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13:55 Uhr - 06.11.2015

Die Aktien- und Immobilienblase in Japan

Nippons Wirtschaft strotzt in den Achtzigerjahren vor Kraft, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die USA überholt werden. Doch die Exzesse fordern ihren Tribut.

FuW-Serie Spekulationsblasen«Finanz und Wirtschaft» stellt die grössten Spekulationsblasen der Geschichte vor – in welchem Kontext sie entstanden sind, was die unmittelbaren Konsequenzen waren und welche Bedeutung ihnen heute noch zukommt.

Die letzten Folgen:
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Das Exxon Building ragt 229 Meter in den New Yorker Himmel. 1971 errichtet, gehört es zu den höchsten Gebäuden der Metropole. 1986 sollte der Wolkenkratzer den Besitzer wechseln. Der Energiegigant Exxon, der im Gebäude sein Hauptquartier hat, verlangt eine erkleckliche Summe – 310 Mio. $ sollen es sein. Doch der finanzstärkste Interessent, die japanische Mitsui Real Estate Development Company, ist mit dem Betrag nicht einverstanden. Er ist zu niedrig.

Am 10. Dezember 1986 einigen sich die Parteien auf den Preis von 610 Mio. $. Das ist der höchste je für ein einzelnes Gebäude in New York bezahlte Betrag – und sichert Mitsui den begehrten Eintrag ins «Guinness Buch der Rekorde». Damit gelangt die US-Ikone in japanische Hände. Es soll nicht die letzte bleiben.

1. Japan stürmt an die Spitze

Japan kann es sich leisten. In den Achtzigerjahren wächst die Wirtschaft jährlich fast 4% – deutlich schneller als  andere Industrienationen. Der Anteil am Welthandel übersteigt 10%, die Handelsüberschüsse sind enorm, und das Bruttoinlandprodukt pro Kopf ist auf Kurs, das der USA zu überflügeln. Nippons Konzerne sind technologisch führend – Sony (SNE 28.35 -0.35%) erfindet den Walkman –, und die Banken gehören weltweit zu den grössten. Automobilhersteller wie Honda und Toyota schliessen zur westlichen Konkurrenz auf und überflügeln sie schliesslich. Managementpraktiken wie die Just-in-Time-Produktion finden den Weg in den Westen.

Diese wirtschaftliche Potenz ist angesichts der Probleme auf der anderen Seite des Pazifiks besonders eindrücklich. Handels- und Budgetdefizite sowie eine Häufung von Streiks lassen den amerikanischen Glanz verblassen. Vierzig Jahre nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg ist Japan im Begriff, zumindest den Wirtschaftskrieg gegen die USA für sich zu entscheiden. Es ist klar: Der Aufstieg an die Spitze ist nur noch eine Frage der Zeit. Kein Wunder avanciert das Buch «Japan as Number One» des Harvard-Professors Ezra F. Vogel in den USA zum Bestseller. Die Gewinne sprudeln, die Börse freut’s. Allein in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre steigt der Leitindex Nikkei über 75%.

2. Es gibt nur Gewinner

In dieser Zeit wird Zaitech populär, eine Art Financial Engineering, bei der die Unternehmen ihre Finanzierung optimieren und an der Börse spekulieren. Die Konzerne beginnen zudem, im internationalen Bondmarkt Optionsanleihen (Warrant Bonds) herauszugeben. Diese Bonds sind mit Optionen versehen, die dazu berechtigen, Aktien der emittierenden Unternehmen zu einem zuvor bestimmten Preis zu kaufen. Die Optionsanleihen sind begehrt und ermöglichen den Konzernen, Anleihen zu lächerlich niedrigen Zinsen auszugeben. Das so aufgenommene Geld investieren sie entweder in Aktien oder deponieren es bei Banken, die einen garantierten Zins von 8% offerieren. Schon bald ist Zaitech für mehr als die Hälfte der Gewinne grosser Unternehmen wie Toyota oder Sharp (Sharp 1.05 1.45%) (6753 0.986 -3.05%) verantwortlich. Spekulation wird wichtiger als die Produktion von Gütern. Mit der Hausse steigen die Profite, was wiederum die Aktienkurse antreibt – ein finanzielles Perpetuum mobile.

Dann beschliessen die wichtigsten Industrieländer im Plaza-Abkommen Ende 1985, den Dollar zu schwächen. Die Kehrseite ist eine brutale Aufwertung des  Yens, dessen Wert sich gegenüber dem Dollar innerhalb zweier Jahre verdoppelt. Japanische Unternehmen nutzen die harte Währung und kaufen im grossen Stil amerikanische Traditionshäuser auf: Sony übernimmt Columbia Pictures, Mitsubishi Estate kauft das legendäre Rockefeller Center. Cosmo (COPN 151.6 -0.26%) World, ein mittelgrosses japanisches Immobilienunternehmen, erwirbt das berühmteste US-Golfresort, das kalifornische Pebble Beach. Doch der Höhenflug des Yens verteuert die Exporte massiv, das Wachstum ist gefährdet.

3. Ein Königreich für Kanada

Um eine Rezession abzuwenden, senkt die japanische Notenbank 1986 die Zinsen  von 6 auf 3%. An den Märkten gibt es kein Halten mehr: Die neu geschaffene Liquidität strömt in Aktien und Immobilien. Der Nikkei macht in diesem Jahr einen Sprung von 44%, die 20 000-Punkte-Marke ist nicht mehr weit.

Ende 1986 bringt die Regierung den Telefonkonzern Nippon Telephone & Telegraph (NTT (NTT 38.13 2.36%)) an die Börse. Ohne den Emissionspreis zu kennen, wollen zehn Millionen Japaner Aktien zeichnen. Denn sie wittern ein sicheres Geschäft, da der Staat dahinter steht. Dieser Glaube erhält im Crash 1987 Unterstützung: Als die globalen Aktienmärkte im Oktober korrigieren, schneidet der Nikkei besser ab als andere Indizes. Die Regierung hat tatsächlich die Finger im Spiel: Das Finanzministerium weist die Grossbanken an, den Index zu stützen. Er beendet das Jahr 14,5% höher – es ist das zehnte positive Jahr in Folge.

In den nächsten zwei Jahren steigt der Nikkei weitere 80%. In der Euphorie ist Japans Aktienmarkt mit einem Wert von über 4 Bio. $ oder 45% der globalen Marktkapitalisierung der grösste der Welt. Die Immobilien- stehen den Aktienpreisen in nichts nach: Die knapp zwei Quadratkilometer um den Kaiserpalast in Tokio erreichen den gleichen Wert wie die ganze Fläche Kanadas oder Kaliforniens. Aktien handeln zu horrenden Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 60 und einer Dividendenrendite von 0,5%. NTT ist gleich viel wert wie AT&T (T 33.34 -0.42%), IBM (IBM 139.89 -1.23%), Exxon, General Electric (GE 29.64 0.34%) und General Motors (GM 35.44 0.06%) zusammen. Natürlich finden die Anleger gute Gründe für den Wahnsinn: Die japanische Rechnungslegung unterschätzt die Gewinne, niedrige Zinsen rechtfertigen hohe Notierungen, und die Unternehmen besitzen wertvolle Immobilien. Ende 1989 sind die Anleger ungebrochen optimistisch.

4. Mieno macht Ernst

Doch das Ende hat einen Namen: Yasushi Mieno. Im Dezember 1989 übernimmt er das Präsidium der japanischen Notenbank. Stolz darauf, noch nie eine Aktie besessen zu haben, sieht er es als seine Mission, die Spekulationsexzesse zu beenden. Nur gerade eine Woche im Amt, erhöht er an Weihnachten 1989 die Leitzinsen. Wenige Tage darauf, am 29. Dezember, erklimmt der Nikkei sein Allzeithöchst von 38 916 Punkten. Es folgen fünf weitere Zinsschritte, bis der Leitzins im August 1990 bei 6% steht. Zehnjährige Staatsanleihen werfen mittlerweile über 7% ab – während Aktien eine Dividendenrendite von weniger als 0,5% versprechen.

Die restriktivere Geldpolitik wirkt: Im Januar 1990 gibt der Nikkei 4,5% nach, im Folgemonat weitere 7%. Im März notiert der Index erstmals seit zwei Jahren wieder unter 30 000 Punkten. Mienos Strategie geht auf, die Blase platzt. Doch im Herbst durchbricht der Index kurz die 20 000er-Marke, die Behörden werden nervös, da auch die Immobilienpreise bröckeln. Bis August 1992 verliert der Nikkei fast zwei Drittel seines Werts. Das Land schlittert in eine tiefe Rezession.

5. Verlorene Jahrzehnte

Das Bersten der Blase bringt diverse Betrügereien ans Licht: Es wird bekannt, dass Nomura und Daiwa Securities in Insidergeschäfte verwickelt waren und ihren Geschäftskunden positive Renditen auf ihren Investitionen garantiert hatten. Im Juni 1990 muss Yoshihasa Tabuchi, Nomuras Verwaltungsratspräsident, zurücktreten. Kurz darauf werden Buchhaltungsmanipulationen bei Daiwa und Cosmo Securities ruchbar. Auch deren Verwaltungsratspräsidenten demissionieren.

Nui Onoue, eine Wirtin aus Osaka, wird beschuldigt, 21 Mrd. $ zu Spekulationszwecken erschwindelt zu haben. Finanziell unter Druck, ist Cosmo World gezwungen Pebble Beach mit einem Verlust von über 300 Mio. $ abzustossen. Fallende Immobilienpreise lassen die Kreditausfälle in die Höhe schiessen. Faule Bilanzen begleiten die Banken noch über Jahre. Rechtzeitig zum hundertjährigen Jubiläum bricht die Yamaichi Securities 1997 unter einer Schuldenlast von 24 Mrd. $ zusammen. Es ist der grösste Bankrott in der japanischen Geschichte.

Japans Wirtschaft, die vor kurzem noch vor Kraft strotzte, fällt in eine jahrzehntelange Stagnation. Auch heute, mehr als 25 Jahre später, notiert der Nikkei noch immer 50% unter seinem Höchst von 1989.

Die Anatomie der SpekulationsblaseDas fünfstufige Modell der Ökonomen Hyman Minsky und Charles Kindleberger beschreibt den idealtypischen Verlauf von Spekulationsblasen.
Lesen Sie hier mehr dazu.

 

 

Person der Stunde: Nui Onoue (geb. 1930)Nui Onoue wird 1930 in eine ärmliche Familie in Osaka geboren. Ihre Karriere beginnt sie im Gastgewerbe. Sie wird die Geliebte eines Baumagnaten, mit dessen finanzieller Unterstützung sie in den Sechzigerjahren zwei Restaurants kaufen kann. Doch richtig in Fahrt kommt ihre Karriere zwei Jahrzehnte später, als sie mit dem Filialleiter Tomomi Maekawa der Toyo Shinyo Kinko Bank Terminguthaben im Umfang von 460 Mrd. Yen (3,5 Mrd. $) fälscht. Diese hinterlegt sie bei anderen Banken als Sicherheit, um damit in grossem Stil Aktien und Obligationen zu kaufen. Dieses Vorgehen wiederholt sie bei diversen anderen Finanzinstituten. Damit gelingt es Onoue, von 1986 bis 1991 Schulden von 2,8 Bio. Yen (21 Mrd. $) anzuhäufen. Mit ihrer Spekulation wird sie bald die grösste Einzelaktionärin einiger der wichtigsten japanischen Unternehmen wie der Industrial Bank of Japan oder der Dai-Ichi Kangyo Bank. Im Gleichschritt mit den steigenden Aktienkursen nehmen ihr Reichtum und ihr Einfluss zu. Mit dem Platzen der Spekulationsblase kommen ihre Betrügereien ans Tageslicht. Im August 1991 wird sie verhaftet, zu zwölf Jahren Haft und einer Strafe von rund 2 Mrd. $ verurteilt.

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