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08:35 Uhr - 31.12.2014

«Ist der Gläubiger zu stur, verlieren am Ende beide»

George Magnus, der langjährige Chefökonom von UBS, sieht keinen schmerzfreien Ausweg aus dem globalen Schuldenüberhang. Eine Streichung oder Restrukturierung von Schulden werde unumgänglich sein.

George Magnus hat viel gesehen. Mehr als zwanzig Jahre arbeitete der Brite als Chefökonom für die UBS (UBSN 16.45 -1.79%) respektive für SG Warburg in London. 2012 ging er in Pension, steht der Grossbank aber seither weiter beratend zur Seite. Den globalen Schuldenüberhang erachtet Magnus als eine der grössten Gefahren für die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren. Einen schmerzlosen Ausweg aus dem Schlamassel gebe es nicht mehr.

Herr Magnus, die Weltwirtschaft ächzt unter der höchsten Schuldenlast der Geschichte. Wie kam es dazu?
In den 25 Jahren vor 2007 haben diverse westliche Industrieländer eine beispiellose Aufblähung des Schuldenvolumens im Privatsektor erlebt. Haushalte und Unternehmen konnten sich masslos verschulden, und die Banken haben ihnen masslos Kredite verliehen. Mit Ausbruch der Finanzkrise nach 2007 ist ein beträchtlicher Teil dieser Schulden auf die öffentliche Bilanz der Staaten gewandert. Zudem haben Schwellenländer wie China nach 2008 ihre Verschuldung aufgebläht. Das Resultat ist das wohl höchste je verzeichnete aggregierte Schuldenvolumen weltweit.

Kern des Problems war also die private Verschuldung, nicht die Staatsschulden?
Ja. Vor 2007 waren nur wenige westliche Staaten übertrieben hoch verschuldet. 2008 war keine Staatsschuldenkrise, sondern eine Krise des Privatsektors. Erst mit der Rezession nach der Krise sowie mit den Bankenrettungen sind die Staatsschulden explodiert.

Wieso ist der Schuldenüberhang heute ein Problem?
Schulden müssen immer im Verhältnis zum Einkommen respektive zur Wirtschaftsleistung betrachtet werden. Es besteht die Gefahr, dass die Weltwirtschaft aggregiert betrachtet ihre maximale Schuldentragfähigkeit erreicht hat. Ein zu hoher Schuldenstand schwächt das Wirtschaftswachstum.

Wie kann der Schuldenüberhang verschwinden?
Das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandprodukt sinkt, indem entweder Schulden abgebaut werden oder das nominelle BIP gesteigert wird. Theoretisch können die Schuldner ihre Verpflichtung allmählich abzahlen, ein sogenanntes Deleveraging. Das halte ich im aktuellen Umfeld jedoch für nahezu unmöglich.

Wieso? Es gibt gelungene Deleveraging-Beispiele, etwa Schweden und Kanada in den frühen Neunzigerjahren.
Das stimmt. Doch das waren Einzelfälle, die von der robusten Weltwirtschaft profitieren konnten. Heute sitzen jedoch die meisten Länder im selben Boot. Fast alle ächzen unter einem Schuldenüberhang, von den USA über die Eurozone bis nach China und Japan.

Was für Möglichkeiten verbleiben denn?
Der eleganteste Weg wäre, über ein höheres nominelles BIP-Wachstum dem Schuldenberg zu entwachsen. Das Nominalwachstum besteht aus dem realen Wachstum plus Inflation. Wie wir jedoch aktuell feststellen müssen, ist es nicht einfach, eine erhöhte Inflationsrate herbeizuzaubern. Die Bank of Japan schafft es seit 22 Jahren nicht. In Europa liegt das nominale Wachstum nahe null, in einigen Peripheriestaaten ist es wegen der Deflation negativ. Deflation ist eine grosse Gefahr für eine hoch verschuldete Wirtschaft.

Wieso eigentlich?
Deflation erhöht den realen Wert der Schuldenlast noch weiter. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Schulden jemals beglichen werden können.

Von deutschsprachigen Ökonomen ist vermehrt zu hören, dass die Gefahr einer Deflation überschätzt wird. Was ist denn so schlimm daran, wenn die Preise sinken?
Es gab in der Historie Episoden von guter und von schlechter Deflation. Gute Deflation, wie Ende des 19. Jahrhunderts oder in den Zwanzigerjahren, war geprägt von Produktivitätsfortschritten und steigendem Lebensstandard. Schlechte Deflation, wie in den 1840er- und 1930er-Jahren, war geprägt von chronischer Nachfrageschwäche, hoher Verschuldung und Bankenkrisen. Was wir heute sehen, ist leider die gefährliche Form von Deflation.

Ist es mit expansiver Geldpolitik allein möglich, das nominelle Wirtschaftswachstum anzukurbeln?
Das bezweifle ich. Die unkonventionelle Geldpolitik – Quantitative Easing, QE – hat in den USA Anfang 2009 als Schocktherapie hervorragend gewirkt, um die Krise zu stoppen. Allerdings war dazu eine Kombination von QE, Fiskalstimulus und forcierter Rekapitalisierung der Banken nötig. Ich glaube daher nicht, dass ein QE in Europa funktionieren wird. In den USA hätte das Fed 2011 oder 2012 seine QE-Programme ebenfalls stoppen müssen. Diese Idee, man könne mit genügend expansiver Geldpolitik das Wirtschaftswachstum ankurbeln, halte ich für falsch.

Kann man sagen, dass die extreme Geldpolitik eine erneute Verschuldung des Privatsektors begünstigt?
Genau. In Grossbritannien werden die Haushalte regelrecht dazu angehalten, sich neu zu verschulden und Immobilien zu kaufen. In den USA haben seit 2012 vor allem Unternehmen Schulden aufgenommen, um eigene Aktien zu kaufen. Angesichts der Tatsache, dass eine übermässige private Verschuldung zur Finanzkrise geführt hat, ist das bedenklich.

Welche Lösung schlagen Sie vor, wie der Schuldenüberhang abgebaut werden kann?
Ohne die Streichung respektive Restrukturierung von Schulden wird es kaum möglich sein. Mit Griechenland wurde dieser Pfad bereits beschritten, allerdings hat das nicht gereicht. Das Thema Schulden ist extrem moralisch aufgeladen, das verhindert eine sachliche Diskussion. Am Ende ist es simpel: Ein Schuldenüberhang entsteht, weil sich jemand übermässig verschuldet hat und weil gleichzeitig jemand übermässig Kredit verliehen hat. Beide haben Fehler gemacht, die «Schuld» liegt nicht bloss beim Schuldner.

Gibt es historische Beispiele für gelungene Schuldenrestrukturierungen?
Ja, Lateinamerika in den Achtzigerjahren. Die dortige Krise brach mit dem Default von Mexiko 1982 aus. Während Jahren sträubten sich die US-Grossbanken gegen die Abschreibung ihrer Guthaben, deshalb schwelte die Krise bis 1989 weiter. Erst mit der Einführung der Brady-Bonds gelang eine Restrukturierung, und die lateinamerikanischen Staaten konnten der Schuldenfalle entkommen. Frankreich beging in den Dreissigern den Fehler, von Deutschland zu lange eine Begleichung der Schulden zu verlangen. Ist der Gläubiger zu stur, verlieren am Ende beide.

Lord Adair Turner, der ehemalige Vorsitzende der englischen Bankenaufsicht, bringt das Instrument der Schuldenmonetarisierung ins Spiel: Die Zentralbank könnte einfach die Schulden «ihres» Staates aufkaufen und sie für immer in ihrer Bilanz halten. Geht das?
Theoretisch hat die Idee ihren Reiz. Es handelt sich dabei um das Konzept des «Helikopter-Geldes», das der US-Ökonom Milton Friedman 1948 propagiert hat: Die Zentralbank druckt reines Geld. Ich habe bloss Angst davor, diese Büchse der Pandora (PNDORA 503.5 1.41%) in die Hände von Politikern zu geben. Die Versuchung wäre gross, es immer wieder zu tun.

Wenn Sie die Schuldendynamik in der Weltwirtschaft heute betrachten: Wo sehen Sie die grössten Gefahren?
In der angelsächsischen Welt bereiten mir besonders Australien und Kanada Sorgen: Staaten, die keine Finanzkrise erlebt haben, in den letzten Jahren aber einen enormen Schuldenaufbau im privaten Haushaltssektor verzeichneten. In China ist die Verschuldung der Unternehmen nach 2008 explodiert, das wird irgendwann in den kommenden Jahren zu einem Riesenproblem. Am alarmierendsten ist jedoch die Eurozone: Dort ist momentan die Gefahr einer deflationären Schuldenspirale am grössten.

Schuldenüberhang wird die Finanzmärkte über Jahre prägenHauptgrund für die Finanzkrise von 2008 war ein exzessiver privater Schuldenaufbau in den Boomjahren. Dieses Problem ist nicht gelöst; der Abbau des Schuldenbergs wird noch Jahre beanspruchen. Lesen Sie hier den Bericht von FuW-Chefredaktor Mark Dittli.

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