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18:25 Uhr - 04.12.2015

«Wir arbeiten an bilateralen Verbesserungen»

Jacques de Watteville, der Leiter des SIF, über das Ziel, den Zugang der Schweizer Finanzindustrie zu den europäischen Märkten zu verbessern.

Staatssekretär Jacques de Watteville, der Chef des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF), sieht zahlreiche Herausforderungen bei der Umsetzung globaler Standards.

Herr de Watteville, der Ständerat hat diese Woche die Vorlage zum automatischen Informationsaustausch in Steuersachen (AIA) verabschiedet. Wie geht es weiter?
Für die Schweiz ist es wichtig, dass es nur einen globalen Standard gibt. Dafür haben wir mit Erfolg gekämpft, die wichtigen Parameter sind in den OECD-Standards für den AIA enthalten. Jetzt geht es um die Umsetzung in die Praxis. Insbesondere müssen beim Monitoring für alle Finanzplätze die gleichen Kriterien angewandt werden.

Nicht alle Länder handhaben die Umsetzung gleich. Die USA fahren einen Sonderzug. Die gleich langen Spiesse sind also noch in weiter Ferne…
Auch die USA haben sich dazu verpflichtet, den AIA-Standard umzusetzen. Unser Ziel ist, dass die USA den OECD-Standard ebenfalls voll umsetzen und die gleichen Informationen zustellen, wie sie das von ihren Partnerstaaten verlangen.

Gibt es auch Fortschritte bezüglich dem Marktzugang für Finanzdienstleister?
Wenn wir ein Land kontaktieren und mit ihm über den AIA und den Marktzugang verhandeln wollen, wird am Anfang meistens zurückhaltend reagiert. Es wird argumentiert, der AIA sei ein internationaler Standard und für die Umsetzung von Standards gebe es keine Gegenleistungen. Aber wir haben trotzdem Fortschritte erzielt beim Marktzugang. AIA-Abkommen haben wir bisher mit der Europäischen Union und Australien abgeschlossen, mit anderen Staaten führen wir Gespräche.

Welches sind die nächsten Staaten?
Es laufen derzeit Gespräche mit verschiedenen Staaten, u.a. aus Europa und G20.

Was sind die Auswahlkriterien?
Priorität haben die wichtigsten Wirtschaftspartner. Zudem müssen es Staaten sein, die eine Rechtsordnung und ähnliche Vertraulichkeitsbestimmungen in Steuersachen haben wie die Schweiz. Sie sollten insbesondere auch akzeptable Verfahren anbieten für alle Steuerpflichtigen, die sich regularisieren wollen. All diese Punkte sind wichtig bei der Auswahl weiterer Länder.

Hauptziel ist doch der Marktzugang?
Zu unserer Verhandlungsstrategie gehört der grenzüberschreitende Marktzugang, er ist für die Schweiz sehr wichtig. Da haben wir erste Erfolge erzielt. Mit Deutschland haben wir bilateral eine Lösung gefunden. Mit anderen wichtigen europäischen Ländern arbeiten wir an bilateralen Verbesserungen. Fortschritte haben wir auch in Bezug auf die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Schweizer Regulierung durch die EU gemacht, etwa im Bereich der Versicherungen. Schliesslich prüfen wir die Möglichkeit eines Abkommens über Finanzdienstleistungen. Wir konnten dazu mit der EU-Kommission erste exploratorische Gespräche aufnehmen. Allerdings sind diese dann wegen der bekannten Probleme mit der Personenfreizügigkeit suspendiert worden.

Wie sieht es in der Frage der Vergangenheitsbewältigung mit einzelnen Ländern aus, etwa mit Griechenland?
Das italienische Selbstanzeigeprogramm scheint ein Erfolg zu sein. Gegenüber Griechenland haben wir unsere Bereitschaft signalisiert, zu kooperieren. In den USA sind wichtige Schritte erfolgt: Über sechzig Banken haben eine Vereinbarung über einen Verzicht auf Strafverfolgung mit dem Justizministerium abgeschlossen.

Derzeit läuft ein Peer Review Prozess im Global Forum. Wird die Schweiz bestehen?
Eine vorteilhafte Benotung ist wichtig für die Reputation der Schweiz und des Schweizer Finanzplatzes. Wir konnten von Phase eins zu Phase zwei fortschreiten, das war ein Erfolg. Phase zwei ist nun in Gang. Geprüft wird die Umsetzung der Amtshilfe durch die Schweiz in der Praxis. Wir sind nicht in allen Bereichen im hundertprozentigen Einklang mit den internationalen Standards. Wir kennen eine andere Praxis bei der Behandlung gestohlener Daten und bei den Inhaberaktien. Die Transparenz bei Inhaberaktien gehört hier zu den Bedingungen, welche die Schweiz jetzt erfüllt. Aber die Verletzung dieser Vorgabe steht nicht unter Strafe in der Schweiz. Jedes Land im Global Forum kann bei der Benotung mitreden.

Liechtenstein bekam aufgrund der Peer Review des Global Forums das Prädikat «Largely Compliant», obwohl das Land ähnliche Vorbehalte bei der Amtshilfe aufgrund gestohlener Daten hat wie die Schweiz.
Liechtenstein kann man nicht mit der Schweiz vergleichen. Wir sind der führende Offshore-Finanzplatz mit einem Marktanteil von zirka 25%. Das hat zur Folge, dass die Schweiz in den letzten Jahren durchschnittlich 1500 Anfragen pro Jahr für Steueramtshilfe erhielt. Liechtenstein erhielt massiv weniger. Die Evaluation des Global Forums konzentriert sich leider nicht auf die vielen Fälle, die problemlos abgewickelt werden, sondern auf die anderen, von denen es bei dieser hohen Anzahl Fälle auch welche gibt.

Geht es vor allem um Indien bei dieser hohen Anzahl an Anfragen?
Nicht nur. Wir haben dieses Jahr viele Anfragen von Frankreich erledigt. Von Frankreich gingen die HSBC-Daten kürzlich an über 30 Länder. Wir hatten über die letzten Jahre rund 600 Anfragen aus Indien.

Zur Person Der 1951 in Lausanne geborene Jacques de Watteville studierte in Lausanne Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Er arbeitete als Delegierter des Roten Kreuzes im Libanon und als Praktikant in einer Anwaltskanzlei, bevor er 1882 in den diplomatischen Dienst eintrat. 1988 bis 1992 war er in Brüssel erster Sekretär der Schweizer Mission bei der EU. Darauf folgte seine Versetzung als Botschaftsrat nach London, dann vier Jahre als Botschafter in Syrien. Später ging es wieder nach Brüssel, dieses Mal als Chef der Schweizer Mission bei der EU. 2012 wurde er Botschafter in Peking, und 2013 erhielt er die Berufung zum Staatssekretär ins Finanzdepartement. Seit August 2015 amtiert er zusätzlich als Chefunterhändler gegenüber der EU.

Um sich mit dem Wirtschaftspartner Indien gut zu stellen, gewähren wir Amtshilfe auf Basis gestohlener Bankdaten?
Von den 600 indischen Personen, deren Namen auf der Daten-CD standen, waren viele gar nicht in Indien steuerpflichtig, hatten ihre Steuerangelegenheit bereits bereinigt oder die Steuerschuld war gemäss indischem Recht verjährt. Für die effektiven Fälle haben wir die indische Seite ermuntert, eigene Abklärungen vorzunehmen und auf dieser Basis Amtshilfeersuchen zu stellen, was sie im März teilweise auch getan hat. Das Verhältnis mit Indien ist viel besser geworden.

Wie viele der dreissig Länder haben schon Anfragen gestellt?
Wir haben eine Gesetzesanpassung vorgeschlagen, über die wir eine Vernehmlassung durchgeführt haben, die nun zu Ende geht. Die darin vorgeschlagene Änderung erlaubt, mit jenen Ländern zu kooperieren, die die Daten nicht gestohlen, sondern legal erhalten haben. Wenn der AIA 2017 in Kraft treten wird, wird dieses Thema deutlich an Bedeutung verlieren.

Stichwort Kooperation: Kooperieren muss die Schweiz auch in Bezug auf Neuerungen in der Unternehmensbesteuerung, wo unter dem Titel BEPS (Base Erosion and Profit Shifting) unsere Vorteile im Standortwettbewerb erodiert werden.
Globale Standards sind auch eine Chance. Sie führen zu gleich langen Spiessen und können zu einer erhöhten Rechtssicherheit führen. Zentral ist aber, dass für alle die gleichen Regeln gelten und alle sie umzusetzen haben. Ausserdem darf der Steuerwettbewerb nicht in Frage gestellt werden. Insbesondere müssen die Staaten auch weiterhin frei sein, wie hoch sie die Steuersätze ansetzen.

Aber ausländische Konzerne dürften der Schweiz vermehrt den Rücken kehren.
Nicht unbedingt. Mit der Umsetzung der BEPS-Massnahmen werden internationale Firmen ihre Strukturen bereinigen und möglicherweise wieder vermehrt Substanz in die Schweiz verlegen. Dank der Massnahmen in der USR III (Patentbox und Begünstigung von Forschung) bleibt die Wettbewerbsfähigkeit erhalten.

Es läuft alles auf eine Einschränkung des Steuerwettbewerbs hinaus.
Ein Ziel von BEPS ist es, zu verhindern, dass Firmen nirgends Steuern zahlen, denn das ist missbräuchlich. Aber jedes Land soll seine Steuersätze selber festlegen können. Unsere Unternehmensbesteuerung sollte mit der Reform auf rund 15% kommen, was sehr kompetitiv ist.

Die nächste Runde kommt bestimmt, dann wird es um die Steuersätze gehen.
Das ist eine Gefahr, die grossen Staaten drängen in diese Richtung. Aber wir kämpfen und haben auch Erfolg.

Beim Austausch von Steuer-Rulings gibt es einen OECD-Standard, aber die EU wird einen eigenen Standard haben?
Für uns ist der OECD-Standard relevant. Wir werden ihn umsetzen, sobald wir die rechtliche Grundlage dafür geschaffen haben. Man muss nicht immer nach Europa schauen. Die Schweiz wird im kommenden Jahr erneut an den Treffen der Finanzminister und Zentralbankgouverneure der G20 teilnehmen. Die chinesischen Behörden haben uns eingeladen. Diese Plattform bietet eine gute Gelegenheit, Kontakte zu vertiefen und die Beziehungen zu China weiter auszubauen.

Interview: Monica Hegglin und Peter Morf

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