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10:59 Uhr - 07.06.2016

Baloise-CEO: «Wir können die Dividende komfortabel finanzieren»

Gert De Winter, CEO des Versicherungskonzerns Baloise, erläutert im Interview mit FuW, warum der Turnaround in Deutschland gelingt. Dabei kritisiert er die «wesentlich» härteren Vorgaben der Finma.

Baloise (BALN 117.7 -0.34%) ist etwas vom Radar der Investoren verschwunden. Die Aufmerksamkeit hat sich eher zu Helvetia (HELN 524 -0.1%) verschoben, die mit der Übernahme von Nationale Suisse einen grossen Schritt nach vorn gemacht hat. Gert De Winter ist seit fünf Monaten CEO des Basler Versicherungskonzerns. Was er vorhat, sagt er in seinem ersten grossen Interview.

Herr De Winter, wie wollen Sie das Unternehmen durch die Herausforderungen von schwierigem Zinsumfeld, Wettbewerb und Digitalisierung führen?
Am Investorentag im Oktober werden wir nicht den üblichen Dreijahresplan mit harten Finanzzielen präsentieren, sondern eine auf fünf bis sieben Jahre ausgelegte Wirkensstrategie. Da tickt Baloise anders. Ich bin als CEO wohl untypisch.

Mehr zum ThemaBaloise punktet mit wenig spektakulären Stärken. Erfahren Sie mehr im Bericht von FuW-Redaktor Thomas Hengartner.Baloise hat an Profil eingebüsst. Man weiss nicht so recht, wohin sie steuert und woher Wachstum kommen soll. Welchen Kick können Sie reinbringen?
Baloise hat nicht Profil verloren, sondern hat es durch eine stärkere Fokussierung vielmehr geschärft. Wir konzentrieren uns auf die vier Kernmärkte Schweiz, Deutschland, Belgien und Luxemburg. Unsere neue Strategie wird Raum schaffen, damit engagierte Mitarbeiter innovativ agieren. Damit wird eine Dynamik ausgelöst, die vorteilhafte Finanzergebnisse liefert.

Wie wollen Sie dem Unternehmen konkret neues Wachstum erschliessen?
Expansionsfelder sind die Digitalisierung und Kooperationen mit anderen Unternehmen in Bereichen ausserhalb des traditionellen Versicherungsgeschäfts, z. B. Sicherheit und Prävention. Viel erwarte ich mir auch vom Portfolio von ungefähr fünfzehn Pilotprojekten, mit denen wir künftige Kundenbedürfnisse testen, zum Beispiel eine App, mit der das Fahrverhalten junger Autolenker gemessen wird.

Zur PersonGert De Winter (49) ist seit mehr als zehn Jahren für Baloise tätig. Der gut Deutsch sprechende Belgier studierte angewandte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Antwerpen. Von 1988 bis 2004 arbeitete er für Accenture in Brüssel als Analyst, Unternehmensberater, Manager und schliesslich Partner für Fragen zu IT-Management und Geschäftstransformation im Finanzsektor. 2005 trat er als Chief Information Officer der Mercator Versicherungen, Belgien, in die Baloise Group ein. Nach 2009 führte er das gesamte belgische Geschäft des Versicherungskonzerns. Seit Anfang Jahr ist er CEO von Baloise. (AS)Wird Baloise aktiver mit Übernahmen?
Wir schauen uns immer wieder Möglichkeiten für eine Akquisition an. In der Schweiz bewegt sich nach der Übernahme von Nationale Suisse durch Helvetia nicht mehr viel. In Belgien schauen wir uns zwei Opportunitäten an. In Deutschland wird sich in den nächsten zwei, drei Jahren mit den neuen, strengeren Solvenzvorschriften einiges bewegen. Aber in diesem Markt müssen wir zuerst unser Haus in Ordnung bringen.

Apropos Opportunität: Wie nachteilig ist es, dass Baloise im Fall von Nationale Suisse nicht zugegriffen hat? Wurde nicht eine grosse Chance verpasst?
Ich war nicht persönlich am Entscheidungsprozess beteiligt. Am Schluss überschritt der Preis unsere Preislimite.

Wie spüren Sie nun den «neuen», grösseren Mitspieler im Heimmarkt?
Viel hat sich nicht geändert. Der Markt ist gesättigt und konzentriert. Fünf, sechs Versicherungsunternehmen beherrschen 85 bis 90% des Volumens. Die Dienstleistungsqualität steht beim Kampf um die Kunden vor Preiswettbewerb. Die Kunden in der Schweiz sind sehr loyal. Die Mehrsprachigkeit erschwert zudem den Eintritt neuer Konkurrenten.

Die Auslandmärkte sind vergleichsweise unergiebig. Muss Baloise nun zwangsweise in Märkte investieren, in denen gar nicht viel Geld zu verdienen ist?
Sie denken da sicher vor allem an Deutschland. Dieser Markt ist im Vergleich zur Schweiz und zu Luxemburg heterogen, fragmentiert und von härterem Preiswettbewerb geprägt. Doch wir sind überzeugt, dass Baloise in Deutschland das Gleiche erreichen kann wie in den anderen drei Ländern. Die Situation erinnert mich an Belgien vor acht Jahren, als mir als Länderchef auch die Frage gestellt wurde, warum wir in einem solchen Markt investieren.

Inwiefern gibt es Parallelen?
In Belgien gab es drei Phasen. Zuerst Aufräumen und Restrukturierung, dann überdurchschnittliches organisches Wachstum und schliesslich externes Wachstum auf einer stabilen Plattform. Deutschland ist heute am Übergang von der ersten zur zweiten Phase. Das Kostensparprogramm wirkt, die Aufwandquote ist 1,2 Prozentpunkte gesunken. Drei Viertel des geplanten Abbaus von 400 Stellen haben wir hinter uns. In unseren Segmenten wachsen wir. Das sind die guten Nachrichten.

Und die weniger guten?
Das Problem in Deutschland ist die Unausgeglichenheit im Bereich Schadenversicherung. Für unsere Grösse sind wir zu sehr im Industriegeschäft vertreten. Wir sind jetzt selektiver und fördern zudem das Privat- und das Gewerbegeschäft. Diese Verlagerung braucht zwei, drei Jahre. Dann werden wir in Deutschland ein mit den anderen drei Märkten vergleichbares, stabiles Ergebnis erzielen.

Wie viel Mehrertrag lässt sich in Deutschland denn herausholen?
Zielgrösse sind 100 Mio. Fr. Betriebsergebnis, gegenüber 65 Mio. Fr. 2015. Ob es dann 80 oder 120 Mio. sind, ist für mich weniger wichtig, aber es soll stabil sein. Danach peilen wir auch Übernahmen an. Im Moment haben wir in Deutschland noch keine stabile Plattform.

Baloise braucht Zeit in Deutschland, bis die Rendite stimmt. In der Schweiz sieht es nach einer Stagnation auf hohem Niveau aus. Der Zinsertrag bleibt gedrückt. Droht eine Gewinnstagnation?
Wir haben ein nachhaltiges Ergebnis in der Schweiz, in Belgien und Luxemburg – und ein Steigerungspotenzial in Deutschland, das das niedrigere Zinsergebnis auffängt.

Lässt sich die für 2015 stabil gehaltene Dividende ebenfalls so deuten, dass auf der Gewinnseite vorderhand kaum Potenzial vorhanden ist?
Baloise hatte 2013 und 2014 die Dividende zwei Mal erhöht. Die zuletzt bezahlte Dividende entspricht 4% Rendite. Zudem kaufen wir Aktien zurück, was für die Anleger gesamthaft rund 5% ergibt. Unsere Politik lautet, die Dividende stets mindestens zu halten. Wir erhöhen sie nur, wenn wir absolut sicher sind, dass sie von Dauer ist.

Baloise will jährlich 8 bis 12% Eigenkapitalrendite erreichen. Wie realistisch ist das, wenn Negativ- oder Nullrenditen am Anleihenmarkt herrschen?
Ich frage mich schon, wie weit eine absolute Vorgabe der Eigenkapitalrendite von 8, 9 oder 10% noch sinnvoll ist – gerade auch, weil das bilanzierte Eigenkapital von Zinsniveauverschiebungen massgeblich beeinflusst wird. Relevanter als die Kapitalrendite ist Cash. Nur der Geldfluss ist echt. Auch die Anleger wollen doch in erster Linie wissen, wie zuverlässig das Unternehmen die Dividendenzahlung aus dem Betrieb zu finanzieren versteht.

Wie gewiss ist, dass Baloise auch künftig die Jahresausschüttung mit dem operativen Geschäft einbringt?
Der Bereich Schadenversicherung wirft seit Jahren eine substanzielle Gewinnmarge ab. Rund 75% des operativen Geldflusses stammen aus diesem Bereich. In der Lebensversicherung ist das Ausschüttungspotenzial wegen der niedrigen Marktzinsen gegenwärtig limitiert. Insgesamt kann unsere attraktive Dividende von 5 Fr. pro Aktie komfortabel aus dem operativen Cashflow finanziert werden.

Müsste nicht deutlich mehr drinliegen, da doch der Turnaround des Deutschlandgeschäfts bevorsteht?
Der Kostenblock wird mit der Reorganisation dort zunehmend leichter. Das wird sich günstig im Gewinn niederschlagen. Doch der Wettbewerb ist intensiv. Da lässt sich auf neuen Kontrakten nicht so leicht mehr Marge einkalkulieren. Den kombinierten Schaden-Kosten-Satz wesentlich stärker zu drücken, ist wegen des Wettbewerbs- und des Zinsumfelds schwierig.

Fühlen Sie sich davon benachteiligt, dass Versicherer aus EU-Ländern wegen des neuen Solvenz-II-Regimes leichtere Kapitalauflagen haben?
Europa hat seit diesem Jahr zwar einen neuen Standard, doch die Auflagen sind in Belgien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden höchst unterschiedlich. Die Vorgaben der Schweizer Aufsicht sind erheblich härter. Hier beaufsichtigte Unternehmen müssen für das Lebensversicherungsgeschäft in europäischen Ländern 50 bis 100% mehr Eigenkapital halten als die dortigen Konkurrenten. Der Wettbewerbsnachteil ist enorm.

Fordern Sie von der Finanzmarktaufsicht eine Angleichung an das EU-Regime?
Ich habe Verständnis dafür, dass am Finanzplatz Schweiz besonders strenge Regeln gelten. Dennoch dürfen die Auflagen nicht wesentlich weiter gehen als in den umliegenden Ländern, sonst werden Unternehmen und Arbeitsplätze gefährdet. Ich bin optimistisch, dass der intensive Dialog des Versicherungsverbands mit Behörden und der Politik vernünftige Lösungen ermöglicht.

Bislang sind unternehmensspezifische Solvenzmodelle gefördert worden, nun verlangt die Finma plötzlich von allen Versicherern den Gebrauch des Standardmodells. Weshalb ist es schiefgelaufen?
In der Schweiz stehen rund siebzig individuelle Solvenzmodelle im Bewilligungsverfahren der Finma. In Deutschland erlaubt die dortige Finanzmarktaufsicht die Wahl unter lediglich sieben Berechnungsmodellen. Deshalb verstehe ich, dass sich die Finma nicht weiter verzetteln will.

Wie geht es nun weiter?
Natürlich sind wir und die anderen Versicherungsunternehmen frustriert, weil die lange und teure Vorarbeit für ein unternehmenseigenes Solvenzmodell vergebens scheint. Für den Geschäftsteil KMU-Vorsorgelösungen steht noch nicht einmal ein Standardmodell zur Verfügung. Die Finma ist nun bereit, zusammen mit Kollektivlebensversicherern ein passendes Bewertungsmodell zu entwickeln. Das ist immerhin eine Chance für die Branche.

Was halten Sie vom hiesigen System der Altersfinanzierung?
Mir fällt auf, dass die Schweiz für nötige Veränderungen des Vorsorgesystems sehr viel mehr Zeit als andere europäische Länder benötigt. Das widerspricht dem Image, das dieses Land hat. In Belgien und weiteren Ländern ist zwar auch hitzig über die demografischen Trends diskutiert worden, dennoch wurde am Schluss das Pensionierungsalter von 65 auf 67 Jahre geschoben. Wenn andere das können, sollte es der Schweiz auch gelingen.

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