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15:02 Uhr - 01.10.2015

Das Kapital scheut die Schwellenländer

Der Kapitalabfluss aus den einstigen Wachstumsmärkten beschleunigt sich. Gemäss Schätzungen wird der Saldo der Mittelflüsse in die Schwellenländer dieses Jahr zum ersten Mal seit 1988 substanziell negativ sein.

Die Rohstoffbaisse und die Wachstumsschwäche Chinas lasten schwer auf den Emerging Markets. Verschärfend kommt hinzu, dass Investoren nach anderen Anlagemöglichkeiten Ausschau halten, seit sich abzeichnet, dass sich die Nullzinspolitik in den USA allmählich dem Ende zuneigt. Das Resultat ist ein massiver Kapitalabfluss aus den Hochzinsländern und den Wachstumsmärkten zurück in die USA und andere Industrienationen.

Der Bankenverband Institute of International Finance (IIF) schätzt, dass dieses Jahr per saldo Kapital in der Grössenordnung von 540 Mrd. $ aus den Schwellenländern abfliessen wird. Es wäre der erste substanzielle Nettokapitalabfluss seit den Achtzigerjahren.

IIF Flows
Quelle: IIF

Der Kapitalzufluss von ausländischen Investoren (Non-Resident Capital Inflows) werde von 1074 Mrd. im vergangenen Jahr auf rund 550 Mrd. $ fallen (vgl. grüne Balken), während die Inländer über 1000 Mrd. $ im Ausland anlegen dürften (Resident Capital Outflows, vgl. blaue Balken), was die Devisenreserven reduzieren werde.

Der scharfe Rückgang des Kapitalzuflusses weckt Erinnerungen an die Jahre 2008/2009, als im Zuge der Finanzkrise und der Kreditklemme deutlich weniger Investitionen in die Emerging Markets flossen. Im Unterschied zu damals gebe es für den aktuellen Einbruch jedoch eher interne als externe Gründe, hält das Institut fest. Im Mittelpunkt stehen die wirtschaftliche Abkühlung in China und die allgemeine Unsicherheit über die Wachstumsaussichten der Schwellenländer.

Bedrohliche Unternehmensschulden

Die Währungen der Schwellenmärkte haben sich dieses Jahr zum Dollar zwischen 2,3% (Renminbi) und 33% (bras. Real) abgewertet. Die Anleihenrenditen sind gestiegen, und die Aktienmärkte liegen gemessen am MSCI EM 20% im Minus. Der Druck auf die Schwellenmärkte wird laut dem Institut nicht so schnell nachlassen. «Ein Grund für länger anhaltenden Druck auf die Emerging Markets ist die hohe Verschuldung der Unternehmen», sagt IFF-Leiter Hung Tran. Besonders scharf sei der Schuldenanstieg in den Jahren nach der globalen Finanzkrise gewesen, als die Emittenten aus den Schwellenländern die niedrigen Zinsen in Dollar und lokaler Währung ausnutzten.

Schuldenquoten der Emerging Marketszoom Quelle: IIFDie Schulden der Unternehmen (ohne Banken) haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verfünffacht auf rund 24 Bio. $ (in der Grafik rechts: Non-Fin Corporates). Das ist ein Drittel mehr als die Bilanzsumme der sieben grössten Zentralbanken zusammen oder rund 90% des gesamten Bruttoinlandprodukts (BIP) der Schwellenländer. Noch vor fünf Jahren betrug die Schuldenquote zum BIP kaum mehr als 60%. Der Anstieg der Unternehmensschuldenquote geht in erste Linie auf das Konto von Gesellschaften aus dem asiatischen Raum.

Die Staatsschuldenquote (Government) hat über alle Schwellenländer betrachtet während dieser Zeit kaum zugenommen und liegt bei rund 40%. Vervielfacht haben sich hingegen die Schulden der Haushalte (Households), doch sie machen erst 30% des BIP aus.

Hoher Anteil Dollarschulden in Mexiko, der Türkei und Russland

Am grössten ist die Verschuldung der Unternehmen gemessen am BIP in Hongkong, China und Singapur. Dort übersteigt sie die jährliche Wirtschaftsleistung (vgl. Grafik rechts). Danach folgen Ungarn, Malaysia, Tschechien und die Türkei. Am meisten hat die Schuldenquote dieses Jahr in Brasilien und der Türkei zugenommen, was aber mit der starken Abwertung zu tun hatte.

Unternehmensschulden (ohne Finanzsektor), in % des BIPzoom Quelle: IIF

In der Grafik ist auch die Aufteilung der Währung der Schulden ersichtlich. Hongkong hat den höchsten Anteil an Fremdwährungsschulden, was damit zu erklären ist, dass der HK-Dollar an den US-Dollar gebunden ist und die Emittenten das Abwertungsrisiko als äusserst gering einschätzen. In Mexiko sind die Unternehmensschulden im Verhältnis zum BIP zwar gering, doch mehr als die Hälfte davon lautet auf Dollar (rote Balken in der Grafik). Die chinesischen Unternehmen dagegen haben sich hauptsächlich in der Lokalwährung (LC, Local Currency in der Grafik) verschuldet.

Daten zu den einzelnen Unternehmen zeigen, dass die Verschuldung allgemein vor allem in den Sektoren Industrie, Energie und Rohstoffe zugenommen hat. Der am stärksten verschuldete Sektor sei jedoch die Hongkonger Basiskonsumgüterindustrie, wo das durchschnittliche Verhältnis von Schulden zu Betriebsgewinn von 2,2 im Jahr 2008 auf 11,8 gestiegen ist. Sollte die Währungsbindung einmal aufgegeben werden und der Hongkong-Dollar massiv an Wert einbüssen, wäre eine Reihe von Zahlungsausfällen kaum vermeidbar.

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