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08:30 Uhr - 24.02.2022

Nach dem Zinsdämpfer folgt der Ukraineschock

In der letzten Ukrainekrise 2014 nahmen die globalen Aktienmärkte kaum Schaden. Was diesmal anders ist und wie man das Portfolio gegen eine Eskalation schützen kann.

 Auf einen Schlag ist die Geopolitik auch für die Finanzmärkte wieder ein brennendes Thema, nachdem sich in den Wochen zuvor fast alles um die Inflation und die straffere Geldpolitik gedreht hat.

Die Meldung, wonach westliche Geheimdienste eine russische Invasion in der Ukraine in den kommenden Tagen für möglich halten, hat viele Anleger auf dem falschen Fuss erwischt. Sie hatten den Konflikt nicht mehr auf dem Radar. In einer Umfrage der Deutschen Bank waren nur 7% der Investoren der Ansicht, dass die angespannte Situation in Osteuropa in den kommenden Monaten einen grösseren Einfluss auf die Märkte haben würde. In der aktuellsten Fondsmanager-Survey von BofA nannten die Profis bei den grössten Risiken die Ukrainekrise erst an fünfter Stelle.

Umso heftiger sind die Reaktionen auf die jüngste Eskalation ausgefallen. Nach dem Wochenende eröffneten die europäischen Aktienmärkte zwischen 2 und 4% tiefer, und Öl-Futures kletterten auf über 96 $ (Brent) und 95 $ (WTI (WBS 92.53 +0.89%)) pro Fass. Am stärksten korrigierten russische Vermögenswerte. Die Moskauer Börsenindex RTS büsste zwischen Donnerstag und Montagmorgen 10% ein. Russische Anleihen sind ebenfalls eingebrochen und die Risikoprämien auf ein Fünfjahreshoch geschossen.

Gesucht waren für einmal sichere Häfen wie US-Staatsanleihen, Gold und krisenfeste Währungen. Der Franken, der Yen und der Dollar haben sich gegenüber dem Euro aufgewertet, die Renditen zehnjähriger Treasuries sackten von über 2 auf 1,9% ab, und Gold erreichte bei 1860 $ den höchsten Preis seit November.

Am Dienstag hat sich die Situation wieder etwas beruhigt. Russische Aktien haben den Einbruch zum Teil wieder wettgemacht.

Wie es nun weitergeht, kann niemand voraussagen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Vernunft obsiegt und ironische Aussagen, wie sie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj – ein ehemaliger Kabarettist –  bezüglich Datum der Invasion gemacht hat, nicht missverstanden werden.

Krimkrise als Blaupause

Was an den Märkten passiert, wenn Russland tatsächlich in der Ukraine einmarschiert und Teile das Landes besetzt, ist schwierig abzuschätzen. Geopolitische Schocks haben an den Märkten eine kurze Halbwertszeit, wie historische Beispiele zeigen.

Auch der Georgienkrieg 2008 und die letzte Ukrainekrise 2014 zeigten, dass Konflikte mit russischer Beteiligung und westliche Sanktionen in erster Linie russische Vermögenswerte in Mitleidenschaft ziehen, aber den Rest der globalen Finanzmärkte höchstens kurzfristig tangieren. Das sei die Hauptlektion aus vergangenen Episoden, heisst es in einer UBS-Studie dazu.

Als die Weltöffentlichkeit im Februar 2014 von der Invasion der Russen auf der ukrainischen Halbinsel Krim erfuhr, brachen die europäischen Aktienmärkte zwar erst rund 3% ein. Der Dax verzeichnete den grössten Tagesverlust seit der Eurokrise und erreichte Mitte März einen neuen Jahrestiefpunkt. Doch schon im Mai war die Kerbe wieder ausgewetzt. Die US-Aktienindizes liessen sich die Eskalation noch weniger anmerken und setzten die Rekordjagd fast ungestört fort (vgl. Grafik).

Mit Ausnahme von Palladium (USDPOOLPALL 2'556.50 +3.19%), dessen globales Angebot von Grossproduzent Russland abhängt, reagierten die Edelmetalle ebenfalls nur kurz auf die Krise, und Gold endete das Jahr sogar leicht tiefer.

Auch als im Juli darauf eine malaysisches Passagierflugzeug über der Ostukraine abgeschossen wurde und die USA und die EU die Sanktionen verschärften, blieben die globalen Finanzmärkte verhältnismässig ruhig.

Die besonnene Reaktion ist nicht irrational, denn Russland ist nicht China. Es mag als Energielieferant für viele europäische Länder von grosser Bedeutung sein, als Absatzmarkt aber weniger.

So vermochte die Ukrainekrise 2014 die Wirtschaftsstimmung in der Währungsunion kaum zu beeinträchtigen. Zwar verlangsamte sich das BIP-Wachstum im zweiten Quartal, aber schon im dritten Quartal drehte es wieder auf.

Seither ist die Bedeutung Russlands als Handelspartner, auch wegen der Sanktionen, nochmals gesunken. Etwa gleich gross geblieben ist Europas Abhängigkeit von russischem Öl und Gas. Fast 40% der Gasimporte und 30% der Ölimporte kommen aus Russland.

Energiepreise sind Übertragungskanal

Die Situation am Energiemarkt ist aber auch das, was die aktuelle Krise von jener 2014 am stärksten unterscheidet. Heute droht in Europa im schlimmsten Falle eine Energieknappheit und der Ölpreis klettert höher und höher. Die explodierenden Energiekosten treiben die Inflation in die Höhe, was den Zentralbanken zunehmend zu schaffen macht. Ganz anders vor acht Jahren: Die EZB plagten Deflationssorgen, und trotz Ukrainekonflikt gerieten die Energiepreise damals zunehmend unter Druck, weil durch den Fracking-Boom viel US-Schieferöl den Markt flutete.

Ein zweiter wesentlicher Unterschied sind die Bewertungen am Aktienmarkt. 2014 waren US-Aktien mit einem durchschnittlichen vorausschauenden Kurs-Gewinn-Verhältnis von 14 noch einigermassen günstig bewertet. Heute beträgt das Index-KGV basierend auf den Gewinnschätzungen über ein Jahr rund 20. Und weil gleichzeitig die Geldpolitik straffer wird, wirken die Börsen anfälliger.

Die Geschichte lehrt zwar, dass geopolitische Wirren keinen langfristigen Effekt auf die Börsen haben, solange sie keine globale Rezession auslösen. Und wenn die Krise von 2014 das Drehbuch ist, dann brauchen sich Anleger nicht zu fürchten. «Doch es besteht das Risiko, dass das Drehbuch von 2014 nicht die richtige Vorlage ist und die aktuelle Krise ein grösseres Ausmass mit schlimmeren Folgen hat», gibt UBS-Stratege Bhanu Baweja zu bedenken.

Für Anatole Kaletsky von Gavekal Research sind es die Energiepreise, die diese Krise für die Märkte gefährlicher machen als andere geopolitische Ereignisse. Er sieht in der aktuellen Situation für die Finanzmärkte nur zwei extreme Ausgangsmöglichkeiten ohne Grautöne. Entweder sie eskaliere weiter und verursache noch höhere Energiepreise, panische Notenbanken, einen Einbruch der meisten Vermögenswerte bis hin zu einer globalen Rezession. Oder aber es komme zu einer friedlichen Lösung, infolge derer die Gaspreise einbrechen, die Inflationssorgen schwinden und die Märkte dank moderater Geldpolitik weiter prosperieren würden.

Für das negative Szenario raten Experten zu Aktien von Erdölkonzernen und Rohstoffen. Auch Palladium dürfte dann teurer werden. Für den ersten Schock kann auch Gold ein Absicherungsinstrument sein, doch fallende Realzinsen und ein stärkerer Dollar könnten dem Edelmetall danach schaden. Zum üblichen Krisenarsenal gehören auch der Franken und der Yen sowie die jüngst verschrienen defensiven Aktien.

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