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13:20 Uhr - 01.03.2016

«Der Bullenmarkt ist nicht zu Ende»

Daniel Egger, Chief Investment Officer von Maerki Baumann, macht sich antizyklisch für die Aktien UBS und Credit Suisse, für Gold und für Agrarrohstoffe stark.

Herr Egger, wie interpretieren Sie den harschen Kurseinbruch seit Anfang Jahr: Korrektur oder doch Baisse?
Daniell Egger«Katastrophenszenarien für den Bankensektor sind übertrieben.»Betrachtet man den Verlauf des globalen Aktienmarktes, ist der Kurseinbruch seit Jahresbeginn der zweite Teil einer Bewegung, die bereits im Sommer 2015 begonnen hat. Von da bis zum Tief Mitte Februar ging’s ziemlich genau 20% abwärts, was nach gängiger Meinung einem Bärenmarkt entspricht. Gleichzeitig aber hatten wir seit viereinhalb Jahren keine breite und scharfe Korrektur, das Gummiband war sehr gedehnt. Wir bleiben für Aktien mittelfristig positiv gestimmt. Den Kursrückgang werten wir als Korrektur in einem übergeordneten Aufwärtstrend.

Werden sich die Märkte bald stabilisieren?
Kurzfristig hat das Anlegervertrauen deutlich Schaden genommen, weshalb wir für die kommenden Wochen und Monate mit einer volatilen Phase rechnen. Insgesamt dürften sich die Märkte allmählich stabilisieren, gefolgt von einer Aufwärtsbewegung, die aber von jähen Gegenbewegungen unterbrochen wird. Denn die Risiken, von denen es aktuell genügend gibt, sind vielfältig.

Auch eine hohe Volatilität birgt Chancen. Würden Sie dies nutzen, mit Derivaten?
In einzelnen Fällen empfehlen wir risikofähigen Kunden einfache Optionsstrategien wie Short Puts auf attraktive Titel. Dies jedoch nur im Kontext eines bestehenden Portfolios und mit klarem Fokus auf den Fall, dass man die Titel angedient bekommt.

Ist die Zeit schon reif für Zukäufe?
Wir gehen wie gesagt nicht davon aus, dass der Bullenmarkt zu Ende ist. Sicher, die Risiken einer US-Rezession sind in den letzten Wochen gestiegen, die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten haben zugenommen, und die Risikoaufschläge von Hochzinsobligationen haben stark angezogen. Trotzdem stufen wir die Wahrscheinlichkeit eines langfristigen Abwärtstrends als gering ein – einen Vergleich mit 2008 und der zurückliegenden Finanzkrise halten wir nicht für angemessen. Wir empfehlen weiterhin, schrittweise das Aktienengagement zu erhöhen.

Und verkaufen? Offenbar realisieren Anleger immer noch Gewinne. Werden sie auch noch verkaufen, wenn Verluste anfallen?
Prozyklisches Verhalten ist in der Regel weit verbreitet und ist auch jetzt vielerorts zu beobachten. Der entscheidende Erfolgsfaktor von Anlageentscheiden ist jedoch nicht, ob eine Position im Gewinn oder im Verlust liegt, sondern wie die Aussichten sind. Sollten sich die Perspektiven wegen eines Schocks – geopolitisch, währungspolitisch oder makroökonomisch – deutlich eintrüben, wäre eine Neubeurteilung notwendig. Aktuell sehen wir aber trotz des Pessimismus an den Finanzmärkten keine Notwendigkeit dafür.

Zurzeit orientieren sich die Börsen stark am Ölpreis. Jeder Preisrückgang schürt Konjunkturängste. Wie fragil ist das weltwirtschaftliche Gerüst?
Der Ölpreisrutsch ist primär auf das starke Angebotswachstum und die fehlende Bereitschaft wichtiger Opec-Staaten zurückzuführen, ihre Produktion zu drosseln. Von einer konjunkturell bedingt schwindenden Nachfrage kann keine Rede sein, die Ölnachfrage wächst über 1,5% jährlich. Für einzelne rohstoffproduzierende Länder birgt der niedrige Ölpreis zwar enorme Probleme, gleichzeitig profitieren andere Länder – ein Nullsummenspiel. Die Weltwirtschaft ist weniger fragil, als die Entwicklung an den Finanzmärkten in den vergangenen Monaten suggeriert.

Droht in den USA, Sie haben es angesprochen, eine Rezession?
Das Risiko hat in den letzten Wochen sicherlich zugenommen, wenn man beispielsweise die vorlaufenden Einkaufsmanagerindizes betrachtet. Zudem sind sinkende Unternehmensinvestitionen in diesem Jahr sehr wohl möglich, was für sich genommen eine deutliche Gefahr für die Konjunktur darstellt. Schliesslich kam es in den USA seit 1955 in neun von elf Fällen zu einer Rezession, wenn die Unternehmensinvestitionen im Jahresvergleich sanken. Da verbleibt der Konsument als letzte Stütze – hier sehen wir wegen der niedrigen Ölpreise und des allmählich anziehenden Lohnwachstums in den nächsten Quartalen keine Schwäche.

Wie entwickeln sich allgemein die Unternehmensgewinne?
Die Margen besonders von US-Unternehmen sind sehr hoch. In Europa und auch in Japan gibt’s noch Luft nach oben. Sollte sich das nominale Wirtschaftswachstum auch in diesen Regionen erholen, wovon wir ausgehen, darf mit einem ansehnlichen Umsatzzuwachs in den kommenden Jahren gerechnet werden. Gemessen am Shiller-KGV,  auf Basis des inflationsbereinigten mittleren Gewinns der letzten zehn Jahre, sind globale Aktien mehr als eine halbe Standardabweichung günstiger als der 35-Jahre-Durchschnitt.

Was Anleger ebenfalls umtreibt: Haben die Notenbanken noch genügend Vertrauen und Macht, um die Situation zu beruhigen?
Das Arsenal der Notenbanken – Stichwort unorthodoxe Geldpolitik – darf nicht unterschätzt werden. Das «Endspiel», also die Entscheidung, ob die Zentralbanken das Ruder aus der Hand verloren haben oder nicht, wird sich erst in einigen Jahren weisen. Es wird dann der Fall sein, wenn die Inflationsraten auf Niveaus steigen, die zum jetzigen Zeitpunkt kaum jemand für möglich hält. Betrachtet man Tips, inflationsgeschützte US-Staatsanleihen, sind die Inflationserwartungen sehr tief. Aber das muss nicht so bleiben – siehe die robuste Konjunkturentwicklung in den USA.

Um Mehrwert zu erzielen, drängt sich in schwachen Märkten aktives Anlegen auf. Wie gehen Sie vor?
Wir haben zurzeit ein Übergewicht in europäischen und japanischen Aktien, aufgrund des erwarteten Gewinnwachstums in diesen Märkten. Für Schweizer Kunden wird zudem die Schweiz übergewichtet. US-Aktien sind neutral gewichtet, Wallstreet ist relativ gesehen weiterhin überbewertet. In den Schwellenländern sind wir untergewichtet – trotz sehr attraktiver Bewertung möchten wir hier zuerst eine Stabilisierung sehen. Sektorspezifisch investieren wir gegenwärtig fast neutral – mit der Ausnahme von zwei leichten Übergewichten in Energie- und in Goldminentiteln, die wir beide als deutlich unterbewertet betrachten.

Mit Rohstoffen schwimmen Sie gegen den Strom.
Gold (Gold 1232.27 0.01%) betrachten wir als Portfolioversicherung und nicht zuletzt auch als Inflationsschutz. Daneben sehen wir aktuell in Agrarrohstoffen ein attraktives Niveau, um eine mit anderen Anlageklassen wenig korrelierte Position aufzubauen.

Was tun im Fixed-Income-Bereich, bei negativen Zinsen für sichere Staatsanleihen, den hohen Schwankungsrisiken und der Verletzlichkeit von High Yield Bonds?
Von Obligationen mit negativer Rendite würden wir uns fernhalten. High Yields haben wir in den letzten zwei Jahren gemieden, aus der Überzeugung heraus, dass Aktien ein besseres Chancen-Risiko-Verhältnis aufweisen. Angesichts der niedrigen Inflationserwartungen erachten wir inflationsgeschützte Anleihen als attraktiv. Zudem sehen wir bei Schwellenländeranleihen Renditen, die das mit den Papieren verbundene Risiko mehr als wettmachen.

Zurück zu den Aktien, wo auch Titel guter Dividendenzahler wie zum Beispiel Zurich Insurance (ZURN 218.6 0.83%) und Swiss Re (SREN 90.1 -0.06%) arg gerupft wurden. Sticht die Dividende nicht mehr?
Wir betrachten einen gewissen Anteil nachhaltiger Dividendentitel als gute Depotbeimischung. Zurich haben einen «perfekten Sturm» erlebt, der neue CEO sollte eine Stabilisierung bringen. Bei Swiss Re hat der Verzicht auf eine Sonderdividende den einen oder anderen Anleger enttäuscht, wir würden bei fortgesetzter Schwäche zukaufen. Als Aktie mit hoher und stabiler Dividende sehen wir zudem Swisscom (SCMN 498.4 -0.26%).

Wie beurteilen Sie den Gesundheitszustand von Banken und ihren Aktien?
Die starke Underperformance ist sicherlich beunruhigend. Doch Katastrophenszenarien für den Sektor sind übertrieben. Viele Institute sind mit deutlich mehr Kapital ausgestattet als vor der Finanzkrise. Die Bewertung hat auf Preis-Buchwert-Ebene in Europa ein Niveau erreicht, das 75% tiefer liegt als 2007– auf diesem Niveau stufen wir den Sektor trotz des weiterhin schwierigen Umfelds als attraktiv ein. Positionen sollten in Schritten erhöht werden, sollte es nochmals zu Schwäche kommen.

Welche Schweizer Titel mögen Sie generell?
Swatch Group (UHR 350.9 -0.88%) erachten wir auf dem aktuellen Niveau als sehr interessant. Swisscom bleiben ein Stabilisator im Depot, und bei CS und UBS (UBSG 16.1 2.48%) würden wir bei einem neuerlichen Ausverkauf nochmals zugreifen. Die Pharmatitel gehören in jedes Portefeuille, besonders nach dem deutlichen Rückgang der letzten Monate. Unter den Small Caps halten wir Bucher (BUCN 223.5 0.18%) für langfristig sehr interessant.

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