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17:58 Uhr - 29.06.2015

Credit Suisse: «Für die Griechen wird die Wirtschaftsrealität spürbar»

Die Verschärfung der Negativzinsen in der Schweiz ist für Nannette Hechler-Fayd’herbe, Leiterin Investment Strategy der Credit Suisse, ein mögliches Szenario nach dem Referendum in Griechenland.

Frau Hechler, an den Börsen fallen die Kurse. Gemäss Konsens unter den Strategen wird es aber keinen Crash geben. Sind Sie einverstanden?
Die Reaktionen an den Märkten sind im Rahmen unserer Erwartungen ausgefallen. Es hat eine Flucht in sichere Häfen stattgefunden. Die riskanteren Anlageklassen haben zugunsten von sicheren Anlagen nachgegeben. Aber der Kursrutsch hat sich in Grenzen gehalten. An den Börsen von Asien bis Europa haben die Aktienmärkte zwischen 2,5 und 4,5% verloren. Das ist zwar eine Risk-off-Bewegung, aber die Reaktionen spiegeln kein systemisches Risiko.

Wie geht es weiter?
Die kommenden Tage werden von Unsicherheit geprägt sein. Morgen steht mit der Zahlung an den IWF ein wichtiger Termin an. Der Fokus wird dann auf den Kreditmärkten liegen: Wie reagieren die Kreditmärkte, wenn die Zahlung an den IWF nicht geleistet wird? Wie reagieren die Ratingagenturen darauf? Interessant wird zudem sein, wie Segmente reagieren, die nicht direkt betroffen sind, aber als riskant gelten, etwa sogenannte High Yield Bonds. Die Unsicherheit wird sich weiterziehen bis am 5. Juli, wenn in Griechenland das Referendum stattfindet. Das ist der wirklich wichtige Termin, weil sich dann entscheiden wird, wie sich die Griechen gegenüber dem Kurs der Regierung positionieren.

Wagen Sie eine Prognose?
Ein objektives Kriterium für eine Prognose sind die Umfragen. Im Moment deuten sie darauf hin, dass eine Mehrheit der Griechen klar dafür ist, dass das Land in der Eurozone und in der Währungsunion bleiben soll. Der Ausgang des Referendums könnte aber davon abhängen, welche Frage dem Volk schliesslich vorgelegt wird. Lautet die Frage etwa, ob die Griechen weitere Austeritätsmassnahmen in Kauf nehmen wollen, dann zeigen Umfragewerte, dass derzeit mindesten 30% der Bevölkerung nicht dafür sind. In den nächsten Tagen wird die Politik innerhalb von Griechenland sehr aktiv sein und versuchen, den Wählern aufzuzeigen, was die Konsequenzen der verschiedenen Optionen sind. Für die griechische Bevölkerung wird diese Woche ferner spürbar werden, wie die Wirtschaftsrealität aussehen könnte, wenn sie mit «nein» stimmt. Die Banken sind zunächst für eine Woche geschlossen, die Bürger können kaum noch Geld abheben und die Tourismusindustrie muss unter erschwerten Umständen arbeiten.

Was bedeuten die Entwicklungen für den Franken?
Sobald eine Flucht in sichere Häfen stattfindet, gehört der Franken dazu, genauso wie der Dollar und der Yen. Der Unterschied liegt darin, dass der Franken schon deutlich überbewertet ist und die Folgen davon in der Wirtschaft spürbar sind. Die SNB (SNBN 1240 2.06%) wird eine weitere Überbewertung deshalb verhindern wollen. In den ersten Tagen, wahrscheinlich bis zum Referendum, wird das über verbale Interventionen und Währungsinterventionen geschehen. Ein Wechselkurs von 1.03 Fr./€ dürfte die Schmerzgrenze sein. Die SNB wird wohl verhindern können, dass der Franken unter diese Marke fällt.

Halten Sie eine Verschärfung der Negativzinsen für denkbar?
Das ist ein mögliches Szenario, wenn die Griechen am 5. Juli im Referendum das Geldgeberprogramm ablehnen. Die EZB wird dann möglicherweise ihre Aktivitäten ausdehnen und etwa die Anleihekäufe aufstocken, damit die Zinsen in der europäischen Peripherie niedrig bleiben. In einem solchen Umfeld wird sich der Aufwertungsdruck auf den Franken verstärken. Noch stärkere Negativzinsen sind dann nicht auszuschliessen.

Was raten Sie Anlegern  in diesem Umfeld?
Für einen Anleger, der an den Finanzmärkten noch nicht stark engagiert ist und eine hohe Cash-Position hat, kann diese Situation durchaus eine Kaufgelegenheit sein. Wir gehen davon aus, dass Aktien in den kommenden Monaten in der Tendenz steigen werden, während die Renditen auf Hochqualitätsanleihen um die null bleiben.  Anleger, die bereits investiert sind und sich überlegen, kurzfristig in sichere Häfen zu wechseln, müssen sich hingegen überlegen, was am 5. Juli passieren könnte, wenn sie heute Risikopapiere verkaufen. Denn, sollten die Griechen dem Vorschlag der Gläubiger zustimmen, könnten wir an den Märkten eine markante Gegenbewegung zu heute sehen.

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