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13:49 Uhr - 09.09.2021

EZB verschiebt harte Entscheidungen auf Dezember

Die Euronotenbank will weniger Anleihen im Notprogramm kaufen – aber flexibel bleiben. Die Inflationsrisiken könnten bis zum nächsten Entscheid des EZB-Rates zunehmen.

Die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) werden ihre Anleihenkäufe bis Ende des Jahres nur leicht drosseln. Sie weigern sich aber weiterhin beharrlich, dafür das Wort «Tapering» in den Mund zu nehmen. So nennen Marktteilnehmer eine reguläre Rückführung der Anleihenkäufe von Notenbanken auf Englisch. Die Wachstums- und Inflationsprognosen hat der EZB-Stab bis zum Jahr 2023 nur leicht angehoben.

EZB-Chefin Christine Lagarde nannte es auf der Pressekonferenz nach der Sitzung am Donnerstag eine Neukalibrierung des Pandemienotprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) in den nächsten drei Monaten. Zudem könne die EZB flexibel reagieren und das Tempo wieder erhöhen, wenn es nötig werde.

«Es handelt sich um ein sehr zaghaftes Anzeichen dafür, dass es zu Tapering kommen könnte», schreibt in einem ersten Kommentar Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei ING. Es sei etwas für die Falken, also die Hardliner im Rat aus den Niederlanden, Österreich und Deutschland. Sie hatten in den vergangenen Wochen auf ein schnelleres Ende des Programms gedrängt und auf die Inflationsgefahren verwiesen.

In den offiziellen Worten des EZB-Rats heisst es jetzt in der Erklärung: Die günstigen Finanzierungsbedingungen könnten auch dann aufrechterhalten werden, «wenn der Umfang des Nettoerwerbs von Vermögenswerten im Rahmen des PEPP gegenüber den vorangegangenen beiden Quartalen moderat reduziert wird».

Kursänderung im Dezember

Für Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, ist klar: «Mit ihrer heutigen einstimmigen kleinen Entscheidung hat die EZB die grossen Entscheidungen über eine echte Änderung ihres Kurses auf ihre Dezembersitzung verschoben.» Dann müsse der Rat beschliessen, ob das PEPP über den März 2022 hinaus verlängert werde. Zudem stehe ein Entschluss an, in welchem Umfang das kleine Programm zum Ankauf von öffentlichen Anleihen PSPP (Public Sector Purchase Programme) mit 20 Mrd. € pro Monat aufgestockt und flexibler gestaltet werde.

Seit März kaufte die EZB noch Anleihen von öffentlichen Haushalten und Unternehmen für 80 Mrd. € pro Monat im PEPP. Wahrscheinlich werden es bis Ende 2021 aber weiterhin mehr als die 65 Mrd. € sein, die im Januar und Februar zu Buche standen. Zuvor hatte die Notenbank im Dezember versprochen, die damals günstigen Finanzierungsbedingungen bis zum Ende der Pandemie zu erhalten.

Das höhere Kauftempo hatte der EZB-Rat Anfang März aus einem Grund beschlossen: Der risikofreie Zehnjahreszins (gemessen an den Geldmarktsätzen) war zuvor im Vergleich zum Dezemberniveau um fast 0,15 Prozentpunkte gestiegen – allerdings nach Inflationsausgleich. Heute liegen diese Realzinsen dagegen 0,4 Prozentpunkte unter dem Wert von Ende 2020.

Inflationserwartungen steigen leicht

Die sinkenden Realzinsen dürften auch die gesunkenen Wachstumsaussichten der Anleger für die Weltwirtschaft reflektieren. In den Projektionen des EZB-Stabes für die Eurozone kam dies bisher jedoch noch kaum vor: Für dieses Jahr rechnet er statt mit einem Plus von 4,6% jetzt mit 5,1% Wachstum des Bruttoinlandprodukts, für nächstes Jahr mit 4,6% – das sind 0,1 Prozentpunkte weniger als im Juni. Für 2023 bleibt es bei 2,1%.

In diesem Jahr erwarten die Notenbankökonomen zudem eine Inflationsrate von 2,2%, nachdem sie im Juni noch mit 1,9% gerechnet hatten. Die Vorhersage für 2022 ist von 1,5 auf 1,7% gestiegen und für 2023 von 1,4 auf 1,5%.

Damit ist für den EZB-Rat weiterhin nicht absehbar, dass das Inflationsziel von 2% für mindestens vierzehn Monate erreicht werden könnte. Die Währungshüter hatten dies im Sommer im neuen Ausblick (Forward Guidance) zur Bedingung für steigende Leitzinsen gemacht.

«Die Aufwärtskorrektur der EZB-Inflationsprognosen für den gesamten Prognosehorizont zeigt, dass die Bank begonnen hat, die Inflation anders zu bewerten», sagt ING-Chefvolkswirt Brzeski. So habe Lagarde auf der Pressekonferenz darauf verwiesen, dass der Preisdruck anhaltender sein könnte als bisher angenommen.

In der Tat waren die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer (gemessen an den zehnjährigen Tagesgeldswapsätzen) diese Woche erstmals seit langem auf 1,8% gestiegen und somit dem EZB-Ziel näher gekommen. Die fünfjährigen Terminswapsätze in fünf Jahren signalisieren nur leicht weniger. Lagarde betonte daher, dass der EZB-Rat dies genau beobachten werde.

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