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10:24 Uhr - 27.01.2016

«Ende Jahr notiert der S&P 500 bei 2100»

David Kostin, Chef-US-Aktienstratege von Goldman Sachs, ist im Interview mit der «Finanz und Wirtschaft» trotz Turbulenzen optimistisch für US-Aktien und erwartet 2016 einen Kursgewinn von rund 11%.

Zur PersonSeit 2004 ist David Kostin Chef-US-Aktienstratege von Goldman Sachs. Er ist seit über zwanzig Jahren für das US-Wertschriftenhaus tätig und wurde 1998 zum Managing Director und 2010 zum Partner befördert. Vorher arbeitete der einflussreiche Stratege als Research-Analyst und deckte während 17 Jahren den Immobiliensektor ab. Bevor er zu Goldman Sachs wechselte, stand er von 1986 bis 1994 im Dienst von Salomon Brothers. David Kostin schloss sein Studium der angewandten Mathematik mit dem Bachelor of Science an der renommierten Brown University ab.Seit Jahresbeginn hat der US-Leitindex S&P 500 (SP500 1903.63 1.41%) rund 8% eingebüsst. Die jüngsten Wirtschaftsdaten, insbesondere aus der Industrie, vermitteln den Eindruck einer sich abkühlenden US-Konjunktur. Trotzdem glaubt David Kostin, Chef-US-Aktienstratege von Goldman Sachs (GS 154.45 2.2%), nicht an das Ende des Bullenmarkts: Sobald die Unternehmen ihre Aktienrückkäufe wieder aufnehmen können, dürften sich die Börsen erholen.

Herr Kostin, viele Aktien haben heftig korrigiert. Droht der US-Börse ein Bärenmarkt?
Nein, das denke ich nicht. Ich erwarte, dass sich die Aktienmärkte erholen werden, und sehe den S&P 500 bis Ende Jahr bei 2100 Punkten. Im Vergleich zum Stand von Ende 2015, als der Index bei 2044 notierte, ist das ein Zuwachs von knapp 3%. Inklusive Dividenden resultiert eine bescheidene Gesamtrendite von 5%. Nun hat das Jahr mit einem Paukenschlag begonnen, und die Börsen sind rund 8% gefallen, was den erwarteten Kursanstieg bis Ende Jahr entsprechend erhöht hat.

Woher könnten positive Impulse kommen?
In den vergangenen Jahren waren die Aktienrückkäufe der Unternehmen ein entscheidender Treiber für die Märkte. Sie waren die dominierende Nachfragequelle für US-Aktien. Viel wichtiger als internationale Anleger, Aktienfonds, Kleinanleger, Hedge Funds oder Pensionskassen.

Weshalb ist das wichtig?
Immer wenn die Wirtschaft negativ überraschte und die Investoren nervös wurden, die Firmen aber keine Aktien zurückkaufen konnten, fehlte dem Markt eine wichtige Stütze – er geriet unter Druck. Dieses Muster liess sich wiederholt beobachten, z. B. als die ersten Sorgen über Griechenland aufkamen oder als Russland auf der Krim einmarschierte. Die jetzige Situation ist vergleichbar: Die Konjunkturzahlen enttäuschen, und US-Unternehmen ist es untersagt, in den Wochen vor der Berichtssaison eigene Aktien zurückzukaufen. Die Kombination von schlechten Wirtschaftszahlen und fehlender Unterstützung durch Aktienrückkäufe führte zum Börseneinbruch.

Wann ist diese Phase vorbei?
Wenn sich die Berichtssaison ihrem Ende nähert. Um den 5. Februar werden, gemessen an der Marktkapitalisierung, rund 75% der S&P-500-Unternehmen ihre Zahlen präsentiert haben und ihre Rückkäufe wieder aufnehmen können. Dann spätestens erwarte ich, dass der Markt wieder nach oben tendiert.

Stellen steigende Finanzierungskosten kein Risiko für die Aktienrückkäufe dar?
Bei den Hochzinsanleihen sind die rohstoffabhängigen Sektoren Energie und Grundstoffe prominent vertreten. Sie kamen durch den niedrigen Ölpreis gewaltig unter Druck. Es gibt also eine direkte Erklärung, weshalb die Hochzinsrenditen so stark angestiegen sind. Bei Aktien ist die Ausgangslage anders: Der Gewinnbeitrag der Energieunternehmen zum Gesamtmarkt ist unglaublich klein. Zum für 2016 geschätzten Gewinn von 117 $ für den S&P 500 trägt Energie lediglich 3 $ bei. Die Bedeutung der Energiekonzerne für den Aktienmarkt ist also viel geringer als für den Kreditmarkt. Darum wird sich die Schwäche im Hochzinssegment nicht direkt auf den Aktienmarkt übertragen. Zudem hat das Gros der Unternehmen diese Buybacks nicht mit zusätzlichen Schulden finanziert, sondern durch operative Cashflows.

Höhere Zinsen sind Gift für die Margen.
Die Margen sind mit knapp unter 9% tatsächlich sehr hoch. Das Luxusproblem der Gesellschaften besteht nun darin, ihre Gewinne sinnvoll zu verwenden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Investitionen in Forschung und Entwicklung, Produktionskapazitäten ausweiten, etc. Die Kapazitätsauslastung der US-Wirtschaft entspricht mit rund 80% dem Vierzigjahredurchschnitt. Die Investitionen bewegen sich also auf einem adäquaten Niveau. Eine Zunahme würde bloss die Auslastung verringern und die Margen schmälern.

Was wären weitere Optionen?
Die Manager könnten Fusionen und Übernahmen tätigen, Dividenden auszahlen oder eigene Aktien zurückkaufen. Wir erwarten, dass die Dividenden in diesem Jahr um insgesamt 7% wachsen werden. Die Rückkäufe dürften 2016 im selben Ausmass auf rund 610 Mrd. $ steigen.

Machen Sie sich keine Sorgen über die hohe Verschuldung vieler Unternehmen?
Gemessen an den Nettoschulden relativ zum Betriebsgewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisationen ist die Verschuldung der Unternehmen tatsächlich auf ein Dekadenhöchst geklettert. Die Bilanzqualität hat sich also tendenziell verschlechtert. Anderseits ist der Schuldendienstdeckungsgrad der Firmen, also die Fähigkeit, Zins- und Tilgungszahlungen zu leisten, ziemlich solide.

Was bedeutet das für die Anlagestrategie?
Im jetzigen Umfeld sollten Anleger Unternehmen mit soliden gegenüber solchen mit schwachen Bilanzen bevorzugen. In den vergangenen vier Jahren zeigten Portfoliomanager und Investoren eine deutliche Präferenz für Unternehmen mit geringer Bilanzqualität. Die Idee dahinter war, dass diese am meisten vom Niedrigzinsumfeld profitieren würden. Firmen mit solider Bilanz nahmen in bescheidenerem Umfang zusätzliches Kapital auf.  

Weshalb sollte sich das Blatt nun wenden?
Inzwischen befinden wir uns in einem anderen Regime. Die US-Notenbank Fed hat einen neuen Zinserhöhungszyklus eingeläutet. Nun dürften Unternehmen mit robusten Bilanzen besser abschneiden als solche mit hoher Verschuldung – deren Kosten mit steigenden Zinsen ja stärker zunehmen. Dieser Trend begann gegen Ende des letzten Jahres und setzt sich bislang auch 2016 fort. Angesichts der restriktiver werdenden Finanzierungskonditionen dürfte diese Tendenz anhalten.

Ergibt sich daraus eine Sektorpräferenz?
Ich bevorzuge es, in «Faktoren» zu denken. Sie finden nämlich in allen Sektoren Unternehmen mit soliden Bilanzen. Wenn wir uns also in jedem Sektor auf die Unternehmen mit den besten Bilanzen fokussieren, ist das eine ausgezeichnete Strategie in einem Umfeld, in dem sich die Finanzierungsbedingungen verschlechtern.

Gibt es weitere wichtige Faktoren?
Wir bevorzugen Unternehmen mit den folgenden drei Charakteristika: steigende Margen – was bei den aktuell rekordhohen Niveaus äusserst selten ist –, einen möglichst hohen Umsatzanteil in den USA und, wie bereits erwähnt, solide Bilanzen.

Welche Unternehmen gehören dazu?
Der Kreditkartenanbieter Visa verfügt beispielsweise über eine starke Bilanz und dürfte in der Lage sein, seine Margen in den kommenden zwei Jahren auszuweiten. Alphabet (GOOGL 733.79 0.02%), sprich Google, erfüllt ebenfalls zwei der drei Kriterien – Bilanzqualität und Margenentwicklung. Starbucks (SBUX 58.61 1.56%) schafft es auch in die Auswahl. Der Pharmakonzern Bristol-Myers (BMY 62.69 -0.37%) und die Biotechnologiefirma Amgen (AMGN 153.78 0.23%) dürften ebenfalls höhere Margen erzielen. Dabei ist anzumerken, dass Unternehmen, die alle drei Attribute aufweisen, sehr selten sind.

Sie sind zuversichtlich für die Börse, obwohl Konjunktur und Bewertung wenig ermutigend sind.
In Punkto Bewertungen stimme ich Ihnen zu. Wie auch immer Sie den US-Aktienmarkt bewerten, er ist nicht mehr billig. Deshalb rechne ich auch damit, dass sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Gesamtmarkts in den kommenden Jahren – nicht zuletzt wegen der steigenden Zinsen – stetig verringern wird. Es wird also eine Bewertungskompression stattfinden. Da aber gleichzeitig die Gewinne steigen, resultiert am Ende eine leicht positive Jahresrendite auf der Ebene des S&P 500.

Trotz der sich abkühlenden Konjunktur?
Es hilft, sich die US-Wirtschaft in zwei Teilen vorzustellen: auf der einen Seite haben wir die schwächelnde Industrie. Sie befindet sich gar in einer leichten Kontraktion, wie der Industrie-Einkaufsmanagerindex belegt. Das ist zu einem Grossteil dem Energiesektor zuzuschreiben, der unter dem Ölpreiszerfall leidet. Er führte zu einem Rückgang der Investitionen der Energiemultis, was auch andere Sektoren wie Grundstoffe und Industrie in Mitleidenschaft zog. Die Nachfrageschwäche der Schwellenländer hatte ebenfalls einen starken Einfluss. Dieser Teil der Wirtschaft ist also in schlechter Verfassung.

Wie steht es um den Dienstleistungssektor?
Die Wirtschaft wird zu zwei Dritteln vom Konsumenten getragen, der immer noch in guter Verfassung ist. 2015 wurden monatlich im Schnitt 220 000 Stellen geschaffen. Übers Jahr waren es 2,65 Mio. Jobs. Die Löhne steigen ebenfalls – im vergangenen Jahr um rund 2,5%. Das ist der stärkste Anstieg seit fünf Jahren. Wir haben also eine zunehmende Beschäftigung und weniger Arbeitslose. Die Wirtschaft ist in anständiger Verfassung. Gut genug, dass die Arbeitslosigkeit weiter fällt.

Und dass das Fed die Zinsen weiter erhöht?
Genau. In diesem Jahr erwarten wir vier Zinsschritte. Wir beobachten eine gewisse Inflation bei Immobilienpreisen und Gesundheitskosten sowie erste Anzeichen steigenden Lohndrucks. Deshalb wird die Notenbank die Leitzinsen anheben.

Befürchten Sie kein Überschwappen der Industrieschwäche zu den Dienstleistungen?
Während die Industrie an der Börse ein grösseres Gewicht hat, ist ihr Anteil an der gesamten US-Wirtschaft relativ klein. Die negativen Effekte des niedrigen Ölpreises dürften primär auf regionaler Ebene – in Texas oder North Dakota – zu spüren sein. Anderseits profitiert die gesamte Wirtschaft vom stark gesunkenen Benzinpreis. Dieser liegt mittlerweile bei weniger als 2 $ pro Gallone, noch vor kurzem kostete sie deutlich über 3 $. Dies ist eine gewaltige Steuerreduktion von 150 Mrd. $.

Was bedeutet das für Ihre Sektorstrategie?
Wir setzen auf Technologie- und Finanztitel, die von steigenden Zinsen profitieren dürften. Bei Energie und vom Energiebereich abhängigen Segmenten – wie z. B. Grundstoffe – raten wir zu einem Untergewicht. Versorger meiden wir ebenfalls, schneiden sie doch bei steigenden Zinsen in der Regel schlecht ab. Bezüglich Basiskonsumgüter sind wir wegen der stolzen Bewertung ebenfalls vorsichtig.

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