Seine nach ihm benannte Abenomics-Strategie besteht aus drei «Pfeilen»: Expansive Geldpolitik, höhere Staatsausgaben und Strukturreformen sollen das Wachstum dauerhaft erhöhen. Doch der Pfeil der Steuererhöhung, wenn man beim Bild bleiben will, flog in die falsche Richtung und traf den Aufschwung.

Weiterer Beitrag in diesem ArtikelAntwort Japans bleibt die GeldpolitikzoomAllein mit dem Begriff «Abenomics» war es Abe gelungen, eine lange nicht gesehene Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Sechs Quartale lang ist die Wirtschaft nominal gewachsen, die längste Strecke in zwei Jahrzehnten. Seit November 2012 hat der Topix 83% zugelegt. Doch die Erhöhung der Verbrauchssteuer im Frühjahr um drei Punkte auf 8% hat den Optimismus gedrückt. Die Löhne hielten mit den Preisen nicht Schritt, die Realeinkommen sanken. Abes Entscheidung, den zweiten Steuerschritt auf 10% um anderthalb Jahre auf April 2017 zu verschieben, ist daher logisch. Das Geld soll die Neuverschuldung verringern. Aber ein höheres Wachstum füllt den Staatssäckel mehr als ein höherer Steuersatz, der eine Rezession und damit sinkende Einnahmen verursacht. Zugleich versprach Abe, es bleibe bei diesem einmaligen Aufschub. Damit wollte er die Sorgen des Finanzmarktes über Japans Verschuldung dämpfen.

Geldpolitik stösst an Grenzen

Die Frage ist, ob Japans Wirtschaft wieder so kräftig wachsen wird wie zu Beginn der Abenomics. Erstens ist die extreme Geldpolitik der Bank of Japan inzwischen an ihre Grenzen gestossen. Die dadurch erzeugte Yenabwertung hat die Exporte  weniger stark angekurbelt als erwartet, aber Inflation importiert. Würden die Rohstoffpreise nicht global sinken, wäre der Preisdruck für die Japaner kaum zu ertragen. Zweitens haben höhere Staatsausgaben kombiniert mit der schrumpfenden Bevölkerung den Arbeitsmarkt leergefegt: Für mehr Wachstum fehlen Japan schlicht die Arbeitskräfte.

Zwei sinnvolle Auswege aus dieser Sackgasse wären der Zuzug von Arbeitskräften sowie die versprochenen Strukturreformen. Doch Einwanderung bleibt politisch tabu. Stattdessen sollen mehr Frauen arbeiten, auch wenn das nicht reichen wird. Auch bei der Deregulierung hapert es an vielen Ecken. Die Sonderwirtschaftszonen zum Beispiel kommen kaum voran. Daher will der Regierungschef sich nun über eine vorgezogene Neuwahl am 14. Dezember ein Mandat für fortgesetzte Abenomics holen und zugleich seine Macht innerhalb seiner Liberaldemokraten (LDP) absichern.

Im Wahlkampf wird Abe seine Wirtschaftserfolge herausstreichen. Er habe eine Million Jobs geschaffen, die Löhne würden steigen und ein Tugendkreis sei in Gang gekommen, zog er Bilanz seiner ersten zwei Amtsjahre: «Es darf kein Zurück in die dunklen Jahre der Deflation geben.» Ältere Japaner fürchten zwar eine Entwertung ihrer Ersparnisse durch Inflation. Aber viele Wähler haben die chaotische Regierungszeit unter der Demokratischen Partei zwischen 2009 und 2012 nicht vergessen und bevorzugen eine stabile Regierung mit einem klaren Wirtschaftsprogramm. Die Aussichten auf einen Wahlsieg für Abe gelten auch wegen der schwachen Opposition als sehr gut.

Damoklesschwert Schulden

Viele Analysten erwarten bis zum Jahresende mehr Volatilität bei Aktien und Yen. Die Bären befürchten Verzögerungen bei den Strukturreformen. So würde UBS (UBSN 16.81 0.06%) erst wieder bei einem Nikkei unter 16 500 einsteigen. Die Bullen verweisen auf die erkennbare Rückkehr zum Wachstum schon im laufenden Quartal. Die Verschiebung des Steuerschritts erhöhe die Wachstumsrate im nächsten Jahr um 0,3 Punkte. Für den angekündigten Nachtragshaushalt stünden zudem bis zu 4,6 Bio. Yen (38 Mrd. Fr.) zur Verfügung. Am Dienstag machte der Aktienmarkt einen Teil der Vortagesverluste schon wieder wett.

Allerdings wird der Urnengang in Japan oft als überflüssig kritisiert. Die LDP sprach von der «Um-Sicherzugehen»-Auflösung des Unterhauses: Das Volk solle Abenomics bestätigen, sagte Partei-Vize Masahiko Komura. Abe geht also das Risiko ein, für die Rezession verantwortlich gemacht zu werden und dadurch einige Sitze zu verlieren. Aber zu einem späteren Zeitpunkt wäre seine Siegchance womöglich schlechter. So könnte er bis 2018 regieren und hätte mehr Zeit für Reformen. Allerdings hängt dabei das Damoklesschwert der Staatsschulden über ihm. Das Fenster für eine Kurswende in Japan wird jedenfalls immer kleiner.

Antwort Japans bleibt die GeldpolitikSeit sich der Regierungswechsel von Yoshihiko Noda zu Shinzo Abe abzeichnete, tut sich etwas im Inselreich. Die globale Anlegergemeinde reagierte erst mit freudiger Erregung auf die Worte und Taten des neuen Premiers. Der Yen wertete sich schon vor Beginn des grössten geldpolitischen Experiments aller Zeiten wie von Abe gewünscht kräftig ab, was dem Aktienmarkt neues Leben einhauchte.

Alles schien nach dem Drehbuch zu verlaufen, das die «Finanz und Wirtschaft» im Dezember 2012 beschrieben hatte. Erst stiegen die Inflationserwartungen und schliesslich auch die Inflationsraten selbst. Dann kam auch die Wirtschaft in Schwung. Doch zur Vollendung des zweiten Aktes kam es nicht. Die Zinsen wollten partout nicht steigen. Ende 2013 schien der Zauber der lockeren Geldpolitik verflogen, Anfang Jahr korrigierte der Nikkei. Vermehrt kamen Zweifel an Abes Reformfähigkeit auf, und die erhoffte Belebung der Exporte blieb aus. Seither spekulierten Anleger auf eine weitere geldpolitische Lockerung der Bank of Japan. Dass sie schon im Oktober kam, hat die meisten überrascht.

Wie geht es nun weiter? Vorerst dürfte Nippon irgendwo zwischen dem ersten und dem zweiten Akt verharren. Trotz schwachem Yen hat sich das Wachstum abgeschwächt und die Inflationsrate sinkt wieder. Die Antwort Japans wird wohl gleich bleiben: Die Geldpolitik wird immer weiter gelockert. Jede weitere Lockerung wird zumindest dem Aktienmarkt ein positives Signal geben. Doch die Zinsen bleiben vorerst tief: Die Zweifel am Überwinden der Deflation sind noch zu gross.

An der Zahlungsfähigkeit des Landes wird noch nicht gezweifelt. Das belegen die Prämien auf Kreditausfallversicherungen. Sollte die Inflation aber tatsächlich über lange Zeit beim anvisierten Ziel von 2% liegen, wäre ein Zinsanstieg unvermeidlich. Angesichts der riesigen Schuldenlast dürfte sich irgendwann die Frage nach ihrer Tragfähigkeit stellen. Gerät der Zinsanstieg oder die Yenabwertung ausser Kontrolle, droht eine schwere Rezession, die durch eine noch massivere Reflationierung bis hin zur Monetarisierung der Staatsschuld bekämpft würde. GM/AT

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